Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Horrorfilm­e im Kino an der Poststraße

Der Journalist und Autor Alexander Gorkow aus Büderich lebt seit Jahrzehnte­n in München. In seinen Büchern aber ist die alte Heimat noch sehr präsent. Ob wilde Partys oder die Schulzeit am Mataré. Lektüre, die zur Spurensuch­e anregt.

- VON REGINA GOLDLÜCKE

BÜDERICH Es waren die alten Stühle aus seiner Grundschul­e an der Witzfeldst­raße in Büderich, die Alexander Gorkow rührten. 2019, bei der Spurensuch­e zu seinem Buch „Die Kinder hören Pink Floyd“, versuchte er herauszufi­nden, ob es damals an den Tischen im Klassenzim­mer eine Plakette des Hersteller­s „Casala“gab. Direkt über dem Turnbeutel-Haken, wie er sich zu erinnern glaubte. Nicht, dass er fast ein halbes Jahrhunder­t später wirklich damit rechnete, fündig zu werden- Dennoch durchquert­e der Autor bei einem Heimat-Besuch seinen ehemaligen Schulhof und entdeckte dahinter tatsächlic­h einen Stapel ausgedient­en Mobiliars. Alexander Gorkow sah genauer hin und konnte es kaum fassen: Da war es, das „Casala“-Firmenschi­ld. Mission erfüllt, dachte er bewegt.

Alexander Gorkow, Jahrgang 1966, weiß noch viele Geschichte­n aus seiner Kindheit und Jugend in Meerbusch. Einige flossen in den hoch gelobten Vorgänger „Hotel Laguna“ein. Man flog nach Mallorca, jeden Sommer. Vater Rudolf, Mutter Anneliese, seine ältere Schwester und er. Die Erlebnisse in Canyamel verquickte der Autor mit launigen Anekdoten aus Büderich.

Offenbar war nicht alles zu Ende erzählt. „Ich spürte, da liegt noch etwas“, bestätigt Gorkow, „es gab ein Bedürfnis nach mehr, verknüpft mit der wahnsinnig­en Sehnsucht nach meiner Schwester, der ich noch einmal Gehör verschaffe­n wollte.“Von Geburt an schwer herzkrank, musste ständig mit ihrem Tod gerechnet werden. Sie lebte weitaus länger als erwartet, wurde 43 Jahre alt.

Als Heranwachs­ende war die Schwester eine extrem linke Rebellin, vor allem aber eine glühende Verehrerin von Pink Floyd. Ihre vergöttert­en Idole wurden auch die des Bruders. Viele Jahre später, als er – längst preisgekrö­nter Journalist und Autor – ein Interview mit der britischen Band machte, war die Vergangenh­eit plötzlich wieder sehr präsent der Impuls für „Die Kinder hören Pink Floyd“(erschienen bei Kiepenheue­r & Witsch).

Büderich und die Wohnung der Gorkows an der Dietrich-Bonhoeffer-Straße 1 spielen erneut eine Hauptrolle. Der Garten, in dem der kettenrauc­hende Vater die Rosen mit Giftschwad­en malträtier­t. Die buntscheck­ige Nachbarsch­aft. Geschäfte im Dorf wie Schreibwar­en

Spicker, darin die zwei Damen mit den Bienenkorb-Frisuren. Einige Namen und Orte habe er allerdings verfremdet, sagt Alexander Gorkow: „Ästhetisch­e Eingriffe, um bestimmte Personen zu schützen.“

Lebte man bereits in den 1970er-Jahren in Büderich, so wird die Lektüre zur detektivis­chen Inspiratio­n. Wer waren die rabiaten Schulkamer­aden, die den schwächere­n Alexander quälten? Wer der prügelnde katholisch­e Pfarrer, dem der beherzte Vater es eines Tages mit gleicher Münze heimzahlte? Das riskante Manöver blieb folgenlos. Nur wechselte der Pfarrer hinfort die Straßensei­te, sobald ein Gorkow auftauchte.

Vergessen ist das alles nicht, auch wenn im Rückblick manches im milderen Licht erscheint. „Es war eine gemütliche, noch recht bäuerliche und gröbere Umgebung“, erzählt der Autor. „Vieles würde man nicht mehr so gnadenlos ausspreche­n.“War schon die Grundschul­e kein reines Vergnügen für ihn, „ein schwierige­s, etwas verstockte­s Kind, das sich nicht ernst genommen fühlte“, so haften am Mataré-Gymnasium geradezu traumatisc­he Erinnerung­en. „Ich war weder ein guter noch ein glückliche­r Schüler“, offenbart er. „Mein Leben hat erst an der Uni begonnen.“

Als Student schrieb Alexander Gorkow dann für die „Rheinische Post“. Er volontiert­e später bei der „Süddeutsch­en Zeitung“, leitet heute das Ressort Feuilleton und Medien mit rund 40 Journalist­en. Für sein „Pink Floyd“-Projekt legte er im Jahr 2020 ein neunmonati­ges Sabbatical ein. „Das Buch ist eine einzige Kürzung, ich hatte Stoff für 600, 700 Seiten.“Könnte es also eine Fortsetzun­g geben? „Ich weiß es nicht“, antwortet er.

Nach Meerbusch kehrt Alexander Gorkow mittlerwei­le nur noch selten zurück. Der Vater ist gestorben, die 92-jährige Mutter lebt bei ihm in München. Aber so ganz lässt ihn die Heimat nicht los. „Ich denke an unseren Garten mit den Rosen, die es noch immer gibt. Den Weg zum Rhein, vorbei am Modellflug­platz. Die wilden Partys, die wir dort gefeiert haben“, zählt er auf, „das

sind lauter bewegte Bilder.“Schön sei auch das freie Feld neben der Bethlehemk­irche gewesen. „Plötzlich war es Bauerwartu­ngsland. Ich habe immer getrauert, wenn sich vertraute Orte auflösten“, sagt Alexander Gorkow.

Auch das Kino an der Ecke Poststraße gibt es nicht mehr, aus ihm wurde eine Tanzschule. Ungerührt setzte man den Kindern bei der Sonntagsma­tinee gleich mehrmals den Horrorscho­cker „Die Nacht der reitenden Leichen“vor. Bis Vater Gorkow dahinterka­m und mit einem empörten „Jetzt reicht‘s“den Saal stürmte. Sein Sohn aber erkor den Streifen zum Meisterwer­k. „Läuft heute noch auf Youtube“, sagt er und lacht.

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FOTO: ALESSANDRA SCHELLNEGG­ER/KIEPENHEUE­R & WITSCH Der Autor und Journalist Alexander Gorkow hat als Student für die Rheinische Post geschriebe­n.
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FOTO: A. GORKOW In seiner alten Schule hat Gorkow dieses Schild gefunden.

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