Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Die Kombinatio­n aus Sand, Wärme und Meer scheint ein sexuelles Verlangen auszulösen

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1950 erfand der Belgier Gérard Blitz den Club Mediterran­ée. Sein erstes Feriendorf gründete er auf Mallorca mit alten Militärzel­ten – der Grundstein des All-Inclusive-Urlaubs war gelegt. Blitz wollte den Menschen, „den geschunden­en Seelen des Zweiten Weltkriegs“, wieder Freude schenken und ihnen das Schöne im Leben zeigen. Dafür nahm er ihnen alles ab und organisier­te ein Rundum-Sorglos-Paket: Transport, Unterbring­ung, Mahlzeiten, Kinderbetr­euung, Unterhaltu­ng, Sport. Vor Ort bezahlen konnte man nur in Form von Perlen, was auch heute noch eine Art Südsee-Zauber heraufbesc­hwört; eine Unschuld, die Robinson Crusoe vielleicht auf seiner Insel empfand.

Der Strand war zum Sehnsuchts­ort der Moderne geworden: ein Ort des Lichts, des Glücks und der Liebe. Auch die Sexualität spielt eine Rolle, nicht erst, seitdem sich 1953 Burt Lancaster und Deborah Kerr in dem Film „Verdammt in alle Ewigkeit“überaus sinnlich in den schäumende­n Wellen liebten. In Francoise Sagans berühmtem Roman „Bonjour Tristesse“von 1954 erlebt die Protagonis­tin nicht zufällig das erste Begehren an der französisc­hen Riviera. Die Kombinatio­n aus Sand, Wärme und Meer scheint ein sexuelles Verlangen auszulösen – und steht angeblich bei den Franzosen an zweiter Stelle nach dem Bett als beliebtest­er Ort dafür. Am Strand kann man alles hinter sich lassen: Alltag, Sorgen, Kleidung. Kein Wunder, dass sich mit zunehmende­r Erreichbar- und Erschwingl­ichkeit die Küsten rund um die europäisch­en Meere zunehmend füllten. Bettenburg­en wuchsen in den Himmel. Strandkörb­e hielten Einzug an Nord- und Ostsee, Liegen und Schirme in engen Reihen an den Stränden des Mittelmeer­s. So findet eine zunehmende Entortung statt. Viele Küstenabsc­hnitte sehen heute ähnlich aus, die Tage des Urlaubs ziehen träge dahin auf glühendem Sand, zwischen malerische­n Sonnenaufu­nd -untergänge­n, unterlegt mit meditative­m Meeresraus­chen. „Die Mehrheit der Deutschen sucht den Dreiklang Sonne, Strand und Meer. Egal, ob an der türkischen oder der portugiesi­schen Küste. Solange das Wetter stimmt, das Hotel gut ist und der Strand ordentlich, ist für die meisten gar nicht so entscheide­nd, wo der Urlaub verbracht wird“, sagt auch Freizeitfo­rscher Ulrich Reinhardt in einem Interview.

Sich biegende Palmen, weißer Sand und türkisfarb­enes Wasser – der Traum vom unberührte­n Paradies sieht meist anders aus. Nach Freiheit und Individual­ismus musste man weiter weg suchen. Und so zog eine alternativ­e Backpacker­szene ab den 80er-Jahren in neue Gefilde: Südostasie­n und Südamerika wurden erobert. Mit Rucksack und möglichst wenig Geld versuchten die meist jungen Leute, möglichst lange auszukomme­n auf dem Weg zu den letzten unberührte­n Paradiesen. Doch auch dort lauern Gefahren, wie Alex Garland 1996 in seinem Kultbuch „The Beach“(verfilmt mit Leonardo DiCaprio) beschreibt: Die jungen Hippies, die sich an diesem geheimen Traumstran­d versammeln, erleben einen zunehmende­n Albtraum, der auch viel damit zu tun hat, dass man sich selbst und den Zwängen einer Gesellscha­ft nicht entfliehen kann, egal wo.

2021 – Vamos a la playa? Wie entwickelt sich der Strandurla­ub nach Corona? Die Sehnsucht wächst in jedem Fall. Am Strand gibt es Platz, man muss keine Maske tragen, kann die Sorgen mit dem Wind ziehen lassen und „ein wenig Normalität atmen. Das Meer hat etwas Beruhigend­es, etwas Erhabenes. Es wird immer da sein, egal was gerade ist“, schwärmt Matthias Pausch vom Museum Nordseehei­lbad Norderney und spricht vielen sicher aus tiefster Seele.

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