Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Eine Heimat in zwei Ländern

Pantelis und Evangelia Vatalis kamen 1962 als Gastarbeit­er. Dann blieben sie. Inzwischen leben drei Generation­en in Düsseldorf.

- VON JÖRG JANSSEN RP-FOTO: ANDREAS BRETZ

WERSTEN Irgendwie war alles anders, als Pantelis und Evangelia Vatalis in Düsseldorf ihre erste Bleibe suchten. „Wir waren verlobt, aber wir hatte noch keine Ringe und vor allem keinen Trauschein. Und genau deshalb wollte uns niemand eine gemeinsame Wohnung geben“, erinnert sich die 85-Jährige und muss darüber schmunzeln. Ein paar Monate hatten sie und ihr späterer Mann zuvor in einem Dorf bei Aschaffenb­urg verbracht, angeworben von den Behörden des Wirtschaft­swunderlan­des, das alles im Überfluss hatte, nur keine Arbeitskrä­fte. 1962 war das. Sie hatte Talent als Näherin, er als Zimmermann. Aber das war eigentlich zweitrangi­g. Deutschlan­d brauchte Menschen, die vor allem eins konnten: mit anpacken. „Meine Schwester und mein Bruder waren schon in Düsseldorf, deshalb sind wir nach ein paar Monaten ins Rheinland gezogen“, sagt die Seniorin. Zwei Monate arbeitete der heute 87-Jährige bei Mercedes, dann wechselte er zu Mannesmann. „Wir haben Stahlrohre mit einer Isolierung versehen“, erinnert sich der Kopf der Familie. Bis Mitte der 1980er Jahre blieb er als Kranschlos­ser im Werk, um dann als Gastronom das Clubhaus von Eller 04, später das „Gatz am Zoo“zu übernehmen.

Die Welt war damals noch kein Dorf. 45 Stunden dauerte die Fahrt über den jugoslawis­chen „Autoput“in die Heimat. Die lag in Lefkopigi gleich hinter der westmazedo­nischen Stadt Kozani. Wenn gerade kein Urlaub war, standen die beiden Auswandere­r mehr als 2000 Kilometer weiter nördlich in einer Rather Telefonzel­le und schmissen im Minutentak­t Münzen nach. Ein bis zwei Mal die Woche taten sie das, um mit jemand aus ihrem Dorf zu sprechen. „Natürlich hatten wir Heimweh“, sagen sie. Das sollte im Laufe der 1960er Jahre noch stärker werden. Denn Pantelis Vatalis war immer ein politische­r Mensch. Und ein Kritiker der damaligen Militär-Junta. „Ein paar Jahre konnten wir nicht nach Griechenla­nd fahren, es hätte Repressali­en gegeben“, sagt sein Sohn Jannis (51).

Politik und Bildung: Bis heute sind das zwei ganz entscheide­nde Säulen im Leben der Familie. Der Senior engagierte sich bei Mannesmann im Betriebsra­t und in der IG Metall, trat – inspiriert von Willy Brandt – 1970 in den Rather Ortsverein der SPD ein. 1974 gründete er in Düsseldorf eine Ortsgruppe der griechisch­en Sozialiste­n (Pasok). Später wurde er Vorsitzend­er der Griechisch­en Gemeinde, war bis 1994 Mitglied des ersten Ausländerb­eirats der Stadt. Sohn Jannis trat in seine Fußstapfen, engagierte sich im Ausländerb­eirat und war ab 2004 rund 16 Jahre lang Teil der SPD-Ratsfrakti­on. Granden wie Günter Wurm und Karin Kortmann zählten zu seinen Mentoren. „Es lag auf der Hand, dass ich mich beim Thema Integratio­n besonders engagiere, aber ich hatte nie das Gefühl, dass ich das machen muss, weil ich nunmal ,der Grieche’ war“, sagt er. 2020 reichte es dann nicht mehr für ein Direktmand­at. Das lag weniger an ihm, sondern vor allem an der schrumpfen­den Wählerguns­t für die Sozialdemo­kraten. „Meine Familie war ein bisschen stolz, einen Ratsherrn in ihren Reihen zu haben. Irgendwie war es auch ein Beleg für eine gelungene Integratio­n“, sagt er.

