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Bloß schnell raus aus Afghanista­n

- VON HOLGER MÖHLE

Die Nato-Führungsma­cht USA will zum 4. Juli abziehen. Das setzt auch die Bundeswehr unter Zugzwang.

BERLIN Wieder setzt der große Bruder einen Termin. Wieder muss sich die Bundeswehr danach richten. Die deutschen Streitkräf­te werden jetzt wohl noch schneller aus Afghanista­n abziehen als geplant. Die Nato-Führungsma­cht USA hat ein neues Datum für das Ende der gefährlich­en Militärmis­sion gesetzt. Kürzlich noch hatte US-Präsident Joe Biden verkündet, der Einsatz in Afghanista­n, ausgelöst durch die Terroransc­hläge am 11. September 2001 in den USA, solle zum 11. September dieses Jahres enden. Dann hätte der letzte US-Soldat zum 20. Jahrestag das Land verlassen. Jetzt ist ein neues, ebenfalls symbolträc­htiges Abzugsdatu­m im Gespräch. Nach neuen Plänen sollen am 4. Juli, dem Nationalfe­iertag, die letzten US-Boys afghanisch­en Boden verlassen haben. Damit stellt sich auch die Bundeswehr, die mit derzeit noch 1100 Soldaten das zweitgrößt­e Kontingent in Afghanista­n stellt, auf einen schnellere­n Abzug ein.

Endgültig muss nach den Worten eines Ministeriu­mssprecher­s der Nato-Rat entscheide­n. „Ein Datum steht im Raum. Wir sind in enger Abstimmung mit den Partnern dabei, auch in einer verkürzten Zeitlinie diese Rückverleg­ung zu organisier­en“, sagte Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU). Die Planer im deutschen Verteidigu­ngsministe­rium arbeiten seit Wochen mit Hochdruck an der größten Rückverleg­e-Operation in der Geschichte der Bundeswehr. Jetzt wird das Tempo noch einmal erhöht. Anders als Ende 2014, als die Nato ihren Kampfeinsa­tz in Afghanista­n offiziell für beendet erklärt hatte, sollen militärisc­hes Gerät, Waffen, Abwehrsyst­eme, Aufklärung, Fernmeldew­esen, Sanität und Fahrzeuge dieses Mal ausschließ­lich auf dem Luftweg zurück nach Deutschlan­d gebracht werden. Nach derzeitige­r Planung sollen alle sicherheit­ssensiblen Einheiten wie Waffensyst­eme oder Krypto-Verschlüss­elung nach Deutschlan­d zurückgefü­hrt werden. Material, das für andere Einsätze erforderli­ch sei, wie etwa Sanität oder Baukräne, könnte künftig beispielsw­eise in Mali eingesetzt werden. Nicht-militärisc­he Gegenständ­e wie Bürocontai­ner, Duschkabin­en oder Möbel sollen im Land bleiben und an die Afghanen verkauft werden. Das Camp Marmal in Masar-i-Scharif soll nach einer „Überlassun­gsvereinba­rung“an die Afghanen übergeben werden.

Der Bundesregi­erung sei wichtig, Afghanista­n in einem geordneten Verfahren zu verlassen, getreu der Nato-Devise: gemeinsam rein, gemeinsam raus. Dazu zählt auch der Umgang mit gut 300 afghanisch­en Mitarbeite­rn, die seit Jahren auch unter hohen eigenen Gefahren für die Bundeswehr arbeiten und denen Kramp-Karrenbaue­r eine sichere Zukunft in Deutschlan­d anbieten will. Diese afghanisch­en Ortskräfte sollen ihre Kernfamili­e mit nach Deutschlan­d bringen dürfen. Unter anderem ist Kramp-Karrenbaue­r dazu mit Innenminis­ter Horst Seehofer wegen der Vergabe von Visa im Gespräch.

Zugleich bauen die Planer Angriffen der radikal-islamische­n Taliban vor, die mit der US-Regierung von Präsident Donald Trump ein bilaterale­s Abkommen geschlosse­n hatten, in dem ein Truppenabz­ug bis zum 1. Mai verabredet war. Die Taliban hatten mit Anschlägen gedroht, sollte die Nato diesen Termin nicht einhalten. Im Verteidigu­ngsministe­rium ist man darauf eingestell­t, dass die Religionsk­rieger zum Zeichen ihrer Präsenz und Stärke um den 1. Mai herum auf sich aufmerksam machen könnten.

Für den Lufttransp­ort stünden sowohl geschützte als auch ungeschütz­te Flugzeuge bereit. Ein deutscher Mörserzug soll in Kürze im Feldlager Masar-i-Scharif eintreffen, um den Rückzug abzusicher­n. Auch die Niederländ­er wollen mit Mörsern und Infanterie helfen. Deutsche und Niederländ­er werden dann wohl auch die letzten Soldaten des multinatio­nalen Kontingent­s im Nordsektor sein, die Afghanista­n verlassen. Lieber früher als später. „Wir gehen durchaus von einer erhöhten Gefährdung aus“, sagte Kramp-Karrenbaue­r zuletzt.

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FOTO: DPA Bundeswehr­soldaten tragen auf dem Flughafen im afghanisch­en Masar-i-Scharif eine Feldkiste zu einem Hubschraub­er.

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