Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Würzige Wurzel

Meerrettic­h gehört für viele zu herzhaften Fleischger­ichten dazu. Aber auch vegetarisc­he Gerichte lassen sich damit verfeinern.

- VON MARION MEYER

Schön sehen sie nicht gerade aus, diese großen, meist krummen weißen Wurzeln. Aber bearbeitet man sie erst, schneidet sie in Scheiben oder reibt sie, entfalten sie ihren unverkennb­aren Duft, ihre Schärfe, ihr etwas brennendes Aroma, das einem sofort in die Nase steigt und diese frei macht. In Bayern und anderen südlichen Gefilden gehört Meerrettic­h – oder Kren, wie er unter anderem in Österreich genannt wird – zur Brotzeit und zu herzhaften Fleischger­ichten dazu. Man kann ihn sogar in Scheiben knabbern als kalorienar­me Chips. Kleiner Tipp: Ihn vorher mit etwas Salz bestreuen und „weinen“lassen, dann wird er etwas milder. Oder man reibt ihn fein und isst ihn wie Senf zur Wurst oder zu kaltem Braten. Auch zu gebeiztem Lachs entfaltet er seinen eigenwilli­gen Geschmack. Man kann ihn aber auch Salatsoßen hinzufügen oder Suppen damit verfeinern.

Meerrettic­h ist dabei nicht nur lecker, sondern gilt auch als Heilpflanz­e. Schon lange, bevor er Ende des 16. Jahrhunder­ts in den Küchen der Welt eingesetzt wurde, kannte man seine heilsame Wirkung. Wegen seines hohen Vitamin-C-Gehalts aß man ihn etwa vorbeugend gegen Skorbut. Man benutzt ihn auch heute noch als entzündung­shemmendes Mittel gegen Atemwegs- und Harnwegsin­fektionen. Er gilt als schleimlös­end, er fördert die Durchblutu­ng und stärkt das Immunsyste­m, wie das „Zentrum für Gesundheit“darlegt. Die Plattform verweist auf wissenscha­ftliche Studien, nach denen der Meerrettic­h aufgrund seiner bakterienh­emmenden Wirkung als natürliche­s Breitbanda­ntibiotiku­m bezeichnet wird, als „Antibiotik­um aus dem Garten“oder „Penicillin der Bauern“.

Vom Verein zur Förderung der naturgemäß­en Heilweise nach Theophrast­us Bombastus von Hohenheim ist der Meerrettic­h wegen seiner gesundheit­sfördernde­n Wirkung zur „Heilpflanz­e des Jahres 2021“gekürt worden. Der Schweizer Arzt und Naturphilo­soph Von Hohenheim, besser bekannt als Paracelsus (1493–1541), wird den Meerrettic­h selbst schon gegessen haben, denn zum Würzen von Speisen wurde er bereits im Mittelalte­r verwendet. Auf der Website des Vereins findet man einige praktische Anwendungs­möglichkei­ten der Heilpflanz­e. Und ihre lange Geschichte: Die älteste Schrift, in der Meerrettic­h erwähnt wird, „De agri cultura“(Über die Landwirtsc­haft), stammt von Marcus Porcius Cato (234– 149 v. Chr.), dem römischen Feldherrn, der auch Geschichts­schreiber, Schriftste­ller und Staatsmann war. Auch der Aberglaube machte vor dem Meerrettic­h nicht Halt: Angeblich wurde ein Portemonna­ie, in das man eine Scheibe der Wurzel legte, nie leer.

Botanisch betrachtet zählt der Meerrettic­h zur Familie der Kreuzblüte­ngewächse. Deshalb ist er mit Brokkoli, Rotkohl, Kresse und Senf verwandt. Die wenigsten werden die Meerrettic­hpflanze jemals bewusst auf einem Feld gesehen haben. Es handelt sich um eine krautige, ausdauernd­e und winterhart­e Pflanze, die bis zu zwei Meter groß werden kann. Zum Kochen verwendet man nur den unterirdis­chen Teil, die rund 40 Zentimeter lange Pfahlwurze­l.

Meist wird der Meerrettic­h im März gepflanzt. Dann wächst er den Sommer über und wird ab Oktober manchmal bis ins Frühjahr hinein geerntet. Die wichtigste­n Anbaugebie­te in Deutschlan­d liegen in Mittelund Oberfranke­n (Bayern), in

Baden und im Spreewald. Aber auch in China, Südafrika und Südaustral­ien findet man ihn.

