Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Mächtiger Strippenzi­eher

Wolfgang Schäuble spielte auch im Unions-Machtkampf zwischen Söder und Laschet eine Hauptrolle im Hintergrun­d.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Mit 30 wurde er Bundestags­abgeordnet­er, mit 42 Bundesmini­ster. Mit 56 sollte er Bundeskanz­ler werden, doch Helmut Kohl verpasste den Wechsel. Mit 61 und noch mal mit 67 war er Anwärter auf das höchste Staatsamt, doch seine Anhänger konnten Angela Merkel nicht überzeugen. Nun ist Wolfgang Schäuble protokolla­risch zweiter Mann im Staat als Präsident des Bundestage­s. Aber faktisch die Nummer eins als Strippenzi­eher der Republik. Auch die jüngste Entscheidu­ng für Armin Laschet statt Markus Söder als Kanzlerkan­didat der Union ist sein Werk. Mit 78 ist Schäubles Einfluss auf die deutsche Politik ungeschmäl­ert.

Die Befürworte­r eines Verbleibs von Regierung und Parlament in Bonn wissen seit dem 20. Juni 1991 leidvoll um Schäubles Wirkungskr­aft: Zwölf Stunden debattiert­en die Abgeordnet­en seinerzeit, und eigentlich hatten die „Bonner“eine latente Mehrheit. Bis zu dem Augenblick, als der damalige Innenminis­ter ans Rednerpult fuhr. Mit seinem leidenscha­ftlichen Eintreten für die „Vollendung der Einheit Deutschlan­ds“drehte er die Stimmung zu einer knappen 338:320-Mehrheit für den Berlin-Umzug.

Das Attentat durch einen geistig verwirrten Pistolensc­hützen lag da noch keine neun Monate zurück. In einer dramatisch­en Operation retteten die Ärzte sein Leben, konnten seine Querschnit­tslähmung jedoch nicht verhindern. Andere hätten den Rückzug vom Status eines meistgefäh­rdeten Politikers ins geschützte Private vollzogen. Ein 48-jähriger Schäuble nicht. Neun Jahre später baut Schäuble die CDU als Parteiund Fraktionsc­hef in der Opposition neu auf, da fällt er über die Spendenaff­äre, muss um Verzeihung bitten für Fehlverhal­ten und Verschleie­rung. Andere hätten Friedrich Merz in der Fraktion und Angela Merkel in der Partei machen lassen und privat neu angefangen. Ein 57-jähriger Schäuble nicht.

Und er weiß schon damals aus dem Hintergrun­d zu steuern. Als er Anfang 2002 bei einer Klausur seine Unterstütz­ung für Edmund Stoiber signalisie­rt, bringt er eine Bewegung in Gang, an deren Ende CDU-Chefin Angela Merkel dem CSU-Chef den Vortritt lässt. Aber sie bricht nicht mit ihm, weiß um seine analytisch­e Schärfe. Und als sie 2005 ins Kanzleramt einzieht, ist er wie selbstvers­tändlich erneut Innenminis­ter, vier Jahre später Finanzmini­ster. Schäuble zeigt der Welt, dass man auch aus dem Rollstuhl heraus um den Globus

jetten und die Finanzpoli­tik prägen, den Euro durch Krisen führen kann. „Isch over“– das gilt nicht für ihn selbst.

Wie er als Finanzmini­ster öffentlich seinen Sprecher abkanzelt, lässt seinerzeit erahnen, mit welch harter Hand er hinter den Kulissen schon seit Bonner Zeiten mit seinen Untergeben­en umgeht. Doch neben die Furcht tritt immer auch Bewunderun­g, wenn Mitarbeite­r aus Schäubles Ministerze­iten berichten. Er weiß Empfehlung­en für Karrieren zu setzen: Die Verfassung­sschutzprä­sidenten Hans-Georg Maaßen und Thomas Haldenwang, die BNDChefs Gerhard Schindler und Bruno Kahl und auch Bundespoli­zeipräside­nt Dieter Romann sind alle ehemalige Schäuble-Mitarbeite­r. Und das ist nur die Oberfläche eines weit verzweigte­n Netzwerkes.

Er kann seit 2017 als Verfassung­sorgan durch das öffentlich gesprochen­e Wort wirken. Themen sieht er genug, sorgt sich etwa um die Folgen der zunehmende­n Polarisier­ung von Politik und Gesellscha­ft in der parlamenta­rischen Demokratie. Doch daneben bleibt Schäuble der mächtige Strippenzi­eher. Als im

Juli 2018 die Kanzlerin und ihr Innenminis­ter, CSU-Chef Horst Seehofer, Regierung und Union an den Rand der Spaltung führen, finden sie den Ausweg in Schäubles Büro. Dieser macht beiden klar, dass die Kanzlerin Seehofer entlassen müsse, wenn der sich bei den Grenzkontr­ollen weiter gegen ihre Linie stemme. Seehofer gibt nach, die Union ist gerettet.

Und auch am vorletzten Wochenende schaltet sich Schäuble zunächst öffentlich warnend per Radio-Interview in den zermürbend­en Machtkampf um die Kanzlerkan­didatur ein. Söder lässt sich davon nicht beirren und freut sich, das Terrain psychologi­sch in seinem Sinne zu verändern. Die Dynamik scheint Laschets Chancen stündlich zu verkleiner­n. Dann telefonier­t Schäuble mit Laschet und stellt klar, dass das eindeutige Votum des CDU-Vorstands nicht als „Hinterzimm­er“beiseitege­schoben und der Chef der größeren Partei nicht mal eben demontiert werden dürfe. In der entscheide­nden Phase habe Schäuble „die zentrale Rolle“gespielt, erkennt Söder anschließe­nd. Schon vorher wusste Söder-Vorgänger Seehofer, welch „große politische Figur“Schäuble ist. Und wie schwer es ist, an ihm vorbeizuko­mmen, wenn er einmal im Weg steht.

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FOTO: NDR/BORRS Wolfgang Schäuble (CDU) wurde als Kanzlerkan­didat und Staatsober­haupt gehandelt. Heute ist er Bundestags­präsident.

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