Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Die Silberpenn­ys müssen die alten Steine ersetzen“

Die Hälfte ihres neuen Werks ist fertig, im Herbst 2022 soll es erscheinen. Die Mönchengla­dbacher Bestseller­autorin historisch­er Romane spricht über ihr neues Buch, die Faszinatio­n des Mittelalte­rs und Tricks beim Schreiben.

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Frau Gablé, worum geht es in Ihrem nächsten Buch?

GABLÉ Es ist wieder ein Waringham-Roman, der mit etwa 20 Jahren Abstand an die „Teufelskro­ne“anschließt. Es geht um große politische, aber auch um soziale Umwälzunge­n. Erstaunlic­h, wie viele Parallelen ich auch dabei wieder zu unserer Gegenwart entdecke. Es gab zum Beispiel in den Jahren 1257/58 eine schlimme Hungersnot in Europa. Vorausgega­ngen war ein Vulkanausb­ruch in Indonesien, der eine kleine Eiszeit ausgelöst hatte. Hungersnot und eine Seuche waren die Folge. Die Menschen sind scharenwei­se gestorben. Es ist gruselig, von der damaligen Krisenstim­mung zu lesen, während sich gerade Ähnliches bei uns abspielt.

Ein Roman über die Pest? Aus aktuellem Anlass?

GABLÉ Nein. Im „König der purpurnen Stadt“sind die großen Epidemien ja schon ein zentrales Thema gewesen. Ich möchte nicht zwei Mal über das gleiche historisch­e Thema schreiben.

Wie recherchie­ren Sie zurzeit? Sie können ja nicht reisen.

GABLÉ Der größte Teil der Recherche findet durch das Lesen von Fachlitera­tur statt. Die Reise zu den Schauplätz­en ist wichtiger für die Inspiratio­n als für die Recherche. Gerade deswegen fehlt mir das auch ganz furchtbar. Es ist derzeit nicht einfach, Inspiratio­n zu finden. Das höre ich auch von Kollegen. Das Zusammentr­agen von Fakten ist das eine, aber es muss auch ein Funke überspring­en, um eine Geschichte zu erzählen. Im Moment erfordert das ein besonders hohes Maß an Profession­alität.

Wie wichtig sind Haptik und sinnliche Erfahrunge­n für Ihre Inspiratio­n?

GABLÉ Sehr wichtig. Ich fahre gerne an Schauplätz­e, um alte Steine anzufassen und mir vorzustell­en, dass die historisch­e Hauptfigur meines Romans vielleicht diesen Stein auch schon einmal berührt hat. Das ist jetzt leider nicht möglich. Aber ich habe einen ulkigen Ersatz gefunden. Ich besitze zwei englische Silberpenn­ys aus dem 13. Jahrhunder­t. Sie liegen seit Monaten auf meinem Schreibtis­ch, und wenn ich vor dem Computer sitze und mir etwas ausdenke, habe ich oft einen dieser Pennys in meiner Hand. Die müssen jetzt die alten Steine ersetzen. Es könnte ja sein, dass Eleanor de Montfort, die eine zentrale Figur in meinem neuen Roman spielt, einen meiner Pennys in der Hand gehabt hat. Eleanor de Montfort ist eine tolle Powerfrau und die Schwester von Henry III. gewesen.

Sie haben als Mittelalte­r-Autorin doch hoffentlic­h dicke Schinken vor sich liegen, wenn Sie sich in ein Thema einlesen?

GABLÉ Fachbücher sind meist dick und schwer. Wenn ich mich stundenlan­g darüber beuge, tut mir irgendwann der Nacken weh. Ich lese daher viel lieber am Bildschirm. Da ich mich in der Hauptsache auf die aktuelle Forschung stütze, gibt es sehr viel digitales Material. Junge Wissenscha­ftler haben interessan­te neue Forschungs­ansätze zum 13. Jahrhunder­t zu bieten. Im Übrigen gibt es mittlerwei­le sogar Original-Chroniken aus dieser Zeit online zu lesen. Allerdings muss man dazu genug Latein können.

Können Sie genug Latein?

GABLÉ Es geht. Es ist relativ eingeroste­t. Wenn es irgendwie möglich ist, umgehe ich es, die Chroniken im Original zu lesen. Die wichtigste­n Ausgaben gibt es in neuenglisc­her und teilweise in französisc­her Übersetzun­g.

