Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Eine Heimat in zwei Ländern
Pantelis und Evangelia Vatalis kamen 1962 als Gastarbeiter. Dann blieben sie. Inzwischen leben drei Generationen in Düsseldorf.
WERSTEN Irgendwie war alles anders, als Pantelis und Evangelia Vatalis in Düsseldorf ihre erste Bleibe suchten. „Wir waren verlobt, aber wir hatte noch keine Ringe und vor allem keinen Trauschein. Und genau deshalb wollte uns niemand eine gemeinsame Wohnung geben“, erinnert sich die 85-Jährige und muss darüber schmunzeln. Ein paar Monate hatten sie und ihr späterer Mann zuvor in einem Dorf bei Aschaffenburg verbracht, angeworben von den Behörden des Wirtschaftswunderlandes, das alles im Überfluss hatte, nur keine Arbeitskräfte. 1962 war das. Sie hatte Talent als Näherin, er als Zimmermann. Aber das war eigentlich zweitrangig. Deutschland brauchte Menschen, die vor allem eins konnten: mit anpacken. „Meine Schwester und mein Bruder waren schon in Düsseldorf, deshalb sind wir nach ein paar Monaten ins Rheinland gezogen“, sagt die Seniorin. Zwei Monate arbeitete der heute 87-Jährige bei Mercedes, dann wechselte er zu Mannesmann. „Wir haben Stahlrohre mit einer Isolierung versehen“, erinnert sich der Kopf der Familie. Bis Mitte der 1980er Jahre blieb er als Kranschlosser im Werk, um dann als Gastronom das Clubhaus von Eller 04, später das „Gatz am Zoo“zu übernehmen.
Die Welt war damals noch kein Dorf. 45 Stunden dauerte die Fahrt über den jugoslawischen „Autoput“in die Heimat. Die lag in Lefkopigi gleich hinter der westmazedonischen Stadt Kozani. Wenn gerade kein Urlaub war, standen die beiden Auswanderer mehr als 2000 Kilometer weiter nördlich in einer Rather Telefonzelle und schmissen im Minutentakt Münzen nach. Ein bis zwei Mal die Woche taten sie das, um mit jemand aus ihrem Dorf zu sprechen. „Natürlich hatten wir Heimweh“, sagen sie. Das sollte im Laufe der 1960er Jahre noch stärker werden. Denn Pantelis Vatalis war immer ein politischer Mensch. Und ein Kritiker der damaligen Militär-Junta. „Ein paar Jahre konnten wir nicht nach Griechenland fahren, es hätte Repressalien gegeben“, sagt sein Sohn Jannis (51).
Politik und Bildung: Bis heute sind das zwei ganz entscheidende Säulen im Leben der Familie. Der Senior engagierte sich bei Mannesmann im Betriebsrat und in der IG Metall, trat – inspiriert von Willy Brandt – 1970 in den Rather Ortsverein der SPD ein. 1974 gründete er in Düsseldorf eine Ortsgruppe der griechischen Sozialisten (Pasok). Später wurde er Vorsitzender der Griechischen Gemeinde, war bis 1994 Mitglied des ersten Ausländerbeirats der Stadt. Sohn Jannis trat in seine Fußstapfen, engagierte sich im Ausländerbeirat und war ab 2004 rund 16 Jahre lang Teil der SPD-Ratsfraktion. Granden wie Günter Wurm und Karin Kortmann zählten zu seinen Mentoren. „Es lag auf der Hand, dass ich mich beim Thema Integration besonders engagiere, aber ich hatte nie das Gefühl, dass ich das machen muss, weil ich nunmal ,der Grieche’ war“, sagt er. 2020 reichte es dann nicht mehr für ein Direktmandat. Das lag weniger an ihm, sondern vor allem an der schrumpfenden Wählergunst für die Sozialdemokraten. „Meine Familie war ein bisschen stolz, einen Ratsherrn in ihren Reihen zu haben. Irgendwie war es auch ein Beleg für eine gelungene Integration“, sagt er.
