Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Wo sonst Sangria fließt
Seit zehn Monaten ist die Musik im Oberbayern aus. Die Disco, verspricht der Inhaber, wird auf jeden Fall wieder öffnen.
ALTSTADT An einem normalen Wochenende reißt mindestens ein Stuhl aus der Verankerung. Die Barhocker sind mit Schrauben tief in den abgewetzten Boden vor dem Tresen montiert. Und doch schafft es immer ein Betrunkener, einen der Stühle herauszureißen. Es zerbrechen Gläser, Beine von Stehtischen brechen ab, Toiletten verstopfen. Jede Woche rücken im Oberbayern auf der Bolkerstraße darum Handwerker an, um die Verwüstungen zu reparieren und die Spuren des Wochenendes zu beseitigen. Das letzte normale Wochenende, das waren die Tage vor dem 16. März. Seitdem ist die Diskothek geschlossen.
Inhaber Marc Stollbrock steht an einem der Stehtische, direkt an der Tanzfläche im Erdgeschoss des Oberbayern. Hier laufen normalerweise Schlager, in der ersten Etage Charts, im Keller ist es elektronische Tanzmusik. Hier drängen sich normalerweise jedes Wochenende bis zu 5000 Besucher, 250.000 im Jahr, freitags ab 18 Uhr, samstags schon ab 16 Uhr. Und hier wirbt an der holzgetäfelten Wand ein Plakat für den Drink des Hauses: Sangria, den eine Partygruppe mit langen Strohhalmen aus einer Toilettenschüssel schlürft.
Nicht aber 2020. Seit zehn Monaten sind die Türen des Oberbayern nun zu, das Nachtleben ist völlig zum Erliegen gekommen. Anders als Restaurants, Kneipen und Bars durften die Diskotheken in der Altstadt auch im Sommer, vor der zweiten Corona-Welle, nicht öffnen. Und auch jetzt ist eine Öffnung nicht absehbar, sagt Marc Stollbrock. An ein
Nachtleben, wie es vor Corona war, glaubt er in diesem Jahr nicht. „Ein rappelvoller Laden ist einfach unvorstellbar“, sagt er.
Darum passiert im Oberbayern gerade mehr oder weniger nichts. Die Mülltonnen wurden ins Innere gerollt, leere Bierfässer und Getränkekisten stapeln sich auf der Tanzfläche, der Strom ist ausgestellt. Das einzige, was noch läuft, sind die Alarmanlage, die Videoüberwachung und das Kassensystem sagt Stollbrock. Auch die Kühlschränke sind leergeräumt. Wodka, Korn, Gin und Absinth stehen in einheitlichen Flaschen unangetastet hinterm Tresen – Hochprozentiges hält sich. Bier aber musste der Inhaber entsorgen. 4500 volle Flaschen haben die Lieferanten nach und nach abgeholt. Alkoholfreie Getränke hat Stollbrock an die Tafel verschenkt, bevor sie abgelaufen waren.
Kurz nach dem Beginn der Zwangspause im März hatte der Oberbayern-Inhaber noch einiges zu tun. Eine Woche lang habe er Ablage
gemacht, Bürokram aufgeholt, der liegen geblieben war. Auch Reparaturen wurden erledigt, auf dem Tresen stehen noch Bohrmaschinen und Werkzeug. Seitdem ist es aber so ruhig wie noch nie, sagt Stollbrock. Zum ersten Mal seit Jahren hat er Silvester nicht im Oberbayern, sondern zuhause verbracht.
Marc Stollbrock macht sich aber auch Gedanken über die Zukunft. Er habe schon unterschiedliche Szenarien durchgespielt, unter welchen Bedingungen das Oberbayern irgendwann wieder öffnen könnte, sagt er. Sehr strenge Einlasskontrollen gebe es ohnehin, Minderjährige kämen nicht in die Disco. Schnelltests könnte man im Keller machen, bevor die Leute auf die Tanzfläche und zum Tresen stürmen. Stollbrock fürchtet aber, dass ein Teil des Publikums sich kaum noch ins Nachtleben trauen wird. „Unsere Gäste sind zwischen 22 und 55 Jahren alt“, sagt der Disco-Inhaber. Die Älteren, schätzt er, werden aus Angst vor dem Coronavirus vorerst zuhause bleiben. Dennoch rechnet er mit vollen Tanzflächen. „Wenn die Discos wieder öffnen, wird der Andrang groß sein. Alle sind so ausgehungert.“Er habe sogar Reservierungsanfragen bekommen für Weihnachtsfeiern und Silvester – mitten im Lockdown.
Irgendwann, sagt Marc Stollbrock, wird das Feiern im Oberbayern aber wieder möglich sein. Die Disco gehört zu einer Unternehmensgruppe, die Gastronomie ist nur ein Standbein. Und das Unternehmen sei sehr gesund, sagt der Geschäftsführer. Die Gäste müssten sich also keine Sorgen machen. „Das Oberbayern wird auf jeden Fall wieder öffnen.“