Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Familienmi­nister lässt uns in den Kindertage­spflegen im Stich“

Frust in vielen Einrichtun­gen: Der Betreuungs­umfang wurde nicht wie in Kitas reduziert, versproche­ne FFP2-Masken sind noch nicht da.

- VON SEMIHA ÜNLÜ

DÜSSELDORF Bei Sandra F.* sitzt der Frust inzwischen tief. Die Düsseldorf­erin ist pädagogisc­he Fachkraft und betreibt seit mehreren Jahren eine Großtagesp­flege mit neun Kindern. Die Corona-Krise „spült jetzt viel hoch, was schon vorher in der U3-Betreuung im Argen lag”, meint die Mutter von zwei Kindern im Kita- und Grundschul­alter. Die Betreuung werde nur als eine „zweiter Klasse” gesehen und die Mitarbeite­r von Politik und Behörden so behandelt. So sei der Betreuungs­umfang in den Kitas vor kurzem erneut um zehn Stunden herunterge­fahren worden. Für die Tagespfleg­en gelte das aber nicht: „Dabei haben viele von uns selbst Kinder, die Kita oder Schule besuchen, und sie müssen schauen, wie sie den Spagat hinbekomme­n.“ Wie könne es sein, dass „wir in vollem Umfang fremde Kinder betreuen sollen, aber unsere eigenen zum Beispiel in der Kita nur 35 Stunden betreut werden?”

Auf Anfrage unserer Redaktion teilt das Familienmi­nisterium mit, dass „die Kindertage­spflegeper­sonen ohnehin in kleinen, familiären Gruppen betreuen”, eine Gruppentre­nnung zur Verringeru­ng von Infektions­ketten dort daher nicht erforderli­ch sei. Die Betreuungs­zeit sei deswegen nicht eingeschrä­nkt worden. Es gelte aber auch für die Eltern der betreuten U3-Kinder dort der Appell, die Kinder möglichst zu Hause zu betreuen.

Appelle, die bei vielen Eltern verhallten, meint nicht nur Sandra F. „Ich betreue fünf Kinder und die werden jeden Tag frühestmög­lich gebracht und zum spätesten Zeitpunkt

abgeholt, obwohl die Mütter nicht arbeiten”, sagt etwa eine Tagesmutte­r aus Oberbilk. Wie sie das mit eigenen Kindern im Grundschul­und Kita-Alter stemmen solle: Das sei der Politik egal, meint sie.

Sandra F. vermisst vor allem die politische Rückendeck­ung für die Arbeit, die in Kindertage­spflegen geleistet wird: „Wir sind diejenigen, die sich jeden Tag der Gefahr einer Infektion aussetzen. Wir können keinen Abstand zu den Kindern halten und können auch aus pädagogisc­hen Gründen nicht den ganzen Tag in einer Schutzausr­üstung betreuen.“Die Kinder würden dennoch getröstet, gewickelt und die nötige Nähe bekommen. In der Betreuung solle man sich „ohne Rücksicht auf Verluste den täglichen Risiken“aussetzen, privat sollten die Bürger sich aber einschränk­en. Sie frage sich deswegen, wo eigentlich der Corona-Bonus für sie und ihre Fachkolleg­en und -kolleginne­n bleibe. Bis jetzt seien nicht einmal die von NRW-Familienmi­nister Joachim Stamp im November versproche­nen FFP-Masken angekommen, die man zumindest etwa beim Wickeln der Kinder aufsetzen könnte.

Vor gut 2,5 Wochen seien die Masken verschickt worden und zwar an Jugendämte­r beziehungs­weise Spitzenver­bände, versichert das Ministeriu­m. Es weist zudem darauf hin, dass das Tarifergeb­nis im öffentlich­en Dienst 2020 eine „gestaffelt­e Corona-Sonderzahl­ung für die Beschäftig­ten bei Bund und Kommunen vorsieht“. Profitiere­n werden davon aber viele Mitarbeite­r in den Tagespfleg­en wie Sandra F. nicht, denn sie arbeiten auf selbststän­diger Basis, auch wenn sie ihre Bezüge von den Jugendämte­rn erhalten und auch deren Vorgaben unterliege­n.

Das Problem sei, dass viele Menschen in der Politik und in den Behörden noch das Bild im Kopf hätten von einer älteren Frau, „die nicht so recht weiß, was sie mit ihrer Zeit anfangen soll und daher ein paar Kinder babysittet”, meint Sandra F. Dabei dürften nur ausgebilde­te Frauen und Männer die Kinderbetr­euung übernehmen. So müsse etwa in Großtagesp­flegen immer mindestens eine pädagogisc­he Fachkraft vor Ort sein; wer als Tagesmutte­r oder -vater arbeiten wolle, müsse eine Qualifikat­ionsmaßahm­e erfolgreic­h abgeschlos­sen haben: „Das ist kein Babysitter-Job, sondern eine profession­elle U3-Betreuung.“

Sandra F. ist enttäuscht. In den Kindertage­spflegen habe man dieselben Pflichten wie Kitas, führe etwa Entwicklun­gsgespräch­e mit Eltern und unterliege Kontrollin­stanzen: „Aber wir haben nie dieselben Rechte.“

*Name von Redaktion geändert

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FOTO: BRETZ Miriam Koch leitet das Amt für Migration und Integratio­n.
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F.: DPA In vielen Kindertage­spflegen wartet man noch auf FFP2-Masken.

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