Die Eingliederung der Familie verlief ganz überwiegend reibungslos. „Wir waren Gastarbeiter und dachten selbst, dass wir nach Ende der auf fünf Jahre begrenzten Arbeitsverträge wieder zurückkehren“, sagt Evangelia Vatalis. „In den Vorratskammern standen zig Haushaltsgeräte, alles fein aufgestapelt für eine mögliche Rückkehr“, sagen Jannis und seine Schwester Theodora. Die 55-Jährige erinnert sich auch an die wenigen, nicht so schönen Begebenheiten. „Bei der Rückgabe einer Klassenarbeit wurden wir nach vorne gerufen. Als ich an einem Mitschüler vorbei kam, zischte der: ,Ih, warum stinkt’s hier plötzlich nach Knoblauch’“, erzählt sie. Unvergessen ist auch ein Kampf zwischen ihrem Bruder und dessen bestem deutschen Freund. Die Kindergärtnerin hatte diesen Kampf unter dem Motto „Ihr werdet euch jetzt mal messen“angezettelt, um dann den deutschen Jungen mit „Hau drauf“immer wieder anzustacheln.
Griechenland, das war irgendwie weit weg und doch ganz nah. „Es gab eine Sehnsucht im Herzen und es reifte der Gedanke, dort leben zu wollen“, sagt Theodora. Ihren Wunsch erfüllte sie sich nach ihrem Studium der Romanistik und Anglistik an der Heine-Universität. Sie ging nach Thessaloniki, um dort Deutsch zu unterrichten. Doch nach einem Jahr gab es eine gewisse Ernüchterung. „Man fand schon Freunde, aber meist unter jenen, die selbst Kinder von Gastarbeitern waren. Vieles blieb fremd, nicht zuletzt die enorme Bürokratie bei allen offiziellen Angelegenheiten.“Theodora kehrte zurück ins heimische Düsseldorf. Heute betreibt sie mit ihrem Bruder Jannis, der – ebenfalls an der Heine-Uni – Germanistik und Informationswissenschaften studierte, die Sprachschule „Studyon“an der Immermannstraße. Dort unterrichten die beiden vor allem Deutsch als Fremdsprache.
Dass Griechenland trotz der tiefen Verwurzelung in Düsseldorf ein Sehnsuchtsort bleibt, sieht auch die dritte Generation so. Pantelis (15) und Evangelia (11) – beide sind nach ihren Großeltern väterlicherseits benannt – verbringen die Ferien fast immer in Griechenland. Mal geht es mit dem Schiff von Ancona nach Igoumenitsa, mal mit dem Flieger direkt nach Mazedonien. Ihre Mutter Fotini Tsella (48), die mit 19 nach Düsseldorf kam, stammt von der Westküste und hat zehn Geschwister. „Mit unseren Cousins und Cousinen und einigen aus der Nachbarschaft sind wir den ganzen Tag draußen, das ist immer wieder eine tolle Zeit“, sagen sie. Pantelis junior hat vor kurzem begonnen, die traditionelle Bouzouki zu lernen, in seinem Zimmer hängen orthodoxe Heiligenbilder. „Mein Neffe hat gerade eine griechische Phase, das ist wie bei mir damals“, sagt seine Tante Theodora. In Düsseldorf haben die beiden Schüler Freunde mit ganz unterschiedlichen Wurzeln. Pantelis geht auf die Hulda-Pankok-Gesamtschule, seine Schwester auf das Albert-Einstein-Gymnasium. „Düsseldorf ist so international, es spielt keine Rolle, woher deine Eltern oder Großeltern kommen“, sagen sie.
Einen guten Weg, in beiden Ländern verwurzelt zu bleiben, haben ihre Großeltern für sich gefunden. Seit 20 Jahren verbringen sie den verlängerten Sommer meist in Griechenland, das Winterhalbjahr dagegen in Düsseldorf. „Wir genießen das, aber unsere Haupt-Heimat ist Düsseldorf“, sagen die beiden Senioren.