Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Das Auto wird in der Krise zum Wohlfühlor­t

Trotz Lockdown sinken die Infektions­zahlen nur langsam. Ein Grund dafür: Die Mobilität der Menschen nimmt zu, wie Verkehrsda­ten zeigen.

- VON JULIAN BUDJAN

DÜSSELDORF Wer die Hoffnung hatte, Ende 2020, wenn der Impfstoff gefunden ist, würde die Corona-Pandemie unter Kontrolle sein, dürfte sich nun in einer anderen Realität wiederfind­en. Die Infektions­zahlen gehen trotz mehrfach verlängert­em und verschärft­em Lockdown nur schleppend zurück, und die Politik diskutiert dieser Tage erneut über schärfere Maßnahmen. Halten sich also zu viele Menschen nicht an die bestehende­n Regeln?

Ein Blick aufs Mobilitäts­verhalten legt zumindest den Schluss nahe, dass die Menschen wieder mehr unterwegs sind als noch zu Beginn der Pandemie im März – in der Zeit des ersten Lockdowns. Damals, so zeigen es die Mobilfunkd­aten des Robert-Koch-Instituts, haben die Bürger in NRW ihre Bewegungen um bis zu 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr eingeschrä­nkt. Das ist nun anders. Der „Lockdown light“im November hatte einen Rückgang von nur zehn bis 15 Prozent zur Folge, und lediglich die Weihnachts­tage und die Zeit zwischen den Jahren brachte die Menschen dazu, ähnlich konsequent zuhause zu bleiben wie im März. Bewegungst­endenz seitdem: wieder steigend.

Ähnliches kann Claudia Nobis berichten. Sie ist am Verkehrsin­stitut des Deutschen Zentrums für Luftund Raumfahrt tätig und hat das vergangene Jahr über in drei verschiede­nen Studien Bürger zu ihrem Mobilitäts­verhalten im Alltag befragt: „Im Frühjahr scheinen die Menschen alles viel mehr herunterge­fahren zu haben, inzwischen leben sie ein Stück weit mit der Pandemie. Wir haben festgestel­lt, dass der Autoverkeh­r im November und Dezember

wieder zugenommen hat, während die Nutzung der öffentlich­en Verkehrsmi­ttel auf niedrigem Niveau geblieben ist“, sagt Nobis.

Diese Entwicklun­g belegen auch die Daten zum Verkehr zwischen den Großstädte­n in NRW, die der Navigation­sanbieter Tomtom unserer Redaktion zur Verfügung gestellt hat: War der Stadtverke­hr in Düsseldorf und Köln im März noch um rund 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahresm­onat zurückgega­ngen, sind es im November und Dezember nur noch 20 respektive 13 Prozent. Ein vergleichb­ares

Bild zeichnet der Pendler- und den Wochenendv­erkehr zwischen den Städten: Gab es zwischen Düsseldorf und Köln, Köln und Bonn sowie Wuppertal und Düsseldorf im März 46 bis 62 Prozent weniger Fahrten als 2019, sind es seit dem zweiten Lockdown nur noch zehn bis 30 Prozent. Vor allem an Werktagen war der Betrieb auf den Autobahnen nur teilweise reduziert – zwischen Dortmund und Duisburg sogar so gut wie gar nicht –, während die Menschen das Haus jedoch weitaus weniger für Wochenenda­usflüge als von Montag bis Freitag verließen.

Das führt Nobis auch darauf zurück, dass wieder mehr Menschen regelmäßig ins Büro fahren als noch im Frühjahr. Ihren Umfragen zufolge arbeiteten im März und April noch 26 Prozent der Befragten ausschließ­lich von zu Hause aus, Ende 2020 nur noch 17 Prozent. „Um die 60 Prozent gehen normal ihrem Job nach“, sagt Nobis. Der Anteil derer, die nur an einzelnen Tagen im Homeoffice sind, sei gestiegen.

Beim Autoverkeh­r in der Weihnachts­woche zeigen sich ebenfalls nur geringe Rückgänge; die Strecke von Duisburg nach Dortmund fuhren sogar rund fünf Prozent mehr Autos als im Vorjahr. Der ADAC Nordrhein erfasste in diesem Zeitraum mehr Staumeldun­gen auf den Autobahnen als um das vergangene Weihnachts­fest herum, gibt aber zu bedenken, dass die Menschen womöglich „ihre Familien nur an einzelnen Tagen besucht haben“, wie es in der Staubilanz 2020 heißt, die offiziell im Februar erscheint. Insgesamt seien kürzere und sich schneller auflösende Staus gemeldet worden, seit Oktober gebe es insgesamt deutlich weniger Staus. Dabei sei zu beachten: „Ob es wirklich zu Stau oder Stillstand kommt, hängt meist an den letzten fünf bis zehn Prozent Verkehrsau­fkommen“, sagte ein Sprecher des Automobilc­lubs.

Verkehrsfo­rscherin Nobis hat indes beobachtet, dass vor allem der Nahverkehr auch im zweiten Lockdown deutlich weniger genutzt wird als vor der Krise oder im Sommer. Gewöhnlich steige mit Beginn der kalten Jahreszeit die Anzahl der Menschen, die auf Bus und Bahn umsteigen, sagt Nobis, „das haben wir diesmal nicht beobachten können“. Die Verkehrsun­ternehmen aus der Region bestätigen das auf Anfrage: Bei den Kölner Verkehrs-Betrieben war demnach die Auslastung im ersten Lockdown auf rund zwei Prozent gesunken, steigerte sich im Sommer und Herbst auf bis zu 70 Prozent, sank zum Jahresende aber wieder auf 30 Prozent. Der Verkehrsbu­nd Rhein-Ruhr beförderte im April nur 35 Prozent der Fahrgäste, die noch in den Monaten vor der Pandemie seine Verkehrsmi­ttel genutzt hatten. Nach zwischenze­itlicher Erholung sinken die Zahlen seit Oktober wieder stark. Nur acht Prozent der Bürger setzen laut der Studie seit dem zweiten Lockdown auf öffentlich­e Verkehrsmi­ttel – wie im April. Grund dafür ist die Annahme, sich dort am ehesten infizieren zu können: „Mehr als 50 Prozent der Befragten haben angegeben, dass sie sich in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln unwohler fühlen als vor der Pandemie“, sagt Nobis.

Im Ergebnis heißt das: Die Menschen sind wieder mehr unterwegs – und zwar weniger mit dem ÖPNV, dafür umso mehr mit dem Auto. Forscherin Nobis erklärt: „Die Menschen haben zurückgeme­ldet, dass das Auto in der Krise ein Wohlfühlfa­ktor für sie ist.“

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