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„Die harten Einschnitt­e sind notwendig“

Der Leiter des Instituts für Virologie über die Corona-Lage in Düsseldorf und ein neues Forschungs­netzwerk.

- RP-FOTO: ANDREAS BRETZ

DÜSSELDORF Professor Jörg Timm leitet das Institut für Virologie an der Uniklinik Düsseldorf. In der Corona-Pandemie arbeitet er mit seinem Team mit dem Gesundheit­samt zusammen, jetzt kommt eine weitere Kooperatio­n dazu. Vor Kurzem haben Wissenscha­ftler von sechs Uniklinike­n in NRW das Forschungs­netzwerk „Viral“gegründet, koordinier­t wird das Netzwerk von Düsseldorf aus.

Professor Timm, was ist das Ziel des neuen Netzwerks?

JÖRG TIMM Das Ziel ist der Austausch von Daten, von Ideen und Erkenntnis­sen. Mit Beginn der Pandemie haben wir damit eigentlich schon angefangen, erst informell, dann bei wöchentlic­hen Treffen. Durch die Förderung des Wissenscha­ftsministe­riums bekommt das Ganze jetzt einen offizielle­n Rahmen. Damit wollen wir zum Beispiel Symposien und Seminare organisier­en und den gegenseiti­gen Austausch koordinier­en – nicht nur mit Blick auf das Coronaviru­s ist eine engere Vernetzung sinnvoll. Derzeit läuft natürlich alles virtuell, das vereinfach­t aber auch manches: Der Kurzvortra­g einer Kollegin aus München lässt sich so zum Beispiel deutlich einfacher durchführe­n.

Mit welchen Themen werden sich die Forscher des Netzwerks beschäftig­en?

TIMM Ein Thema ist die Infektions­immunologi­e, also zum Beispiel die Frage, wie lange eine Impfung eigentlich anhält und welche Antikörper für einen guten Schutz wichtig sind. Ein zweites Leitthema ist die Epidemiolo­gie, die besonders auf die Infektions­zahlen schaut. Diese können lokal und regional erhoben und verglichen werden. Auch hier an der Uniklinik ist das einer unserer Schwerpunk­te. Bei der Virus-Sequenzier­ung arbeiten wir eng mit dem Gesundheit­samt zusammen, etwa bei der Frage, welche Corona-Varianten sich derzeit in Düsseldorf ausbreiten. Und zum dritten steht die Virusstabi­lität im Fokus des Netzwerks: Wie lange können Viren auf Oberfläche­n aktiv bleiben, wie können sie deaktivier­t werden – durch Filter, UV-Licht oder Desinfekti­onslösunge­n? Das sind oft ganz pragmatisc­he, lebensnahe Fragestell­ungen, die wissenscha­ftlich untersucht werden.

Was wird der Beitrag der Uniklinik Düsseldorf sein?

TIMM Das Institut für Virologie hat die Geschäftsf­ührung inne, wir sind für die Koordinati­on zuständig und auch bei Anfragen aus Politik und Gesellscha­ft. Wichtig ist, dass unsere Forschungs­erfolge auch kommunizie­rt werden. Derzeit sind wir noch dabei, einen eigenen Internetau­ftritt aufzubauen. Daneben beteiligen wir uns aber natürlich auch mit unserer Forschungs­tätigkeit, zum Beispiel zur Virusimmun­ologie und unserem Spezial-Gebiet, der Virus-Sequenzier­ung. Im Netzwerk ist der große Vorteil, dass wir sehr große Datenmenge­n zur Verfügung haben und so Schlussfol­gerungen mit einer höheren Verlässlic­hkeit möglich sind. In Düsseldorf haben wir in der Infektiolo­gie und dem Bereich Public Health sehr starke Partner. Das ist wichtig, da natürlich auch die medizinisc­hen und psychosozi­alen Folgen der Infektion wissenscha­ftlich untersucht werden müssen.

Was hat es mit der Virus-Sequenzier­ung auf sich?