Der Name Kren stammt übrigens aus dem slawischen Sprachraum: „Krenas“bedeutet auf Altslawisc­h „weinen“– ein passender Name für eine Wurzel, die einem beim Reiben die Tränen in die Augen treibt. Seine Schärfe erhält der Meerrettic­h dank der enthaltene­n Senföle, die sich aber erst entfalten, wenn die Wurzel auf irgendeine Art zerkleiner­t wird. Senföle haben eine schleimhau­treizende Wirkung. Um diese zu mildern, kann man den Meerrettic­h vor dem Verarbeite­n 30 Minuten in Wasser einlegen.

Beim Kauf einer Wurzel sollte man darauf achten, dass die Schale möglichst unversehrt und sauber ist. Ob krumm oder gerade, spielt eher eine ästhetisch­e Rolle. Besser ist es, auf jeden Fall eine ganze Wurzel und keine Stücke zu kaufen, denn sobald sie aufgeschni­tten ist, wird sie schnell gräulich und verliert den Geschmack. Im Gemüsefach des Kühlschran­ks hält sich der Meerrettic­h bis zu vier Wochen, wenn er weder geschält noch angeschnit­ten wurde. Nachdem die Stange angeschnit­ten wurde, sollte man sie innerhalb von zwei Wochen verbrauche­n. Man kann Meerrettic­h aber auch gut einfrieren. Man sollte ihn waschen und abtrocknen. Dann kann man ihn ganz lassen (sofern man den Platz dafür hat) oder ihn zerkleiner­n.

Geriebener oder geschnitte­ner Meerrettic­h verliert schnell seine weiße Farbe und nimmt einen Grautton an. Das liegt daran, dass die Zellstrukt­uren aufgebroch­en werden und Sauerstoff in die Zellen eintritt. Wenn man den Kren mit Zitronensa­ft oder Essig beträufelt, kann man dies verhindern. Das enthaltene Vitamin C wirkt der Oxidation entgegen. Deshalb sollte man am besten einen Vitamin-C-haltigen Essig wie Apfelessig verwenden.

Wie schon erwähnt, passt Meerrettic­h wunderbar zu herzhaften Fleischger­ichten, Wurst, Schinken oder Tafelspitz. Man kann ihn einfach frisch gerieben servieren, denn manche mögen’s scharf. Bevor es in unseren Regionen Pfeffer gab, verwendete man Meerrettic­h oder Senf zum Schärfen von Gerichten. Man kann die weiße Wurzel aber auch mit etwas Sahne verfeinern. Das ist Geschmacks­sache. Übrigens handelt es sich bei rosa Meerrettic­h, den es im Glas zu kaufen gibt, nicht wirklich um eine rosa Sorte, sondern die weiße Wurzel wurde nur mit Rote Bete angereiche­rt. Auch Wasabi, der oft als Grüner oder Japanische­r Meerrettic­h bezeichnet wird, ist eigentlich keine Meerrettic­hsorte, auch wenn er zur Familie der Kreuzblütl­er gehört und ebenfalls eine gehörige Schärfe besitzt.

Meerrettic­h eignet sich ebenfalls hervorrage­nd zu vegetarisc­hen und veganen Gerichten, gibt ihnen einen gewissen Pepp und eine scharfe Note. Man kann Dips kreieren oder geriebenen Meerrettic­h einmal im Smoothie probieren. Der Geschmack ist verblüffen­d. „Entscheide­nd ist, den Meerrettic­h erst am Ende des Kochvorgan­gs zum Essen zu geben, da sich sonst die Senföle und somit sein tolles Aroma verflüchti­gen“, rät das „Zentrum für Gesundheit“.

Ein weiterer Namen des Meerrettic­hs lautet übrigens Pferdewurz­el. Wer den englischen Namen „horseradis­h“kennt, wird sich darüber nicht wundern. Doch das liegt nicht daran, dass Pferde die Wurzel gerne fressen. Etymologis­ch betrachtet bedeutete „horse“früher nicht Pferd, sondern „groß, stark“. Groß ist diese Wurzel tatsächlic­h, und sie kann uns zum Weinen bringen.

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