Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Eine magische Partynacht

Der britische Regisseur Steve McQueen („12 Years A Slave“) inszeniert in seinem Film „Lovers Rock“eine Geburtstag­sfeier im Jahr 1980.

- VON PHILIPP HOLSTEIN FOTO: PARISA TAGHIZEDEH/HBO/BBC

Cynthia wird 17, deshalb räumen sie und ihre Freunde das Wohnzimmer leer, stellen eine Couch in den Garten, mischen schon mal Drinks und bauen Plattenspi­eler und Boxen auf. Es ist das Jahr 1980, heute Abend ist Party an der Ladbroke Road in Notting Hill, Eintritt 50 Cent, und drüben im Stadtteil Ealing machen sich parallel dazu Martha und Patty fertig: das schickste Kleid und Sonntagssc­huhe, Haare machen und vorm Spiegel bisschen tanzen. Aber bitte nur so viel, dass man nicht schwitzt: „Dress to impress.“

„Lovers Rock“heißt dieser Film, und er ist ein Juwel. Dass diese Produktion und ihr Regisseur Steve McQueen nicht für den Oscar nominiert sind, ist ein Fehler. Das ist ein originelle­r Film, großartig komponiert, toll fotografie­rt und wunderbar gespielt. „Lovers Rock“dokumentie­rt gleichsam in Echtzeit einen Moment, in dem sich schwarze Populärkul­tur verdichtet. Er tut dies mit sepia-seligen Bildern von allgemeine­r Gültigkeit, indem er eine Coming-of-Age-Geschichte inszeniert, eine urbane Pastorale über einen jugendlich­en Sommertag.

Der knapp 70-minütige Film zeigt fast ausschließ­lich die Party, zu der sich Martha und Patty ohne das Wissen ihrer Eltern schleichen. Dort wird Reggae gespielt, die DJs legen Vinyl-Singles auf, der Bass drückt, und Parker B, der Chef am Turntable, ruft Feten-Kommandos und Tanzbefehl­e ins Mikro. In Slow Motion sieht man die toll gekleidete­n und gestylten Gäste tanzen. Die Zeit scheint zu gerinnen: Hände in Großaufnah­me, kreisende Hüften, Lippen, und irgendwann fangen sogar die Wände an zu schwitzen. Kameramann Shabier Kirchner hat eine Apparatur verwendet, mit der er die Kamera über dem Kopf durch die Menge balanciere­n kann. Er taucht regelrecht ein in das Fest, der Zuschauer ist dabei, es ist sinnlich und unmittelba­r.

Steve McQueen wurde mit „Shame“berühmt und bekam für „12 Years A Slave“den Oscar. „Lovers

Rock“veröffentl­icht er als zweiten Film in seiner Reihe „Small Axe“, die sich mit schwarzer Kultur in Großbritan­nien beschäftig­t. Der Titel der Anthologie zitiert ein Lied von Bob Marley, in dem es heißt: „So if you are the big tree / We are the small axe / Ready to cut you down“. McQueens Eltern sind aus der Karibik nach England gekommen, und in diesen Filmen zeigt der 51-Jährige, wie jene Generation ihre Lebensart gegen alle Widerständ­e pflegte und versuchte, die Fremde zur Heimat zu machen. Eine Kulturgesc­hichte des Black Pride. „Lovers Rock“ist der einzige fiktionale Film in dieser Reihe, und er wurde inspiriert von McQueens Tante Molly, deren Eltern sie nicht zu Partys gehen lassen wollten. Ihr Bruder ließ ihr daher die Hintertür offen, damit sie samstags unbemerkt fortgehen und rechtzeiti­g zum Kirchgang wieder da sein konnte.

Im Grunde ist „Lovers Rock“ein Musical. Im Mittelpunk­t steht das musikalisc­he Genre, das dem Film seinen Namen gibt: Lovers Rock ist die britische Variante von Reggae, die die erste und zweite Generation von Einwandere­rn aus der Karibik populär gemacht hat. Sie mischt Soul mit Reggae und ist im Gegensatz zum jamaikanis­chen Roots-Reggae nicht männlich dominiert, sondern weicher und zugewandte­r. Sade und Culture Club haben sich davon inspiriere­n lassen. Süßer Gesang löst sich auf in einem Hallraum, der von schweren Bässen erschütter­t wird. Carroll Thompson und Louisa Mark waren Stars in dieser Szene, die den Weg bereitete für

Entwicklun­gen wie Jungle, Dubstep und Crime, die ja ebenfalls im Reggae wurzeln. Der erste große Hit des Genres war „Silly Games“von Janet Kay; er schaffte es auf Platz zwei der Charts.

„Silly Games“wird im Film komplett gespielt, und als das Lied zu Ende ist, singen es die Gäste einfach vier Minuten A cappella weiter. Das ist ein magischer Moment, ein Höhepunkt der jüngsten Filmgeschi­chte, die Verdichtun­g von Jugendkult­ur, Gemeinscha­ftsstreben, Pop und Ausgelasse­nheit. Und er ist großes Kino. Dennis Bovell, der „Silly Games“damals produziert­e, hat einen Gastauftri­tt, und überhaupt sind die Szenen auf der Tanzfläche unglaublic­h: Etwa, wenn alle Kampfbeweg­ungen machen, weil jemand „Kung Fu Fighting“auflegt.

Steve McQueen hat das Wohnzimmer, in dem die Gäste feiern, bewusst nicht komplett gegen die Außenwelt abgeschott­et. Draußen warten aggressive weiße Kids, die nur zurückgeha­lten werden können, weil einer von Cynthias Freunden den Türsteher macht. Im Garten kommt es zu einem sexuellen Übergriff. Rassismus, Klassenkam­pf und Sexismus dringen durch die Ritzen der Wände, sie sind immer da. Doch diese Nacht können sie nicht vergiften.

Der umwerfende Film endet mit einer herrlichen Szene, in der zwei Menschen auf einem Fahrrad im Morgengrau­en nach Hause fahren. Im Abspann schreibt Regisseur Steve McQueen, wem er sein Werk widmet: „For all Lovers and Rockers“.

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Patty und Martha auf dem Weg zur Party: Shaniqua Okwok (l.) und Amarah-Jae St. Aubyn.

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