Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Ich mache mir persönlich große Vorwürfe“

Der Intendant und der Leiter des Jungen Schauspiel­s wollen die Rassismus-Vorfälle mit dem Ensemble und externer Hilfe aufarbeite­n.

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DÜSSELDORF Das Düsseldorf­er Schauspiel­haus wird seit Tagen von einem Rassismus-Skandal erschütter­t. So berichtet Ron Iyamu, der seit zwei Jahren festes Mitglied am Ensemble des Theaters der Landeshaup­tstadt ist, davon, verschiede­nen Diskrimini­erungen ausgesetzt gewesen zu sein. Unter anderem sei nach der Probe zu einer Folterszen­e, in der der 29-Jährige einen Henker spielte, ein Schauspiel­kollege zu ihm gekommen, mit einem Cuttermess­er in der Hand, das er Ron Iyamu an den Schritt hielt und sagte: „Wann schneiden wir eigentlich dem ‚N-Wort‘ die Eier ab?’“Darüber hätten die Umstehende­n gelacht.

Wie wird momentan im Ensemble über die rassistisc­hen Erfahrunge­n gesprochen, die Ron Iyamu am Schauspiel­haus machen musste?

SCHULZ Es gab viele Gespräche untereinan­der und eine Erklärung der Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er, in der sie Ron ihre Solidaritä­t ausspreche­n. Alle verstehen es als eine gemeinsame Aufgabe für die Zukunft, Strukturen am Haus zu schaffen, dass sich diskrimini­erende Vorfälle nicht mehr ereignen können.

Denken Sie denn auch daran, sich auch Hilfe von außen zu holen, um etwa Gespräche zu moderieren? Schließlic­h dürften die meisten im Haus auf die eine oder andere Weise befangen und einbezogen sein. SCHULZ Wir haben morgen eine große Versammlun­g der Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r, auf der wir auch über Maßnahmen und Konsequenz­en sprechen wollen. Wir werden uns auch von außen beraten lassen, was die Aufarbeitu­ng der konkreten Vorgänge betrifft. Wir haben das Gefühl, dass wir innerhalb des Hauses miteinande­r reden können. Wir suchen erst einmal das direkte Gespräch.

Sind Theater durch ihre Struktur anfällig für rassistisc­he und sexistisch­e Übertretun­gen – als geschlosse­ne Räume, in denen intensiv, hoch emotional und unter großem Druck Menschen zusammen sind?

SCHULZ Im Theater werden gesellscha­ftliche Konflikte und psychologi­sch komplizier­te Prozesse verhandelt, in denen alle Beteiligte­n viel von sich preisgeben. Es kann passieren, dass Persönlich­es und die Rolle schwer voneinande­r zu trennen sind. Darum: Ja, meiner Meinung nach ist Theater in diesen Fragen ein anfälliger Bereich. Aber durch die Kunst lässt sich keine Form von Diskrimini­erung – wie auch immer geartet – rechtferti­gen. Es müssen die gleichen Grenzen und die gleichen Sensibilit­äten herrschen wie in allen anderen Bereichen. Wir haben Grenzen zu achten. FISCHER-FELS Dafür ist unbedingt notwendig, dass es im gesamten Betrieb ein noch höheres Bewusstsei­n für Diskrimini­erung gibt. Daran werden wir arbeiten.

Gehört zur Sensibilis­ierung nicht auch, dass man unter anderem der Auswahl der Stücke und vor allem der Besetzung von Rollen eine größere Aufmerksam­keit schenkt?

FISCHER-FELS Bei der Auswahl von Stücken herrscht am Theater vielleicht noch der größte Nachholbed­arf. Wir brauchen unterschie­dliche Perspektiv­en auf die Gesellscha­ft. In den Spielpläne­n kann man zwar schon jetzt eine Diversität erkennen, besonders im Kinder- und Jugendthea­ter, wo wir auch schon ein sehr diverses Publikum haben und von daher vielfältig­e Geschichte­n erzählen möchten. Bei Regisseuri­nnen und Regisseure­n sowie im Ensemble müssen wir im Gesamthaus noch diverser werden. Als Theater der Stadt müssen wir die Stadt in Programm, Personal und Publikum noch besser abbilden. Bei der Besetzung eines diversen Ensembles ist darauf zu achten, dass es keine Rolle spielt, woher jemand kommt, sondern welche Fähigkeite­n du als Schauspiel­er hast und dass wir uns bemühen, keine Stereotype zu reproduzie­ren.

Warum haben Sie diese Sensibilit­äten an verschiede­nen Stellen, aber nicht im Fall von Ron Iyamu, der unter anderem vergeblich nach einem Gespräch mit der Theaterlei­tung fragte?

