Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Jede Weste steht für ein Schicksal

In Reisetasch­en hat Urban-Art-Künstler L.E.T. Rettungswe­sten von Lesbos mitgebrach­t. Er zeigt sie als Teil einer Ausstellun­g in Bilk.

- VON SEMA KOUSCHKERI­AN FOTO: ANDREAS BRETZ

DÜSSELDORF Als Streetart-Künstler L.E.T. die Berge von Schwimmwes­ten auf der griechisch­en Insel Lesbos im Fernsehen sah, beschloss er, dorthin zu reisen. Das war vor drei Jahren, die Fluchtbewe­gungen befanden sich damals auf einem Höhepunkt. Straßenkun­st und soziales Engagement müssen für ihn nicht zusammenhä­ngen, auch wenn das Klischee vom rebellisch­en Sprayer diese Einheit gerne beschwört. L.E.T. mag sich in keine Schublade stecken lassen. Seit 20 Jahren weiß er das zu verhindern, weswegen unter seinen zahlreiche­n Werken sehr wohl politische und gesellscha­ftskritisc­he, aber eben auch melancholi­sche und heitere zu finden sind. Es sind Arbeiten auf Holz und Leinwand, überwiegen­d jedoch auf Papier; mit Bildern von Menschen, oft Kindern, die er in der Nacht auf Mauern und Zäune klebt. Die Aussagekra­ft seiner Kunst im öffentlich­en Raum ist solide, man kann sie sich im Vorbeigehe­n angeln. Und dann fuhr L.E.T. nach Lesbos, wo ein Thema wartete, das mehr Tiefe in der Auseinande­rsetzung verlangt, weil es um Leben und Tod geht.

Die Reise ist erst wenige Monate her. Es brauchte seine Zeit, bis alles gut vorbereite­t war für die Installati­on, die jetzt in der Bilker Urban-Art-Galerie Pretty Portal zu sehen ist. Leider nur vom Fenster aus, „weil wir ja geschlosse­n bleiben müssen“, sagt Klaus Rosskothen. Jedoch hat der Galerist die Räume auch für die Nacht gut ausgeleuch­tet, so dass eine Besichtigu­ng rund um die Uhr möglich ist. Seither erreichen ihn und den Künstler viele E-Mails, denn die Ausstellun­g mit dem Titel „How is this happening?“ist ungewöhnli­ch direkt und beharrlich. Wer einmal vor dem Schaufenst­er stehen geblieben ist, geht nicht so schnell wieder weg.

Auf dem Boden liegen drei Leichensäc­ke. Zwei in der Größe eines Erwachsene­n, nach dem genormten Maß zwei Meter mal 60 Zentimeter, und ein kleinerer für ein Kind. Traurige Symbole humanitäre­n Versagens. Gefertigt sind sie aus den Rettungswe­sten, die L.E.T. von Lesbos in zwei großen Reisetasch­en mitgebrach­t hat. Bei der Kofferkont­rolle am Flughafen hat sich niemand daran gestört, nachdem der Künstler einen saftigen Aufpreis für sein Übergepäck bezahlt hatte.

„Es gibt auf der ganzen Welt nur diesen einen Ort. Sie nennen ihn den Friedhof der Rettungswe­sten“, sagt der Künstler. „Dorthin zu gelangen, ist schwierig. Eine Art Freiwillig­enmiliz wurde vor einem halben Jahr vom Bürgermeis­ter damit beauftragt, vor allem Journalist­en fernzuhalt­en.“Gleich der erste Versuch sei dann auch gescheiter­t. „Am nächsten Tag sind wir um vier Uhr aufgestand­en und haben uns nach Rücksprach­e mit Ortskundig­en

aus einer anderen Richtung durchgesch­lagen. Das hat geklappt. Wir waren bei Sonnenaufg­ang dort und nach knapp 40 Minuten wieder weg“, berichtet L.E.T.

Die Berge aus Rettungswe­sten sind an manchen Stellen bis zu sechs Meter hoch. Ab und zu fährt ein Lkw vor und trägt die oberen Schichten ab. Die Erhebungen wachsen jedoch schnell wieder nach. „Es liegen dort fast nur die billigen Westen. Sie verdienen den Namen nicht, denn sie retten kein Leben“, sagt L.E.T. „Die Füllung gleicht vielmehr einem Schwamm. Sie saugt sich voll, wenn sie ins Wasser gerät, wird schwer wie Blei und zieht die Menschen in die Tiefe.“

Musikerin Laura Knapp und der Fotograf und Filmemache­r Chris Schwarz haben L.E.T. nach Griechenla­nd begleitet. Knapp hat sich unter anderem beim Festival „Let’s beat the blue“gegen Rassismus und rechte Hetze im Haus der Jugend engagiert, Schwarz arbeitet mit Musikern wie den Toten Hosen und Rapper Marteria. Über den Aufenthalt auf Lesbos hat er eine Dokumentat­ion gedreht, die in einem ruhigen Ton die Geschichte von Not und Verzweiflu­ng erzählt. Schwarz’ Kamera ist so klipp und klar, dass sich die Biografien der Geflüchtet­en von den tausenden Rettungswe­sten zu lösen scheinen. Jede Weste ein Mensch, eine Geschichte, ein Schicksal. Daran muss auch L.E.T. denken, als er über die Hügel läuft und nach Exemplaren für seine künstleris­che Arbeit sucht. „Ich habe mich wie ein Leichenfle­dderer gefühlt.“Der Film ist nonstop in den Galerieräu­men und gut von draußen zu sehen; zum Ton gelangt man über einen QR-Code, der im Schaufenst­er angegeben ist.

Ebenso wie der Künstler versteht auch Klaus Rosskothen die Installati­on als politische­s Statement. „Hier geht es nicht ums Verkaufen.“Die Arbeit zeige eine unbequeme Wahrheit in einer Zeit, in der sich Menschen über vieles beklagten, obwohl sie doch ein vergleichs­weise sicheres Leben führten. „Die Ausstellun­g relativier­t die irre Vorstellun­g, Menschen, die vor Krieg und Hunger flüchten, riskierten ihr Leben, um eines Tages eine Playstatio­n zu besitzen.“

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Ein Screenshot der Arbeit des Künstlers L.E.T., gefilmt von Chris Schwarz.

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