Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Wo das Herz der Neusser Wirtschaft schlägt
Er ist Innovationsmotor, Produktionsort und Warenumschlagplatz: Der Hafen sorgt für Wohlstand und Arbeitsplätze in der Region.
NEUSS Gäbe es keinen Hafen, hätte sich Neuss bis an die Ufer des Rheins ausdehnen können. Nur: Ohne den Hafen hätte es einer solchen Ausdehnung gar nicht bedurft. Denn das Wachstum der Stadt, sowohl was die Wirtschaftskraft als auch die Bevölkerungszahl betrifft, ist eng mit der Entwicklung ihres Hafens verbunden. Zählte Neuss 1885 nur 20.000 Einwohner, hatte sich diese Zahl bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs bereits verdoppelt. Und das lag vornehmlich daran, dass aus den „Neusser Weiden“der „Neusser Hafen“geworden war. Die
Pläne für die gabelförmige Anlage mit fünf Zinken,
1904 vom Berliner Ingenieurbüro Havestadt & Contag erstellt, wurden auf der Weltausstellung in Brüssel 1910 mit einem „Grand
Prix“ausgezeichnet.
Von seiner wirtschaftlichen Bedeutung hat der
Hafen nichts eingebüßt. Im Gegenteil: „Er ist einer der wichtigsten Industriestandorte im Stadtgebiet“, sagt
Daniel Genz vom Neusser Amt für Wirtschaftsförderung. Weil der Hafen als Industriegebiet ausgewiesen ist, können sich dort nämlich Unternehmen ansiedeln, die im 24-Stunden-Schichtbetrieb arbeiten oder vergleichsweise hohe Emissionen ausstoßen. Für die städtischen Wirtschaftsförderer besteht deshalb kein Zweifel: „Um den Wirtschaftsstandort Neuss zu sichern, muss der Status als Industriegebiet auch in der Zukunft erhalten bleiben.“
Rund 150 Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen tummeln sich auf den 252,6 Hektar, die als Industriegebiet ausgewiesen sind – der gesamte, als „Hafen“bezeichnete
Stadtbezirk umfasst rund 4,7 Quadratkilometer. Er ist, wenig überraschend, mit 173 Einwohnern (Stand 2018) der am dünnsten besiedelte. Dieser Zahl stehen rund 5000 Beschäftigte gegenüber, die vornehmlich in Produktion und Logistik tätig sind. Die Palette der im Hafen hergestellten Güter ist groß, Schwerpunkte sind Lebensmittel („Food City“), Automobilzubehör, Hygieneartikel, Papier und Maschinenbau. Bekannte Unternehmen sind Rheinmetall/ Pierburg, Sels, Thywissen und die Plange-Mühle.
Gerade die „Food-City“hat – Stichwort: Öl- und Mehlmühle – eine besondere Bedeutung für die Zukunft des Wirtschaftsstandorts, und zwar weit über Neuss hinaus. Denn der Hafen ist ein Innovationsmotor. Im Zuge des Strukturwandels soll ein sogenanntes Launch-Center für die Lebensmittelwirtschaft (LCL) etabliert werden.
Zu den Zielen gehört, eine offene Entwicklungsplattform entlang der Lebensmittelproduktionskette zu schaffen. Als Partner für das LCL ist die Hochschule Niederrhein im Boot. Besonderes Augenmerk gilt pflanzlichen Lebensmitteln und alternativen Proteinen sowie der Verwertung pflanzlicher Roh- und Reststoffe mit Schnittstellen zu den Bereichen Gesundheit, Agrarwirtschaft und Maschinenbau. Gedacht ist das LCL zum einen als Partner für etablierte Unternehmen. Zum anderen agiert es als Knotenpunkt für Gründungsinitiativen.
Der Hafen ist einerseits Konstante im Leben der Stadt. Aber er ist auch beständigem Wandel ausgesetzt. Das zeigt ein Blick in die Historie. Der Traktorenhersteller International
Harvester Company (IHC, später Case), der sich 1908 gemeinsam mit dem Heizungshersteller „Nationale Radiator Gesellschaft“– beides Töchter US-amerikanischer Großunternehmen – im Hafen ansiedelte, zählte zu Beginn der 1970er Jahre 3500 Mitarbeiter, was damals einem Fünftel der Neusser Erwerbstätigen entsprach. Nachdem 1997 das letzte der „roten Pferdchen“vom Band gefahren war, erwarb die Stadt das zwischen den Hafenbecken I und II gelegene Areal und ließ die historischen, zum Teil noch vor dem Ersten Weltkrieg errichteten Gebäude abbrechen, um das Gelände für zukünftige Ansiedlungen vorzubereiten. Eine Maßnahme, die 2014 mit dem Umzug des inzwischen zur
Rheinmetall-Gruppe zählenden Automobilzulieferers Pierburg abgeschlossen wurde.
Eine Weiterentwicklung des Industriegebietes wird in Zukunft nur auf ähnliche Weise möglich sein. „Freie Flächen gibt es nur noch bei Wegzug eines anderen Unternehmens“, sagt Daniel Genz. Wobei die meisten Grundstücke inzwischen im Besitz der „Neuss-Düsseldorfer Häfen GmbH und Co. KG“(NDH) sind und von dieser vermarktet werden. Die NDH entstand 2003 durch den Zusammenschluss der bis dahin eigenständig agierenden Rheinhäfen Neuss und Düsseldorf und stieg damit zum nach Duisburg zweitgrößten Binnenhafen Deutschlands auf. 2008 erwarb die NDH 49 Prozent der Anteile an der „Hafen Krefeld GmbH und Co. KG“, vier Jahre später erfolgte zusammen mit der „Häfen und Güterverkehr Köln AG“die Gründung des gemeinsamen Tochterunternehmens „Rhein Cargo“. Herzstück des trimodalen Logistikzentrums ist der 2009 fertiggestellte Containerterminal am Hafenbecken 5, in dem jährlich mehr als eine Million Container vom Wasser auf Schiene oder Lkw (und umgekehrt) umgeladen werden. Dafür unterhält die NDH ein eigenes Schienennetz von rund 80 Kilometern Länge (Neuss und Düsseldorf) – Tendenz steigend: „Häfen sind heute wichtige trimodale Umschlagstandorte. Insbesondere der Schienengüterverkehr soll in den nächsten Jahren
weiter zunehmen,“sagt NDH-Geschäftsführer Sascha Odermatt. Ziel ist, durch den Ausbau des Schienennetzes rund 12.500 Lkw-Fahrten im Jahr zu vermeiden.
Als „Logistikzentrum“hat auch die Geschichte des Neusser Hafens begonnen. „Bereits das um 16 v. Chr. errichtete erste römische Lager Novaesium muss nach der Gründung bald über einen Hafen für Lastschiffe verfügt haben, doch wird sich dieser noch weiter südlich in unmittelbarer Nähe des Militärlagers nördlich der Erftmündung befunden haben,“schreibt Stadtarchivar Jens Metzdorf in dem von ihm herausgegeben Buch „Die Straßen von Neuss“. Die ersten Waren: Weizen und Wein.