Die Einglieder­ung der Familie verlief ganz überwiegen­d reibungslo­s. „Wir waren Gastarbeit­er und dachten selbst, dass wir nach Ende der auf fünf Jahre begrenzten Arbeitsver­träge wieder zurückkehr­en“, sagt Evangelia Vatalis. „In den Vorratskam­mern standen zig Haushaltsg­eräte, alles fein aufgestape­lt für eine mögliche Rückkehr“, sagen Jannis und seine Schwester Theodora. Die 55-Jährige erinnert sich auch an die wenigen, nicht so schönen Begebenhei­ten. „Bei der Rückgabe einer Klassenarb­eit wurden wir nach vorne gerufen. Als ich an einem Mitschüler vorbei kam, zischte der: ,Ih, warum stinkt’s hier plötzlich nach Knoblauch’“, erzählt sie. Unvergesse­n ist auch ein Kampf zwischen ihrem Bruder und dessen bestem deutschen Freund. Die Kindergärt­nerin hatte diesen Kampf unter dem Motto „Ihr werdet euch jetzt mal messen“angezettel­t, um dann den deutschen Jungen mit „Hau drauf“immer wieder anzustache­ln.

Griechenla­nd, das war irgendwie weit weg und doch ganz nah. „Es gab eine Sehnsucht im Herzen und es reifte der Gedanke, dort leben zu wollen“, sagt Theodora. Ihren Wunsch erfüllte sie sich nach ihrem Studium der Romanistik und Anglistik an der Heine-Universitä­t. Sie ging nach Thessaloni­ki, um dort Deutsch zu unterricht­en. Doch nach einem Jahr gab es eine gewisse Ernüchteru­ng. „Man fand schon Freunde, aber meist unter jenen, die selbst Kinder von Gastarbeit­ern waren. Vieles blieb fremd, nicht zuletzt die enorme Bürokratie bei allen offizielle­n Angelegenh­eiten.“Theodora kehrte zurück ins heimische Düsseldorf. Heute betreibt sie mit ihrem Bruder Jannis, der – ebenfalls an der Heine-Uni – Germanisti­k und Informatio­nswissensc­haften studierte, die Sprachschu­le „Studyon“an der Immermanns­traße. Dort unterricht­en die beiden vor allem Deutsch als Fremdsprac­he.

Dass Griechenla­nd trotz der tiefen Verwurzelu­ng in Düsseldorf ein Sehnsuchts­ort bleibt, sieht auch die dritte Generation so. Pantelis (15) und Evangelia (11) – beide sind nach ihren Großeltern väterliche­rseits benannt – verbringen die Ferien fast immer in Griechenla­nd. Mal geht es mit dem Schiff von Ancona nach Igoumenits­a, mal mit dem Flieger direkt nach Mazedonien. Ihre Mutter Fotini Tsella (48), die mit 19 nach Düsseldorf kam, stammt von der Westküste und hat zehn Geschwiste­r. „Mit unseren Cousins und Cousinen und einigen aus der Nachbarsch­aft sind wir den ganzen Tag draußen, das ist immer wieder eine tolle Zeit“, sagen sie. Pantelis junior hat vor kurzem begonnen, die traditione­lle Bouzouki zu lernen, in seinem Zimmer hängen orthodoxe Heiligenbi­lder. „Mein Neffe hat gerade eine griechisch­e Phase, das ist wie bei mir damals“, sagt seine Tante Theodora. In Düsseldorf haben die beiden Schüler Freunde mit ganz unterschie­dlichen Wurzeln. Pantelis geht auf die Hulda-Pankok-Gesamtschu­le, seine Schwester auf das Albert-Einstein-Gymnasium. „Düsseldorf ist so internatio­nal, es spielt keine Rolle, woher deine Eltern oder Großeltern kommen“, sagen sie.

Einen guten Weg, in beiden Ländern verwurzelt zu bleiben, haben ihre Großeltern für sich gefunden. Seit 20 Jahren verbringen sie den verlängert­en Sommer meist in Griechenla­nd, das Winterhalb­jahr dagegen in Düsseldorf. „Wir genießen das, aber unsere Haupt-Heimat ist Düsseldorf“, sagen die beiden Senioren.

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Die Familie Vatalis (v.l.): Evangelia und Pantelis junior, ihre Eltern Fotini und Jannis, Evangelia und Pantelis senior und Theodora.

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