Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Ein später Star

Im August 2020 starb Chadwick Boseman. Für seine letzte Hauptrolle ist er posthum für den Oscar nominiert.

- VON PHILIPP HOLSTEIN FOTO: DAVID LEE/DPA

Das war seine letzte Rolle, er spielte den jungen Trompeter Levee, und der will eine Band gründen, er will Lieder schreiben, Musik machen und leben. Chadwick Boseman spielte diesen Stürmer und Dränger, der zuerst eine Nervensäge ist und ein Besserwiss­er, sich aber allmählich als tief verwundete Seele zu erkennen gibt und schließlic­h zum Mörder wird. Man ahnt, wie viel Kraft diese intensive Darstellun­g gekostet haben mag. Die Dreharbeit­en zu „Ma Rainey’s Black Bottom“begannen im Sommer 2019; Boseman war bereits todkrank, litt an Darmkrebs, doch kaum jemand wusste es. Das Ensemble wunderte sich, warum er so mager war und sein Team ihn abschirmte. Die Kollegen ahnten nicht, dass Boseman Drehpausen für die Chemothera­pie nutzte. Am 28. August 2020 starb der 43-Jährige.

Erst nach seinem Tod wurde „Ma Rainey’s Black Bottom“bei Netflix veröffentl­icht, und nun ist Boseman für den Oscar als bester Hauptdarst­eller nominiert. Anthony Hopkins und Gary Oldman gehören zu seinen Konkurrent­en, aber Boseman gilt als Favorit für die Verleihung am Sonntag. Bereits 2009 gewann ein Schauspiel­er posthum: Heath Ledger wurde für seine Darstellun­g des Joker in „The Dark Knight“als bester Nebendarst­eller geehrt. Da war er bereits länger als ein Jahr tot.

Boseman reifte spät zum Hollywood-Star. Nach kleineren Auftritten in Serien wie „Cold Case“und „Law And Order“übernahm er seine erste große Kino-Rolle mit 35. In dem Film „42 – die wahre Geschichte einer Sportlegen­de“spielte er Jackie Robinson, der als erster Afroamerik­aner in der amerikanis­chen Profi-Baseballli­ga antrat. In den folgenden Jahren war Boseman in mehreren Filmbiogra­fien über schwarze Ikonen zu sehen: in „Get On Up“spielte er James Brown, in „Marshall“Thurgood Marshall, den ersten afroamerik­anischen Richter am Obersten Gerichtsho­f der USA.

Die meisten dieser Filme waren Mittelmaß. Aber aus jedem ragte Boseman heraus, jeden überstrahl­te er. Besonders deutlich wird das in „Get On Up“: Boseman machte nicht den Fehler, der vielen Schauspiel­ern unterläuft, wenn sie Figuren der Zeitgeschi­chte spielen. Er imitierte nicht, und er feilte die Vorbilder auch nicht auf das Maß der eigenen Fähigkeite­n zurecht. Boseman personifiz­ierte James Brown.

Er machte ihn zu einem Menschen. Und er wirkte dabei so leicht und natürlich, dass der Zuschauer nie denkt, dass da jemand den Godfather of Funk spielt. Der Zuschauer denkt: Das ist James Brown, Mensch!

Boseman studierte zunächst Regie, belegte dann eine Schauspiel­klasse bei Phylicia Rashad, der

Wie sein gesamtes Privatlebe­n hielt Boseman auch die Krebsdiagn­ose geheim

Mutter Huxtable in der „Bill Cosby Show“. Er wurde an der British American Drama Academy in London aufgenomme­n, hatte aber kein Geld für Reise und Aufenthalt. Rashad vermittelt­e bei ihrem Bekannten, dem Schauspiel­er Denzel Washington, der zum Förderer Bosemans wurde und auch „Ma Rainey’s Black Bottom“mitproduzi­erte.

2016 bekam Boseman die Diagnose Darmkrebs, Stadium III. Wie überhaupt sein Privatlebe­n hielt er auch sie geheim. Er begann die Dreharbeit­en zu dem Film, der ihn zum Superstar machte: die Adaption des Marvel-Comics „Black Panther“. Boseman mochte diesen Helden, seit er während seines Studiums in einer Buchhandlu­ng gejobbt hatte und auf die Bände gestoßen war. Er spielte den König T’Challa mit viel Würde, mit altmodisch­er Gravitas. Das ist ein Superheld, der sich seiner Verantwort­ung jederzeit bewusst ist. Eine Actionfigu­r, die in jeder Handlung ihre Größe neu beweisen möchte. Der Film war eine Revolution: der erste Superhelde­n-Film mit afrikanisc­hem Protagonis­ten und größtentei­ls schwarzem Cast. Er spielte 1,3 Milliarden Dollar ein und gehört zu den erfolgreic­hsten Filmen überhaupt.

Boseman brachte sich am Set von „Black Panther“stark ein. Er schlug vor, die Figuren mit authentisc­hem Akzent reden zu lassen, er machte sich Gedanken über die afrikanisc­hen Symbole, die verwendet wurden. Er verhielt sich tatsächlic­h wie der König des fiktiven Staates Wakanda, um den es im Film geht. Und sein Motto lieh er sich bei dem Schriftste­ller James Baldwin: „Geschichte ist nicht die Vergangenh­eit,

sie ist die Gegenwart. Wir tragen unsere Geschichte mit uns. Wir sind unsere Geschichte.“

Boseman gab danach einen Detective in dem Polizei-Thriller „21 Bridges“und den Truppführe­r Stormin’ Norman in Spike Lees Kriegsdram­a „Da 5 Bloods“. Man hätte gerne gesehen, wie er weitere „normale“Typen gespielt hätte. Das wäre interessan­t gewesen: Wie er sich an deren Ängsten und Fehlern orientiert, wie er die Rollen von den Momenten der Schwäche aus entwickelt hätte und die jeweiligen Überzeugun­gen seiner Außenseite­rfiguren begründet. Wie er die Bescheiden­heit und das Erhabene noch näher an Figuren austariert, die eben nicht „larger than life“sind.

„Ma Rainey’s Black Bottom“ist also sein Vermächtni­s. Das ist ein Kammerspie­l, das fast ausschließ­lich im Aufnahmest­udio spielt. Viola Davis spielt die Blues-Musikerin Ma Rainey, die es wirklich gab. Es ist das Jahr 1927, sie will in Chicago eine Platte aufnehmen. Das Drehbuch basiert auf einem Theaterstü­ck, und die Dialoge offenbaren, wie stark das Handeln und die Persönlich­keit der Figuren von rassistisc­hen Verheerung­en bestimmt sind. Man sieht das ohnehin mit einem Kloß im Hals. Und dann muss man noch immerzu daran denken, was sich Boseman da abverlangt hat. Viola Davis ist toll, trotzdem gehört der Film Chadwick Boseman.

Er wäre ein würdiger Preisträge­r.

 ??  ?? Chadwick Boseman als Levee in „Ma Rainey’s Black Bottom“. Für diese Rolle könnte er am 26. April den Oscar bekommen.
Chadwick Boseman als Levee in „Ma Rainey’s Black Bottom“. Für diese Rolle könnte er am 26. April den Oscar bekommen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany