Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Die große Diabetes-Gefahr für Frauen
Sofiya Gancheva forscht am Deutschen Diabetes-Zentrum in Bilk zur Rolle des Geschlechts bei Entstehung, Diagnose und Therapie der Stoffwechselerkrankung. Die Wissenschaftlerin sagt: „Wir brauchen ein Umdenken.“
BILK Während in der Sprache und Mode über Genderneutralität diskutiert wird, spielt das Geschlecht in der Medizin eine immer größere Rolle. „Bei der Stoffwechselerkrankung Diabetes wissen wir, dass sie sich verschieden äußern und auch anders verlaufen kann, je nachdem, ob eine Frau oder ein Mann sie hat”, sagt Dr. Sofiya Gancheva, die am Deutschen Diabetes-Zentrum in Bilk unter anderem zum „weiblichen Diabetes” forscht.
Schon bei der Diabetes-Diagnose zeigten sich die Unterschiede der Geschlechter. So könne man Diabetes bei Männern bei einer Blutabnahme im nüchternen Zustand erkennen, als erstes Zeichen sei dann der Blutglukosespiegel, der sogenannte Nüchternblutzucker, erhöht. „Bei Frauen sieht man aber erst einen starken Anstieg der Glukosewerte nach dem Essen”, sagt Gancheva. Der sogenannte Glukosetoleranztest sei deswegen bei ihnen aussagekräftiger: „Dabei wird zuerst eine Zuckerlösung getrunken, dann die Blutglukose gemessen.“Das sei allerdings aufwendiger und kostenintensiver, zudem fehle in vielen Arztpraxen dieses Wissen um den Unterschied bei Männern und Frauen. „Wir brauchen ein Umdenken, müssen den ,weiblichen Diabetes’ bekannter machen und Ärzte für die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Diabetes-Vorsorge und -Behandlung sensibilisieren”, sagt Gancheva.
Für Frauen kann dieser Unterschied fatale Folgen haben. Denn die chronische Stoffwechselerkrankung wird bei ihnen somit oft erst viel später erkannt und damit auch erst viel später behandelt. „Eine Diabetes-Diagnose vor dem 40. Lebensjahr bedeutet bei Frauen aber schon den Verlust von durchschnittlich 14 Lebensjahren!”, warnt die Wissenschaftlerin,
die auch als Ärztin an der Klinik für Endokrinologie und Diabetologie der Düsseldorfer Uniklinik arbeitet.
In der geschlechtsspezifischen Medizin beschäftigt man sich auch damit, wie unterschiedlich Medikamente bei Männern und Frauen wirken. „Hormone, Unterschiede im Immunsystem sowie im Stoffwechsel bedingen, dass Medikamente bei Frauen und Männern verschieden wirken”, sagt die Düsseldorfer Wissenschaftlerin. Medikamente seien allerdings häufiger an Männern getestet worden beziehungsweise an Frauen in der Menopause. „Es ist daher immer noch nicht so gut erforscht, wie Medikamente auf den weiblichen Organismus wirken und welche Nebenwirkungen sie bei Frauen auslösen können.”
Ein anderes Problem sei das Einnahmeverhalten. Frauen neigten dazu, ihre Medikamente unregelmäßig, in zu geringer Dosis oder gar nicht zu nehmen, weil sie häufiger Nebenwirkungen bekommen. „Daher ist es elementar, dass Frauen mit ihren Ärzten Therapien vereinbaren, die sie vertragen und mit denen sie zugleich ihre Zielwerte erreichen.” Frauen mit starkem Übergewicht (Adipositas) und Diabetes litten zudem häufiger an Depressionen. Dabei verschlechtere sich dann auch das Essverhalten und körperliche Aktivitäten nähmen ab, was sich negativ auf Diabetes auswirke.
Ein weiterer wichtiger Faktor für das Diabetesrisiko sei Übergewicht, vor allem bauchbetontes. „Frauen sind leider häufiger von Adipositas betroffen und somit gefährdet, einen Typ-2-Diabetes zu bekommen”, sagt die Wissenschaftlerin. Kritisch für die Gesundheit werde es bei Frauen ab einem Taillenumfang von 88 Zentimetern, bei Männern erst ab 102. Zudem hätten Frauen im Vergleich zu Männern auch eine geringere Muskelmasse. Körperliche Aktivität und die Vermeidung von Muskelmasseabbau vor allem im Alter spiele bei Frauen deswegen eine entscheidende Rolle bei der Prävention.
Eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung sei wichtig, mindestens drei Portionen Gemüse und zwei Portionen Obst sollten am Tag verzehrt werden und möglichst Vollkorngetreideprodukte.
Auf Fett und fettreiche Produkte, Zucker, gesüßte Lebensmittel und Getränke sollte man wiederum möglichst verzichten. Mindestens zweieinhalb Stunden Sport sollten pro Woche auf dem Programm stehen und mindestens 10.000 Schritte täglich absolviert werden. Ausdauertraining sollte mit Krafttraining kombiniert werden, sagt Gancheva. Das Sportprogramm allein auf das Wochenende zu konzentrieren, reiche allerdings nicht: Denn man sollte nie länger als zwei Tage keinen Sport ausüben.