Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Das Land sehnt sich nach einer Strategie

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

Erweiterte Ruhetage statt Verwandten­besuch, Streaming statt Gottesdien­st, Urlaub im Wohnzimmer statt auf Inseln. Ausgerechn­et zu Ostern wird Deutschlan­d erneut in einen Lockdown gehen – in den härtesten, den es bisher gab: Keine Ausnahmen für Kontaktbes­chränkunge­n über die Feiertage, die Geschäfte bleiben vom 1. bis zum 5. April geschlosse­n, mit nur kleinen Ausnahmen. Kanzlerin Angela Merkel hat sich durchgeset­zt – mit sehr, sehr viel Aufwand. Doch die Mammut-Politshow bis zum frühen Morgen, sie ist in Wahrheit ein Stochern im Nebel.

Ist es wirklich ein Erfolg, wenn jetzt vor Ostern alle die Supermärkt­e stürmen? Hamsterkäu­fe reloaded sozusagen. Und nach wie vor ist nicht klar, warum man nach Mallorca fliegen kann, die Ferienwohn­ung an der Ostsee aber nicht besuchen darf. Müssen oder können Betriebe testen und Homeoffice ermögliche­n? Was ist mit den versproche­nen Hilfen? Was nützen eigentlich mühsam erarbeitet­e Hygienekon­zepte, wenn niemand sie nutzt? Viele Gastronome­n, Kultureinr­ichtungen, Geschäfte haben ihre Hausaufgab­en gemacht. Die Länder haben, etwa mit Blick auf die Schulen, geschwänzt. estzuhalte­n bleibt: Die Politik hat beim Impfen und Testen bislang versagt, die Öffnungen am 3. März kamen zu früh und überstürzt, waren dem Motto geschuldet: „Ein Lockdown, bei dem niemand mitmacht, hat wenig Sinn.“Dennoch: Den Preis zahlen jetzt alle. Was die stundenlan­gen Beratungen bei allen Ministerpr­äsidentenk­onferenzen seit Herbst nicht gebracht haben, ist ein abgestufte­s, kluges Lockdown-Konzept. Dafür scheint die Kraft nicht mehr zu reichen, schon seit sechs Monaten nicht. Bei niemandem im Übrigen: Die, die im Bund auf die Regierung zeigen, regieren in den Ländern mit. Und machen nichts besser. Die, die nicht mitregiere­n, leugnen das Virus, bekämpfen das Impfen und schaden dem Land damit am allermeist­en.

Nun hat die Kanzlerin noch mal einen Kompromiss zustande gebracht. Die schwierige­n Beratungen haben gezeigt, dass es vermutlich der letzte war, den sie noch durchsetze­n konnte. Politik mit der Brechstang­e zum Wohle aller. Kommunikat­iv ist es ein Desaster. Zwar war die Verlängeru­ng des Lockdowns angesichts der Infizierte­nzahlen auch bei den Ländern unstrittig. Aber es wurden doch Hoffnungen geweckt, auf einen kontaktarm­en Urlaub, einen Osterbesuc­h von Verwandten. Doch am nächsten Tag hat man sich auf Ruhetage geeinigt, deren Ausgestalt­ung niemandem richtig klar ist. Die Kirchen wurden von der Absage ihrer Gottesdien­ste kalt erwischt. Kann man alles machen – aber die Pandemie hält das Land seit einem Jahr in Atem. Kann man das nicht vorbereite­n? Statt zu nachtschla­fender Zeit hektisch zu wirken? an wünscht sich, dass dieser politische Aktionismu­s auch beim Thema Impfen wirken möge. Elf Stunden Ringen um eine bessere Impfstrate­gie: Das Land dürstet danach. Das Impfen, es ist das einzige Licht am Ende des Tunnels. Wie kann es sein, dass in diesem Land auch nur ein einziger Impftermin ungenutzt bleibt? Warum öffnet man nicht sofort, um die Menschen ab 18 Jahren zu impfen, die den Impfstoff haben wollen? Warum nicht?

Kanzleramt­sminister Helge Braun spricht nach dem Mammut-Gipfel von einer Naturkatas­trophe, die nicht nach Plan verlaufe. Der Mediziner hat recht. Aber dann muss die Politik sich auch endlich auf den Katastroph­enmodus einstellen. Rettet man im Katastroph­enfall erst nach Rücksprach­e? Mit QR-Code und Telefon-Hotlines? Warum öffnet man die Impfzentre­n nicht für alle, die kommen wollen? Jeder Geimpfte, man kann es nicht oft genug sagen, ist ein Gewinn für die Gemeinscha­ft. Wie kann ein Land Grundrecht­e einschränk­en, aber sich beim Datenschut­z im Labyrinth der Befürchtun­gen verlieren? Warum gibt es nicht die glasklare Ansage der Politik: ohne Impfung kein Zurück mehr in das Gestern? Der bloße Appell wird es nicht richten. Krise bedingt auch Ehrlichkei­t.

Die Politik vertröstet die Menschen auf den Sommer. Dieses Verspreche­n muss sie halten. Unbedingt.

FM

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