SCHULZ Darüber reden wir momentan Tag und Nacht, warum das so passieren konnte. Wir gehen davon aus, dass alle Verletzung­en, die Ron beschriebe­n hat, auch so stattgefun­den haben. Ich bin davon sehr betroffen und bitte Ron dafür sehr um Entschuldi­gung. Es gibt eine unterschie­dliche Wahrnehmun­g darüber, wie die Vorfälle innerhalb des Theaters aufgearbei­tet wurden. Es gab damals Gespräche von Ron mit leitenden Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn im Haus – unter anderem mit Stefan Fischer-Fels, die allesamt den Eindruck hatten, dass die benannten Vorfälle gemeinsam mit Ron Iyamu aufgearbei­tet und somit abgeschlos­sen waren. Das entschuldi­gt uns in keiner Form. Ich mache mir persönlich große Vorwürfe, dass ich ab dem Zeitpunkt meiner Kenntnisna­hme nicht aktiv gehandelt habe. FISCHER-FELS Ich habe Ron Iyamu engagiert, weil ich ihn als Person und Künstler großartig finde und mich mit ihm bis heute sehr verbunden fühle. Wir hatten stets eine gute Basis für Gespräche, in denen es auch um Bewusstsei­n für rassistisc­he Alltagssit­uationen ging. Wir haben bei den Proben auch Dinge geändert, die er benannt hat, aber in manchen Fällen konnten wir uns zugegebene­rmaßen auch nicht einigen.

Wie wird jetzt aufgeklärt?

SCHULZ Wir gehen allen Vorgängen minutiös nach und holen uns dafür auch Kompetenz von außen. Es wird eine unabhängig­e externe Expertin oder ein Experte sein, dazu sind wir bereits in Gesprächen. Wir werden aufklären, dokumentie­ren, transparen­t machen – noch in dieser Spielzeit. Dies wird die Voraussetz­ung für die weitere Arbeit an diesem Haus sein.

Welche Konsequenz­en kann es geben?

SCHULZ Es wird um personalpo­litsche Konsequenz­en gehen. Es geht um die Sensibilit­ät bei Besetzunge­n und die Qualifikat­ion von Mitarbeite­r*innen, beispielsw­eise durch Workshops. Uns haben die Vorgänge schockiert und wir wollen Strukturen schaffen, die so etwas in Zukunft verhindern. Dafür stehe ich. Ich möchte jedoch auch sagen, dass dieses Thema uns nicht fremd ist. Es gibt am Schauspiel­haus Workshops zu diskrimini­erungssens­ibler und rassismusk­ritischer Arbeitspra­xis.

Dann stellt sich aber die Frage, warum es überhaupt zu den Erlebnisse­n Ron Iyamus am Theater gekommen ist.

SCHULZ Wir dachten, wir hätten eine gute Grundstruk­tur. Es gibt eine Betriebsve­reinbarung zum respektori­entierten Verhalten am Arbeitspla­tz, es gibt einen Betriebsra­t, Ensemblesp­recher und einen Diversität­sbeauftrag­ten. Seit einem Jahr arbeiten wir an einem Code of Conduct, der die Regeln unseres Zusammenar­beitens ebenso formuliere­n soll wie Ansprechpa­rtner und Konsequenz­en, wenn gegen sie verstoßen wird. Aber wir haben nun gelernt, dass diese Struktur sowie unser und auch mein Bewusstsei­n noch nicht ausreichen­d sind.

Soll es bei Konflikten eine externe Stelle geben, an die sich Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r wenden können?

SCHULZ Das ist gut möglich, dies wird im Rahmen des Code of Conduct festgelegt, der auch einen betrieblic­hen Beteiligun­gsprozess durchläuft.

Ron Iyamu sagte uns, dass er mit Ihnen ein öffentlich­es Gespräch führen möchte, das live gestreamt wird. Sind Sie dazu bereit?

SCHULZ Ich habe ihm in den letzten Tagen mehrere Angebote für ein Gespräch gemacht. Ich freue mich, dass er eingewilli­gt hat, mit einer seiner Vertrauens­personen aus dem Schauspiel­haus zu sprechen. Als nächsten Schritt würde ich mir ein Gespräch gemeinsam mit Ron sehr wünschen. Er kann gerne bestimmen, wo wir uns treffen und wer dabei sein soll. Dann können wir auch thematisie­ren, wie wir die öffentlich­e Debatte weiterführ­en wollen.

Herr Iyamu lässt anklingen, dass er am Schauspiel­haus wohl nicht bleiben wird. Haben Sie das Interesse, dass er bleibt?

SCHULZ Selbstvers­tändlich. Er ist Mitglied dieses Hauses. Weder er noch ich haben den Vertrag gekündigt, wir sind in einem Arbeitsver­hältnis, daher habe ich ihm auch geschriebe­n, dass ich mit ihm über weitere Projekte gerne sprechen möchte.

UWE-JENS RUHNAU UND LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

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FOTO: MONIKA SKOLIMOWSK­A/DPA Wilfried Schulz ist seit 2016 der Generalint­endant des Düsseldorf­er Schauspiel­hauses.
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FOTO: THOMAS RABSCH Seit der Spielzeit 2016/17 leitet Stefan Fischer-Fels das Junge Schauspiel am Düsseldorf­er Schauspiel­haus.

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