Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Das Theater als Machtsystem
An vielen Häusern wird jenseits der Bühne hierarchisch gearbeitet. Der Erfolgsdruck ist hoch, die Angst der Angestellten groß. Das macht das System anfällig für Grenzüberschreitungen. Doch etwas hat sich verändert.
Wien, Berlin, Karlsruhe, Düsseldorf – an etlichen großen Bühnen haben sich Opfer von Machtmissbrauch zu Wort gemeldet. Und obwohl die Fälle von Sexismus, Rassismus oder cholerischen Grenzüberschreitungen höchst unterschiedlich gelagert sind, hat sich schnell eine Debatte entwickelt, in der es ans Eingemachte geht: an strukturelle Ursachen, an Hierarchie und Arbeitsweise an deutschen Bühnen. Dass die Häuser selbst diese Debatte führen, hat damit zu tun, dass etwas höchst Kostbares auf dem Spiel steht: die Glaubwürdigkeit von Theatern. Schließlich beschäftigen sie sich auf der Bühne oft genug mit den zerstörerischen Momenten der Macht und erheben den Anspruch, Orte gesellschaftlicher Selbstreflexion zu sein. Fatal also, wenn sie ihren eigenen ethischen Ansprüchen nicht gerecht werden. Denn tatsächlich braucht die Gesellschaft solche Reflexionsorte dringend.
Allerdings ist die Frage, wie weit die Bühnen in ihrer Reformbereitschaft gehen können. Bisher reagieren die Häuser vor allem mit den Mitteln des Krisenmanagements: Die Vorfälle werden eingeräumt, Klärung wird in Aussicht gestellt, Berater werden hinzugezogen, Kodizes und Schulungen ausgearbeitet. Man sollte den Theatern nicht unterstellen, sie meinten es nicht ernst. Allerdings sind Schiedsstellen und Diversitätsbeauftragte eine Sache, eine andere sind der hohe Produktions- und Leistungsdruck, leicht kündbare Verträge des künstlerischen Personals, schlechte Bezahlung, belastende Arbeitszeiten. Manches lässt sich nicht abstellen. Manches schweißt zusammen, kann aber auch zu Strukturen führen, in denen Menschen, denen Unrecht widerfährt, nicht gehört werden. Und in denen sie fürchten müssen, als Künstler und Mensch diskreditiert zu werden, wenn sie an die Öffentlichkeit treten.
Beobachter des Systems etwa in der Theaterwissenschaft kritisieren, dass die Intendanten oft noch immer einsam an der Spitze stehen. Sie müssen künstlerische Entscheidungen treffen, Managementaufgaben erledigen, sollen ihre Häuser füllen, in den Feuilletons glänzen und nebenbei mehrere Hundert Mitarbeiter führen. Das ist viel. Viel Arbeit. Und viel Macht. Wenn sich dann im Namen der Kunstfreiheit an irgendeiner Stelle Einzelne auf Kosten anderer austoben, kann viel geschehen.
„Auf Intendanten lastet ein wahnsinniger Druck“, sagt Jürgen Weintz, Professor für Kulturmanagement und Theater an der Hochschule Niederrhein. Manche reagierten darauf mit Burn-out, andere gäben den Druck weiter oder nutzten ihre Macht aus. „Aber es gibt Bewegung“, sagt Weintz, „an ersten Häusern teilen sich echte Doppelspitzen die Arbeit, oder Intendanten experimentieren mit Formen für mehr Mitspracherecht der Ensembles.“Dass es mehr solcher Reformversuche gebe, sei auch eine Frage von Stellenausschreibungen und Vorgaben von Aufsichtsgremien.
Thomas Schmidt, Professor für Theaterund Orchestermanagement in Frankfurt, hat zu Machtmissbrauch am Theater vor zwei Jahren eine Untersuchung vorgelegt. „Als meine Studie erschien, ist trotz der Zahlen nicht wahrgenommen worden, dass es sich um ein strukturelles Problem handelt“, sagt Schmidt. Hingegen sei sein Vokabular von Theaterleitern oder Funktionären aufgenommen worden. Viele verwendeten heute Begriffe wie Demokratisierung des Theaters, Partizipation oder Leitung im Team, die noch vor Jahren tabu gewesen seien, allerdings auch heute ohne die Machtverhältnisse an ihren Häusern ernstlich anzugehen.
„Auf Intendanten lastet ein wahnsinniger Druck“
Jürgen Weintz Theaterwissenschaftler