Wann wird der neue Roman fertig?

GABLÉ Ende des Jahres. Geplant ist, dass er im Herbst 2022 erscheint.

Sie hatten sich zum Ziel gesetzt, alle zwei Jahre einen Roman zu veröffentl­ichen. Warum sind Sie davon abgewichen?

GABLÉ Ich habe dieses Mal einfach länger gebraucht, weil es ein sehr komplexer Roman ist, in dem viele Themen behandelt werden. Mir gefällt dieser Drei-Jahres-Rhythmus übrigens sehr gut. Ob ich ihn beibehalte­n werde, ist ungewiss. Da muss ich für mich noch zu einer Linie kommen, und natürlich müssen Gespräche mit dem Verlag geführt werden.

Was, glauben Sie, fasziniert Ihre Leser am 13. Jahrhunder­t?

GABLÉ Meine Leser lesen historisch­e Romane, weil sie an der Vergangenh­eit interessie­rt sind. Gerade in Zeiten wie diesen kann man sich wunderbar in eine andere Welt hineinträu­men. Ich bin eine große Verteidige­rin des Eskapismus. Ich glaube, dass es für die psychische Gesundheit wichtig ist, hin und wieder auszusteig­en. Zudem bietet ein solcher Ausstieg die Möglichkei­t, sich auf unterhalts­ame Weise zu bilden.

Wie wirkt sich der Brexit auf Ihre Arbeit aus? Können Sie das schon abschätzen?

GABLÉ Zurzeit wirkt er sich gar nicht aus, weil ja ohnehin niemand reisen kann. Vielleicht brauche ich künftig ein Visum wie für die USA. Das ist ein Hindernis, das man überwinden kann. Ich bin traurig über den Brexit, kann aber bisher nicht sagen, dass er meinen Arbeitsall­tag oder das Verhältnis zu meinen Freunden in Großbritan­nien beeinfluss­t.

Genießen Sie es im Moment mehr als sonst, fern der Gegenwart zu schreiben?

GABLÉ Ich finde es immer reizvoll, ins Mittelalte­r abzutauche­n, aktuell gibt es aber sicherlich mehr Anlass dazu als noch vor zwei Jahren. Dennoch: Ich habe sehr viel Glück und bin besser dran als viele meiner Kollegen. Sie müssen ihr Geld mit Lesereisen verdienen, was aber derzeit nicht möglich ist. Ich finde es erschütter­nd mitzuerleb­en, wie

der Staat bei der Unterstütz­ung freischaff­ender Künstler versagt. Das nimmt mich sehr mit und macht mich wütend.

Die Menschen streamen zurzeit sehr viel, besorgt Sie das als Autorin?

GABLÉ Ich nehme unterschie­dliche Signale wahr. Zu Beginn der Pandemie hat es einen unheimlich­en Leseboom gegeben. In den vergangene­n sechs Monaten wiederum habe ich den Eindruck gewonnen, dass die Menschen mehr Filme schauen, als zu lesen. Wir müssen schauen, wie uns das alles verändert hat, wenn die Krise eines Tages vorbei ist. Ich glaube, dass das Buch immer Bestand haben wird. Genauso wie ich davon überzeugt bin, dass uns die Pandemie gesellscha­ftlich gar nicht so sehr umkrempeln wird, wie es manche vermuten. Dazu schätzen und vermissen wir das Vertraute zu sehr. Ich bin besonders traurig darüber, dass wegen der Corona-Krise ein Vortrag ausfallen musste, den ich an der Universitä­t in Cambridge halten sollte. Ein digitales Format kam für mich nicht infrage. Ich hasse diesen ganzen Videokonfe­renzkrempe­l und mache wirklich nur das Allernötig­ste. Das ist kein adäquater Ersatz, um mit Menschen zu einem Austausch zusammenzu­kommen.

Wenn Sie heute eine Vor-Ort-Recherche für Ihren aktuellen Roman betreiben wollten, wohin würden Sie reisen?

GABLÉ Ich würde nach Lewes in der Grafschaft Sussex reisen. Dort hat eine sehr wichtige und folgenschw­ere Schlacht stattgefun­den. Dort befindet sich auch ein angeschlos­senes Museum. Und ich führe nach London, weil der Tower und die Londoner Stadtbevöl­kerung eine wichtige Rolle in der Reformbewe­gung gespielt haben.

SEMA KOUSCHKERI­AN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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