Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Tödliche Schüsse im Supermarkt
Ein Mann hat in Boulder im US-Bundesstaat Colorado zehn Menschen mit einer Schnellfeuerwaffe erschossen. Sein Motiv ist unklar.
WASHINGTON Im ersten Moment dachte Sarah Moonshadow, jemand habe etwas fallen lassen, eine Konservendose, eine Flasche, was auch immer: „Doch als es zum zweiten Mal krachte, wusste ich, hier wird geschossen.“Ihrem Sohn Nicolas, mit dem sie an einer der Kassen stand, habe sie zugerufen, er solle in Deckung gehen. Und dann, als es nach weiteren Schüssen für kurze Zeit still wurde, dass sie jetzt rennen müssten. Er habe widersprochen, es für klüger gehalten, in Deckung zu bleiben. „Ich sagte, hör zu, wir haben drei Sekunden, wir müssen hier raus. Und dann sind wir gerannt, während hinter uns Schüsse fielen.“
In einem Interview mit der „Denver Post“hat Sarah Moonshadow geschildert, wie sie die bangen Minuten durchlitt. Draußen auf dem Parkplatz, erzählte die 42-Jährige, habe ein Mensch auf dem Asphalt gelegen. Sie habe zu ihm laufen wollen, um zu helfen, wie im Reflex. Ihr Sohn habe sie weggezogen. „Wir sind gerannt und gerannt, bis wir uns hinter einem Gebäude versteckten.“Es war gegen 14.30 Uhr am Montagnachmittag (Ortszeit), als der Täter, bewaffnet mit einem Schnellfeuergewehr, den Supermarkt betrat. Der Laden „King Sooper“liegt im Süden von Boulder und ist eine malerisch am Fuße der Rocky Mountains gelegene Universitätsstadt. Nach Berichten von Augenzeugen hat er nicht etwa wild um sich gefeuert, sondern einen Kunden nach dem anderen gezielt ins Visier genommen.
Zehn Menschen kamen bei dem Überfall ums Leben, das jüngste Opfer 20, das älteste 65 Jahre alt. Erst am Dienstag machten die Behörden ihre Namen publik, nachdem sie zunächst nur den Polizisten identifiziert hatten, der als Erster am Tatort eingetroffen war. Eric Talley, 51, Vater von sieben Kindern, starb bei einem Schusswechsel mit dem Angreifer. Der wurde dabei am Bein verletzt, er liegt nun in einem Krankenhaus. Nach Angaben der Polizeichefin von Boulder handelt es sich um einen 21-Jährigen namens Ahmad al-Issa. Sein Motiv? „Wir haben noch keine Antworten. Wir befinden uns im Anfangsstadium der Ermittlungen“, sagte Michael Dougherty, der zuständige Staatsanwalt.
James Graham gelang es, durch einen Hintereingang und über die Laderampe zu fliehen. Eine Schießerei in Boulder, einer ausgesprochen friedlichen Stadt, damit habe er nicht gerechnet, betont er. „Du siehst im Fernsehen, wie so etwas anderswo ständig passiert. Aber du kannst dir nicht vorstellen, dass du selbst einmal mittendrin sein wirst. Bis du dann tatsächlich selbst mittendrin bist.“
Es war innerhalb weniger Tage das zweite Schusswaffenmassaker in den Vereinigten Staaten, bei dem mehr als fünf Todesopfer zu beklagen waren. Vorige Woche attackierte ein 21-jähriger Weißer drei Massagesalons im Großraum Atlanta, in denen vornehmlich aus Asien stammende Frauen arbeiteten. In den zwölf Monaten zuvor hatte das Land, gemessen am Durchschnitt der vergangenen zwei Jahrzehnte, relativ wenige Massenschießereien zu verzeichnen. Experten sprachen von einem der wenigen positiven Effekte der Corona-Pandemie, der Zeit leerer Straßen, leerer Schulen, leerer Shopping-Malls, die nun angesichts des rasanten Impftempos zu Ende geht.
Dass es ausgerechnet Boulder trifft, hat einen besonders bitteren Beigeschmack. Nach dem Blutbad an einer High School in Parkland in Florida zog die Stadt, die sich als aufgeklärteste in Colorado versteht, die Konsequenzen. Vom City Council einstimmig beschlossen, sind halbautomatische Gewehre sowie
Magazine mit mehr als zehn Patronen seit 2018 verboten. Vor zwei Wochen wurde der Bann von einem Richter gekippt, nach dessen Urteil eine Gemeinde nichts durchsetzen darf, was den in ihrem Bundesstaat geltenden Waffengesetzen widerspricht. Restriktionen, wie Boulder sie verhängte, kennt Colorado nicht.