Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Mehr Kindesmiss­handlungen in der Pandemie?

Am Evangelisc­hen Krankenhau­s und in der Kinderschu­tzambulanz befürchtet man eine hohe Dunkelziff­er.

- VON SEMIHA ÜNLÜ

DÜSSELDORF Es gibt Befürchtun­gen, die begründet sein können, auch wenn man sie (noch) nicht mit Zahlen belegen kann. Dazu gehört auch die, dass die Zahl der Kindesmiss­handlungen in der Corona-Krise steigen könnte. Im stationäre­n Bereich an der Klinik für Kinder und Jugendlich­e am Evangelisc­hen Krankenhau­s (EVK) habe man zwar bisher keine Auffälligk­eiten festgestel­lt, und ähnlich äußert sich auch das Florence-Nightingal­e-Krankenhau­s auf Anfrage unserer Redaktion. Doch Kinderärzt­e fürchten, das vieles „im Verborgene­n läuft, auch weil die sonst üblichen Arzttermin­e bei den niedergela­ssenen Kinderärzt­en wegen eher banaler Infekte ausfallen und Verletzung­en nicht mehr zufällig bei dieser Gelegenhei­t gesehen werden“, meint Monika Gappa, Chefärztin im EVK.

Eine Sorge, die man in der Kinderschu­tzambulanz, die zum Kindernetz­werk des EVK gehört, teilt. „Auch ich habe die Sorge, dass Verletzung­en im Moment weniger auffallen, weil Arztbesuch­e und auch der Kontakt zu Vertrauens­lehrern seltener werden“, sagt Leiterin Gabriele Komesker. Bei manchen Diagnostik-Terminen erzählten Kinder oder

Eltern aber durchaus,

„dass sie die aktuelle

Lage als sehr angespannt erleben und es deswegen auch häufiger als sonst zu Gewalt gegen Kinder kommt“. Davon seien insbesonde­re Familien betroffen, „in denen Eltern bei Überforder­ung körperlich gewalttäti­g werden und die deshalb zum Beispiel ambulante Jugendhilf­e oder Erziehungs­beratung zum Erlernen von alternativ­en Lösungsmög­lichkeiten in Anspruch nehmen.“Andere Familien schafften es dagegen, die Pandemie für mehr Familienze­it zu nutzen, rückten trotz räumlicher Enge emotional näher zusammen.

Die Uniklinik mit Kinderklin­ik und Gewaltopfe­rambulanz/Rechtsmedi­zin will sich zu einer möglichen Zunahme von Gewalt (noch) nicht äußern. Damit befasse man sich zurzeit wissenscha­ftlich, so ein Klinikspre­cher. Man wolle erst die Ergebnisse abwarten, um sich dann auch anhand der Datenlage äußern zu können.

In der jüngsten Sitzung des Jugendhilf­eausschuss schloss Jugendamts­leiter Johannes Horn nicht aus, dass die Zahl der Kindeswohl­gefährdung­en unter dem Druck der Corona-Krise gestiegen ist. „Über signifikan­te Daten verfügen wir bislang zwar nicht. Aber es kann hier eine Dunkelziff­er geben, die mit der aktuellen Situation zu tun hat“, sagte er am Dienstag.

Um Kinder besser vor Gewalt und

Vernachläs­sigung zu schützen, setzen sich Hermann Josef Kahl, Obmann der Düsseldorf­er Kinder- und Jugendärzt­e, und Wilfried Kratzsch, ehemaliger leitender Oberarzt am kinderneur­ologischen Zentrum der Sana-Kliniken in Gerresheim sowie aktuell Vorstandsv­orsitzende­r der „Stiftung Deutsches Forum Kinderzuku­nft“, für eine Düsseldorf­er Hotline für überforder­te Eltern ein. Mitarbeite­r der Hotline sollen ihnen Tipps geben und Anlaufstel­len aufzeigen, um Hilfe für sich und damit für die ganze Familie einzuholen. Und das eben auch abends oder nachts, dann wenn die Situatione­n in der Regel am häufigsten eskalierte­n wegen Überforder­ung. Andere Städte hätten mit solch einer Hotline bereits gute Erfahrunge­n gemacht, so Kahl.

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