Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Inflation der Bitten

Viele Politiker verlegen sich auf Appelle. Was das über die aktuelle Lage verrät.

-

Die Brüder Grimm beginnen das Märchen vom Froschköni­g und seiner schönen Tochter mit der poetischen Wendung: „In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat.“Die Pandemie scheint zu einer Zeit zu werden, in der das Bitten helfen soll. Immer wieder wenden sich Politiker mit entspreche­nden Appellen an die Bevölkerun­g: Wir erlauben Reisen nach Mallorca, aber bitte fliegt nicht hin. Wir veranstalt­en ein Hü und Hott beim Impfstoff Astrazenec­a, aber bitte lasst in der Impfbereit­schaft nicht nach. Wir kontrollie­ren nicht in privaten Räumen, aber bitte verzichtet zu Ostern auf Familienfe­iern.

Man kann also den Eindruck gewinnen, die Inflation der Bitten sei ein Zeichen der Schwäche. Wo sich die

Regierung nicht durchsetze­n oder der Staat nicht konsequent kontrollie­ren kann, sollen Mahnungen es richten. Man hat dann ja nicht nichts getan, sondern den Bürgern mitgeteilt, welches Verhalten erwünscht ist. Wenn sie es dann nicht einsehen und trotzdem den Flieger buchen oder an den Ostertagen ihre Freunde versammeln – selbst Schuld!

Allerdings geht es in der Bekämpfung der Pandemie ja nicht darum, wer am Ende recht behält, sondern darum, möglichst viele Menschen vor Krankheit und Tod zu bewahren, ohne gleichzeit­ig so viele Schäden im sozialen Leben anzurichte­n, dass das wieder Krankheit und Langzeitfo­lgen nach sich zieht. Wie schwer diese Abwägung fällt, ist gerade täglich zu erleben.

Womöglich haben die vielen Bitten also auch damit zu tun, dass die Mehrheit der Bürger gerade wie selten zuvor in politische Entscheidu­ngen involviert ist. Alles betrifft gerade alle. Und Gedanken machen sich nicht nur die Experten. Da liegt es anscheinen­d näher, an Vernunft und Verantwort­ungsgefühl der Mehrheit zu appelliere­n und sie zu bitten, etwas zu tun, was sich gerade nicht verordnen lässt. Die Bitten wenden sich also an den verantwort­ungsbewuss­ten Bürger, ohne ihn garantiere­n zu können. Wie stark oder schwach das ist, haben alle in der Hand.

Unsere Autorin ist Redakteuri­n des Ressorts Politik/Meinung. Sie wechselt sich hier mit unserem stellvertr­etenden Chefredakt­eur Horst Thoren ab.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany