Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
„Die harten Einschnitte sind notwendig“
Der Leiter des Instituts für Virologie über die Corona-Lage in Düsseldorf und ein neues Forschungsnetzwerk.
DÜSSELDORF Professor Jörg Timm leitet das Institut für Virologie an der Uniklinik Düsseldorf. In der Corona-Pandemie arbeitet er mit seinem Team mit dem Gesundheitsamt zusammen, jetzt kommt eine weitere Kooperation dazu. Vor Kurzem haben Wissenschaftler von sechs Unikliniken in NRW das Forschungsnetzwerk „Viral“gegründet, koordiniert wird das Netzwerk von Düsseldorf aus.
Professor Timm, was ist das Ziel des neuen Netzwerks?
JÖRG TIMM Das Ziel ist der Austausch von Daten, von Ideen und Erkenntnissen. Mit Beginn der Pandemie haben wir damit eigentlich schon angefangen, erst informell, dann bei wöchentlichen Treffen. Durch die Förderung des Wissenschaftsministeriums bekommt das Ganze jetzt einen offiziellen Rahmen. Damit wollen wir zum Beispiel Symposien und Seminare organisieren und den gegenseitigen Austausch koordinieren – nicht nur mit Blick auf das Coronavirus ist eine engere Vernetzung sinnvoll. Derzeit läuft natürlich alles virtuell, das vereinfacht aber auch manches: Der Kurzvortrag einer Kollegin aus München lässt sich so zum Beispiel deutlich einfacher durchführen.
Mit welchen Themen werden sich die Forscher des Netzwerks beschäftigen?
TIMM Ein Thema ist die Infektionsimmunologie, also zum Beispiel die Frage, wie lange eine Impfung eigentlich anhält und welche Antikörper für einen guten Schutz wichtig sind. Ein zweites Leitthema ist die Epidemiologie, die besonders auf die Infektionszahlen schaut. Diese können lokal und regional erhoben und verglichen werden. Auch hier an der Uniklinik ist das einer unserer Schwerpunkte. Bei der Virus-Sequenzierung arbeiten wir eng mit dem Gesundheitsamt zusammen, etwa bei der Frage, welche Corona-Varianten sich derzeit in Düsseldorf ausbreiten. Und zum dritten steht die Virusstabilität im Fokus des Netzwerks: Wie lange können Viren auf Oberflächen aktiv bleiben, wie können sie deaktiviert werden – durch Filter, UV-Licht oder Desinfektionslösungen? Das sind oft ganz pragmatische, lebensnahe Fragestellungen, die wissenschaftlich untersucht werden.
Was wird der Beitrag der Uniklinik Düsseldorf sein?
TIMM Das Institut für Virologie hat die Geschäftsführung inne, wir sind für die Koordination zuständig und auch bei Anfragen aus Politik und Gesellschaft. Wichtig ist, dass unsere Forschungserfolge auch kommuniziert werden. Derzeit sind wir noch dabei, einen eigenen Internetauftritt aufzubauen. Daneben beteiligen wir uns aber natürlich auch mit unserer Forschungstätigkeit, zum Beispiel zur Virusimmunologie und unserem Spezial-Gebiet, der Virus-Sequenzierung. Im Netzwerk ist der große Vorteil, dass wir sehr große Datenmengen zur Verfügung haben und so Schlussfolgerungen mit einer höheren Verlässlichkeit möglich sind. In Düsseldorf haben wir in der Infektiologie und dem Bereich Public Health sehr starke Partner. Das ist wichtig, da natürlich auch die medizinischen und psychosozialen Folgen der Infektion wissenschaftlich untersucht werden müssen.
Was hat es mit der Virus-Sequenzierung auf sich?
