Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Wenn Corona die Psyche angreift
Die mehr als ein Jahr andauernde Pandemie hat auch Auswirkungen auf die seelische Gesundheit vieler Düsseldorfer. Ängste, Isolation und Ungewissheit sorgen für wesentlich mehr Nachfrage bei Telefonhotlines und bei den Therapeuten.
DÜSSELDORF Die Pandemie zerrt vielen Menschen an den Nerven. Im schlimmsten Fall löst die Corona-Krise aber ernsthafte psychische Probleme aus. Nach einem guten Jahr im Ausnahmezustand liegen Düsseldorfs Fach-Einrichtungen wichtige Erkenntnisse vor.
Andrea Melville-Drewes leitet bei der Stadt die Abteilung Sozialpsychiatrie und verantwortet auch den Sozialpsychiatrischen Dienst des Gesundheitsamtes (SpDi). Gerade in Zeiten von Corona sind Melville-Drewes und ihre Mitarbeiter besonders gefordert. 2800 Fälle bearbeiteten sie 2019. Die Auswertung der Zahlen für 2020 liegt laut Melville-Drewes noch nicht abschließend vor. Es zeichne sich aber ein deutlich erhöhtes Fallaufkommen ab – bei den telefonischen Anfragen sowie bei denen per E-Mail. „Durch den Wegfall von Strukturen und strukturgebenden Instanzen kommt es im Bereich Psychosen während der Pandemie zu einer deutlichen Verschlechterung, auch mit der Folge von Zwangseinweisungen. Die Zahl der Hausbesuche ist massiv gestiegen.“Die Abteilung Sozialpsychiatrie hat aufgrund des zugenommenen Arbeitsaufkommens sogar weitere Stellen erhalten. Nach Wissen von Melville-Drewes, die sich auf offizielle Erhebungen stützt, sind bundesweit auch die Anfragen in niedergelassenen Psychotherapiepraxen im Vergleich zum Vorjahr um 40 Prozent gestiegen.
Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein veranschaulicht die jüngste Entwicklung bei der Nachfrage nach psychotherapeutischer Versorgung im Rheinland, und die ist nach Angaben eines Sprechers bei ihren Termin-Servicestellen merklich gestiegen: 2019 wurden 21.031 psychotherapeutische Termine aus dem Rheinland vermittelt, 2020 waren es 28.947 – also eine Steigerung von rund 8000 Terminen. „Inwieweit das definitiv in Bezug zur Corona-Pandemie steht, können wir zwar nicht sicher beurteilen, allerdings ist ein Zusammenhang gut möglich.“
Zum Verbund der Katholischen Kliniken Düsseldorf (VKKD) zählt auch das Krankenhaus Elbroich mit einer Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie. Chefarzt Professor Nikolaus Michael beobachtet, dass bei seinen Patienten – pro Jahr sind das einige hundert – der „Belastungsfaktor Corona“eine Rolle spielt. Er nennt Beispiele: „Bei depressiven Menschen fällt möglicherweise die Tagesstruktur durch die vielen Beschränkungen zusammen. Ältere Herrschaften können ihre Tagesstätten nicht mehr aufsuchen, die sozialen Kontakte fehlen. Ein stützendes Umfeld fällt durch die Pandemie für viele psychisch Kranke plötzlich weg.“Eine
Warnung spricht auch Professor Joachim Cordes aus, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Florence-Nightingale-Krankenhaus. „Die mangelnden sozialen Interaktionsmöglichkeiten, fehlende Freizeitangebote wie etwa im Sport, und die daraus resultierende Isolation, zum Teil ergänzt durch wirtschaftliche Einschränkungen, erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer akuten Krankheitsphase und gehen mit einem erhöhten Stressempfinden einher.“Die Corona-Pandemie spiele bei der Entwicklung von Krankheitsschüben eine große Rolle. Der Arzt weist aber auch darauf hin, dass viele Erkrankte derzeit den Krankenhausaufenthalt auch wegen Corona meiden.
Professor Tillmann Supprian, Ärztlicher Direktor LVR-Klinikum Düsseldorf, kann zwar nicht feststellen, „dass wir mehr Patientenanfragen oder höhere Belegungszahlen haben als vor der Corona-Pandemie“. Erkennbar sei aber bereits ein deutliches Versorgungsdefizit durch den Wegfall der vielen niederschwelligen Angebote für Menschen mit psychischen Erkrankungen durch die Corona-Schutzmaßnahmen. Auf die besonderen Erfordernisse der Corona-Krise hat das LVR-Klinikum entsprechend reagiert. Thorsten Nolting leitet dort als Oberarzt mit seinem Team die Spezialambulanz für Angst und Depression und erweiterte das Angebot vor zwei Monaten um eine Corona-Ambulanz mit eigenen Sprechstunden.
Einen Ansturm auf die Johanniter-Tagesklinik kann Dominik Thoma, Leitender Arzt in dem Krankenhaus für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, zwar nicht feststellen, er meint aber: „Der wird noch kommen.“Er leitet eine Tagesklinik, in der die Patienten teilstationär behandelt werden – normalerweise bis zu 250 im Jahr. Thoma rechnet mit einer deutlichen Zunahme an Patienten mit Depressionen und Angsterkrankungen: „Genau dann, wenn die psychischen Folgen von Corona so richtig zu Buche schlagen, weil die Menschen zum Beispiel ihren Job verlieren. Momentan sind viele Menschen eher noch damit beschäftigt, ihren Alltag auf die Reihe zu bekommen.“