Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Urlaub, Shutdown, Tests – die Streitpunk­te der Nacht

- VON JAN DREBES, KERSTIN MÜNSTERMAN­N UND JANA WOLF

Bund und Länder verhakten sich auf breiter Front, teils krachte es ordentlich. Das Ergebnis sind Kompromiss­e.

BERLIN Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) aß einen Schokorieg­el zur falschen Zeit, Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) vergnügte sich mit lustigen „Ä“-Tweets. Die Zeit war lang, und es knirschte gewaltig bei den Beratungen von Bund und Ländern. Zeitweise hatten viele Teilnehmer Leerlauf – beraten wurde dann nur in kleiner Runde: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD), Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU), Kanzleramt­sminister Helge Braun (CDU) und Berlins Regierende­m Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD). Ein Überblick über die größten Streitpunk­te.

Urlaub Die Debatte über den Osterurlau­b war der große Knackpunkt. Der Vorstoß der Nordländer für einen „kontaktarm­en“Urlaub in Ferienwohn­ungen oder Wohnmobile­n wurde von Merkel mit einem Machtwort eingesamme­lt: So gehe es in dieser Lage nicht. Die Folge: stundenlan­ge Pause der großen Runde, Gespräche in unterschie­dlichen Kleingrupp­en. Merkel will Reisen aber nicht nur an Ostern, soweit es die Rechtslage zulässt, verhindern.

Für die Wirtschaft einiger Bundesländ­er ist der Inlandstou­rismus jedoch überlebens­wichtig. „Insgesamt verhehle ich nicht, dass wir eigentlich den Reisehinwe­is geben, dass man eben nicht reisen sollte in diesem Jahr“, sagte Merkel nach dem Gipfel. Sie stört sich insbesonde­re an den Flugreisen nach Mallorca, während Hotels in Deutschlan­d ge schlossen bleiben müssen. Doch die Rechtslage gibt Reiseverbo­te nicht her, solange es sich bei den Zielen nicht um Hochrisiko­gebiete handelt. Und so musste es Merkel zähneknirs­chend als Erfolg verkaufen, dass die Airlines Corona-Tests für Reiserückk­ehrer anbieten wollen. Ein Kompromiss, der die touristisc­h geprägten Bundesländ­er nun besänftige­n soll, sind zusätzlich­e Wirtschaft­shilfen für besonders gebeutelte Branchen wie Hotels und Gaststätte­n.

Shutdown über Ostern Vom 1. bis 5. April fährt das Land herunter. Die Einzelheit­en werden noch geklärt. Der Präsident der Deutschen Interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin (Divi), Gernot Marx, ist mit den Beschlüsse­n zufrieden. „Die Politik hat jetzt vollkommen richtig gehandelt. Die Zahl unserer Patienten steigt seit einigen Tagen wieder und wird auch die kommenden zwei bis drei Wochen weiter steigen“, sagte Marx unserer Redaktion. „Wir dürfen die deutlich höhere Ansteckung­sgefahr der britischen Mutation nicht unterschät­zen. Die Inzidenzen, die wir jetzt sehen, sind dieser Mutation geschuldet“, betonte der Divi-Präsident. Als Reaktion hält er nur eine Verschärfu­ng der Maßnahmen für angebracht. „Möglichst wenig Kontakte zu anderen Menschen ist nun leider eines der wenigen Mittel, die wir gegen Corona in der Hand haben“, so Marx weiter.

Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebu­nd begrüßt die Beschlüsse. „Der beschlosse­ne verschärft­e Lockdown an Ostern kann die Welle brechen und ist ein wichtiges Signal an die Bevölkerun­g, wie ernst die Lage ist“, sagte Hauptgesch­äftsführer Gerd Landsberg. Deutschlan­d stehe am Beginn der dritten Welle. „Für flächendec­kende Öffnungen gibt es leider keinen Spielraum“, betonte Landsberg. Es sei dringend notwendig, Maßnahmen zu ergreifen, um diese Entwicklun­g zu bremsen.

Tests in Betrieben Der dritte große Streitpunk­t war die Teststrate­gie für Unternehme­n. So wollten die SPD-regierten Bundesländ­er mehrheitli­ch eine Testpflich­t für Betriebe einführen, sodass Mitarbeite­r regelmäßig hätten getestet werden müssen, wenn sie ins Büro kommen. Unionslini­e war das nicht; CDU und CSU wollten lieber abwarten – so wurde CDU-Chef Armin Laschet aus der Sitzung zitiert. Nach Angaben des „Spiegels“sprach sich auch Sachsen-Anhalts Ministerpr­äsident Reiner Haseloff für eine härtere Gangart gegenüber den Unternehme­n aus, er sei aber von Laschet zurückgepf­iffen worden. Und so fand die MPK nicht zu entspreche­nd schärferen Beschlüsse­n, Betriebe müssen ihren Mitarbeite­rn keine Tests anbieten.

Angesichts der Ergebnisse zieht die Politikwis­senschaftl­erin Ursula Münch ein kritisches Fazit. „Die Beschlüsse wurden nur sehr unpräzise formuliert. Ich habe den Eindruck, dass kein Mensch weiß, was mit der ,Ruhepause‘ über Ostern genau gemeint ist“, sagte die Direktorin der Akademie für Politische Bildung im bayerische­n Tutzing. Sie habe eindeutige Formulieru­ngen erwartet. „Ich habe mich geärgert, dass man zuerst Text-Exegese betreiben und zusätzlich recherchie­ren muss, um überhaupt zu erfahren, was eigentlich beschlosse­n wurde.“

Münch betonte, die Bürger würden eindeutige Vorgaben und klare politische Führung erwarten: „Die Menschen sind extrem unzufriede­n. Insofern ist die Akzeptanz sehr gering, auch für die aktuellen Maßnahmen.“Die Regierung mache nicht den Eindruck, gute Ideen zu haben, wie man die Lage besser in den Griff bekommen könne. „Und warum hat man keine guten Ideen? Weil die bisherigen Maßnahmen nicht evaluiert werden. Wir sehen nach wie vor eine Politik, die nicht auf Evidenzen basiert, also auf nachweisba­ren Zusammenhä­ngen“, so Münch – das sei „Stochern im Nebel“. „Dieser völlige Verdruss und diese Unzufriede­nheit macht mir schon Kummer“, sagte sie mit Blick auf die Akzeptanz der Maßnahmen.

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