TIMM Wir haben in Zusammenarbeit mit dem Institut für Medizinische Mikrobiologie und der Infektiologie früh damit angefangen, das gesamte Sars-CoV2-Genom zu entschlüsseln. Unser Ziel ist es, alle positiven Proben aus Düsseldorf innerhalb von 48 Stunden zu sequenzieren. Derzeit liegen wir bei circa 70 Prozent der gemeldeten Fälle, da wir nicht alle Proben bekommen und einige sich auch nicht für die Sequenzierung eignen. Dazu arbeiten wir sehr gut mit privaten Laboren zusammen. So kann man mehr über die Virus-Varianten erfahren, aber zum Beispiel auch über die Übertragungsketten.
Infektionscluster können verlässlich rekonstruiert werden, das hilft auch dem Gesundheitsamt bei der Kontaktnachverfolgung und dem Aufspüren von Infektionswegen und auch der Politik bei der Abwägung verschiedener Maßnahmen. Gerade in einer Pandemie ist es wichtig, dass Forschung auch einen praktischen Mehrwert hat.
Woran forschen Sie persönlich derzeit?
TIMM Ich fahre gleich in eines der Seniorenheime, in denen es einen Corona-Ausbruch gegeben hat, obwohl die Bewohner schon geimpft waren. In einer Studie hatte unser Institut vor Kurzem gezeigt, dass die Impfantwort von über 80-Jährigen im Vergleich mit unter 60-Jährigen weniger stark ist. Bei den Älteren gibt es Lücken bei den besonders gut funktionierenden neutralisierenden Antikörpern. Das ist nicht unbedingt überraschend, das kennt man von anderen Impfungen und es war auch bei der Corona-Impfung nie auszuschließen – aber bei sehr alten Menschen wurde es noch nicht untersucht. In dem Seniorenheim wollen wir deshalb jetzt die Chronologie klären: Gab es ein „Superspreadingevent“von einer Person oder handelt es sich um eine Übertragungskette? Und gibt es Hinweise, dass das Virus auch von Geimpften weitergetragen wurde? Das sind wichtige Erkenntnisse für den weiteren Umgang mit älteren Geimpften, auch wenn es zum Glück danach aussieht, dass sie in jedem Fall vor einem schweren Covid-19-Verlauf geschützt sind. Auch hier arbeite ich aber natürlich nicht alleine, sondern kooperiere mit Kollegen verschiedener Disziplinen.
Wie würden Sie die derzeitige Corona-Lage in Düsseldorf einschätzen?
TIMM Fest steht, dass die Zahlen in den letzten Wochen deutlich nach oben gegangen sind, die Impfeffekte sind zwar da, sorgen aber noch nicht für eine ausreichende Entlastung in den Kliniken. Die Intensivstationen werden immer voller, auch an der Uniklinik, darunter sind viele jüngere Patienten, die oft lange bleiben. Insgesamt muss man es leider so klar sagen: Das läuft alles gerade komplett in die falsche Richtung, wir müssen dringend gegenarbeiten. Der Zeitpunkt zum Gegensteuern ist längst gekommen.
Ab Samstag gilt auch in Düsseldorf eine nächtliche Ausgangssperre. Was halten Sie davon?
TIMM Die Signalwirkung, die von einer solchen Maßnahme ausgeht, ist aus meiner Sicht richtig. Es ist leider einfach noch nicht die Zeit für größere Zusammenkünfte, solche harten und zeitlich begrenzten Einschnitte sind in der jetzigen Phase notwendig. Die Strategie, über Tests bestimmte Aktivitäten wieder möglich zu machen, reicht bei den aktuell hohen Infektionszahlen nicht aus. Dazu sind die Testmöglichkeiten noch nicht ausgereift genug und ich fürchte, das ermutigt dazu, Schutzbarrieren nicht mehr einzuhalten. Ich bin sehr für wissenschaftliche begleitete Modellprojekte zur Öffnung, aber die kommen zum falschen Zeitpunkt. Dazu ist die derzeitige Lage zu ernst.
MARLEN KESS FÜHRTE DAS GESPRÄCH.