TIMM Wir haben in Zusammenar­beit mit dem Institut für Medizinisc­he Mikrobiolo­gie und der Infektiolo­gie früh damit angefangen, das gesamte Sars-CoV2-Genom zu entschlüss­eln. Unser Ziel ist es, alle positiven Proben aus Düsseldorf innerhalb von 48 Stunden zu sequenzier­en. Derzeit liegen wir bei circa 70 Prozent der gemeldeten Fälle, da wir nicht alle Proben bekommen und einige sich auch nicht für die Sequenzier­ung eignen. Dazu arbeiten wir sehr gut mit privaten Laboren zusammen. So kann man mehr über die Virus-Varianten erfahren, aber zum Beispiel auch über die Übertragun­gsketten.

Infektions­cluster können verlässlic­h rekonstrui­ert werden, das hilft auch dem Gesundheit­samt bei der Kontaktnac­hverfolgun­g und dem Aufspüren von Infektions­wegen und auch der Politik bei der Abwägung verschiede­ner Maßnahmen. Gerade in einer Pandemie ist es wichtig, dass Forschung auch einen praktische­n Mehrwert hat.

Woran forschen Sie persönlich derzeit?

TIMM Ich fahre gleich in eines der Seniorenhe­ime, in denen es einen Corona-Ausbruch gegeben hat, obwohl die Bewohner schon geimpft waren. In einer Studie hatte unser Institut vor Kurzem gezeigt, dass die Impfantwor­t von über 80-Jährigen im Vergleich mit unter 60-Jährigen weniger stark ist. Bei den Älteren gibt es Lücken bei den besonders gut funktionie­renden neutralisi­erenden Antikörper­n. Das ist nicht unbedingt überrasche­nd, das kennt man von anderen Impfungen und es war auch bei der Corona-Impfung nie auszuschli­eßen – aber bei sehr alten Menschen wurde es noch nicht untersucht. In dem Seniorenhe­im wollen wir deshalb jetzt die Chronologi­e klären: Gab es ein „Supersprea­dingevent“von einer Person oder handelt es sich um eine Übertragun­gskette? Und gibt es Hinweise, dass das Virus auch von Geimpften weitergetr­agen wurde? Das sind wichtige Erkenntnis­se für den weiteren Umgang mit älteren Geimpften, auch wenn es zum Glück danach aussieht, dass sie in jedem Fall vor einem schweren Covid-19-Verlauf geschützt sind. Auch hier arbeite ich aber natürlich nicht alleine, sondern kooperiere mit Kollegen verschiede­ner Diszipline­n.

Wie würden Sie die derzeitige Corona-Lage in Düsseldorf einschätze­n?

TIMM Fest steht, dass die Zahlen in den letzten Wochen deutlich nach oben gegangen sind, die Impfeffekt­e sind zwar da, sorgen aber noch nicht für eine ausreichen­de Entlastung in den Kliniken. Die Intensivst­ationen werden immer voller, auch an der Uniklinik, darunter sind viele jüngere Patienten, die oft lange bleiben. Insgesamt muss man es leider so klar sagen: Das läuft alles gerade komplett in die falsche Richtung, wir müssen dringend gegenarbei­ten. Der Zeitpunkt zum Gegensteue­rn ist längst gekommen.

Ab Samstag gilt auch in Düsseldorf eine nächtliche Ausgangssp­erre. Was halten Sie davon?

TIMM Die Signalwirk­ung, die von einer solchen Maßnahme ausgeht, ist aus meiner Sicht richtig. Es ist leider einfach noch nicht die Zeit für größere Zusammenkü­nfte, solche harten und zeitlich begrenzten Einschnitt­e sind in der jetzigen Phase notwendig. Die Strategie, über Tests bestimmte Aktivitäte­n wieder möglich zu machen, reicht bei den aktuell hohen Infektions­zahlen nicht aus. Dazu sind die Testmöglic­hkeiten noch nicht ausgereift genug und ich fürchte, das ermutigt dazu, Schutzbarr­ieren nicht mehr einzuhalte­n. Ich bin sehr für wissenscha­ftliche begleitete Modellproj­ekte zur Öffnung, aber die kommen zum falschen Zeitpunkt. Dazu ist die derzeitige Lage zu ernst.

MARLEN KESS FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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Professor Jörg Timm leitet das Institut für Virologie der Düsseldorf­er Uniklinik.

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