Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Jede Weste steht für ein Schicksal
In Reisetaschen hat Urban-Art-Künstler L.E.T. Rettungswesten von Lesbos mitgebracht. Er zeigt sie als Teil einer Ausstellung in Bilk.
DÜSSELDORF Als Streetart-Künstler L.E.T. die Berge von Schwimmwesten auf der griechischen Insel Lesbos im Fernsehen sah, beschloss er, dorthin zu reisen. Das war vor drei Jahren, die Fluchtbewegungen befanden sich damals auf einem Höhepunkt. Straßenkunst und soziales Engagement müssen für ihn nicht zusammenhängen, auch wenn das Klischee vom rebellischen Sprayer diese Einheit gerne beschwört. L.E.T. mag sich in keine Schublade stecken lassen. Seit 20 Jahren weiß er das zu verhindern, weswegen unter seinen zahlreichen Werken sehr wohl politische und gesellschaftskritische, aber eben auch melancholische und heitere zu finden sind. Es sind Arbeiten auf Holz und Leinwand, überwiegend jedoch auf Papier; mit Bildern von Menschen, oft Kindern, die er in der Nacht auf Mauern und Zäune klebt. Die Aussagekraft seiner Kunst im öffentlichen Raum ist solide, man kann sie sich im Vorbeigehen angeln. Und dann fuhr L.E.T. nach Lesbos, wo ein Thema wartete, das mehr Tiefe in der Auseinandersetzung verlangt, weil es um Leben und Tod geht.
Die Reise ist erst wenige Monate her. Es brauchte seine Zeit, bis alles gut vorbereitet war für die Installation, die jetzt in der Bilker Urban-Art-Galerie Pretty Portal zu sehen ist. Leider nur vom Fenster aus, „weil wir ja geschlossen bleiben müssen“, sagt Klaus Rosskothen. Jedoch hat der Galerist die Räume auch für die Nacht gut ausgeleuchtet, so dass eine Besichtigung rund um die Uhr möglich ist. Seither erreichen ihn und den Künstler viele E-Mails, denn die Ausstellung mit dem Titel „How is this happening?“ist ungewöhnlich direkt und beharrlich. Wer einmal vor dem Schaufenster stehen geblieben ist, geht nicht so schnell wieder weg.
Auf dem Boden liegen drei Leichensäcke. Zwei in der Größe eines Erwachsenen, nach dem genormten Maß zwei Meter mal 60 Zentimeter, und ein kleinerer für ein Kind. Traurige Symbole humanitären Versagens. Gefertigt sind sie aus den Rettungswesten, die L.E.T. von Lesbos in zwei großen Reisetaschen mitgebracht hat. Bei der Kofferkontrolle am Flughafen hat sich niemand daran gestört, nachdem der Künstler einen saftigen Aufpreis für sein Übergepäck bezahlt hatte.
„Es gibt auf der ganzen Welt nur diesen einen Ort. Sie nennen ihn den Friedhof der Rettungswesten“, sagt der Künstler. „Dorthin zu gelangen, ist schwierig. Eine Art Freiwilligenmiliz wurde vor einem halben Jahr vom Bürgermeister damit beauftragt, vor allem Journalisten fernzuhalten.“Gleich der erste Versuch sei dann auch gescheitert. „Am nächsten Tag sind wir um vier Uhr aufgestanden und haben uns nach Rücksprache mit Ortskundigen
aus einer anderen Richtung durchgeschlagen. Das hat geklappt. Wir waren bei Sonnenaufgang dort und nach knapp 40 Minuten wieder weg“, berichtet L.E.T.
Die Berge aus Rettungswesten sind an manchen Stellen bis zu sechs Meter hoch. Ab und zu fährt ein Lkw vor und trägt die oberen Schichten ab. Die Erhebungen wachsen jedoch schnell wieder nach. „Es liegen dort fast nur die billigen Westen. Sie verdienen den Namen nicht, denn sie retten kein Leben“, sagt L.E.T. „Die Füllung gleicht vielmehr einem Schwamm. Sie saugt sich voll, wenn sie ins Wasser gerät, wird schwer wie Blei und zieht die Menschen in die Tiefe.“
Musikerin Laura Knapp und der Fotograf und Filmemacher Chris Schwarz haben L.E.T. nach Griechenland begleitet. Knapp hat sich unter anderem beim Festival „Let’s beat the blue“gegen Rassismus und rechte Hetze im Haus der Jugend engagiert, Schwarz arbeitet mit Musikern wie den Toten Hosen und Rapper Marteria. Über den Aufenthalt auf Lesbos hat er eine Dokumentation gedreht, die in einem ruhigen Ton die Geschichte von Not und Verzweiflung erzählt. Schwarz’ Kamera ist so klipp und klar, dass sich die Biografien der Geflüchteten von den tausenden Rettungswesten zu lösen scheinen. Jede Weste ein Mensch, eine Geschichte, ein Schicksal. Daran muss auch L.E.T. denken, als er über die Hügel läuft und nach Exemplaren für seine künstlerische Arbeit sucht. „Ich habe mich wie ein Leichenfledderer gefühlt.“Der Film ist nonstop in den Galerieräumen und gut von draußen zu sehen; zum Ton gelangt man über einen QR-Code, der im Schaufenster angegeben ist.
Ebenso wie der Künstler versteht auch Klaus Rosskothen die Installation als politisches Statement. „Hier geht es nicht ums Verkaufen.“Die Arbeit zeige eine unbequeme Wahrheit in einer Zeit, in der sich Menschen über vieles beklagten, obwohl sie doch ein vergleichsweise sicheres Leben führten. „Die Ausstellung relativiert die irre Vorstellung, Menschen, die vor Krieg und Hunger flüchten, riskierten ihr Leben, um eines Tages eine Playstation zu besitzen.“