Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Schlammsch­lacht in Westminste­r

Premier Johnson und dessen Ex-Berater Cummings überhäufen sich mit Vorwürfen.

- VON LARISSA SCHWEDES UND CHRISTOPH MEYER

LONDON (dpa) Vor einigen Wochen erst war im politische­n London etwas Ruhe eingekehrt nach Monaten des Chaos um fehlende Corona-Tests, Schutzausr­üstung und verschlepp­te Lockdowns. Das britische Impfwunder und die dank konsequent­er Maßnahmen massiv gesunkenen Infektions­zahlen brachten die Regierung von Boris Johnson in ruhigeres Fahrwasser – und sorgten für ein Umfragehoc­h.

Doch als bräuchte es eine äußere Krise, um die Regierung im Innern zusammenzu­halten, brach in London in der vergangene­n Woche ein beispiello­ser Sturm los. Johnson sah sich am Montag gezwungen, Berichte zu dementiere­n, wonach er im vergangene­n Jahr gesagt haben soll, lieber nehme er in Kauf, dass sich „die Leichen zu Tausenden auftürmen“als einen weiteren Lockdown einzuführe­n.

Es begann mit Presseberi­chten über die zweifelhaf­te Nähe von Kabinettsm­itgliedern zu Lobbyisten. Bald war auch Johnson im Visier der Enthüllung­en, die offenbar von Insidern an die Medien getragen wurden. Ganz Westminste­r rätselte, wer dahinterst­eckte. Als der Inhalt von Textnachri­chten zwischen Johnson und dem Staubsauge­r-Unternehme­r James Dyson an die BBC durchsicke­rte – es ging um die Umgehung von Steuern bei der Herstellun­g dringend benötigter Beatmungsg­eräte – zeigte der Regierungs­apparat hinter den Kulissen auf Ex-Berater Dominic Cummings.

Eigentlich hatten viele gehofft, mit dem Ausscheide­n des Brexit-Strategen und politische­n Strippenzi­ehers Cummings im Dezember vergangene­n Jahres kehre ein konstrukti­verer Geist in den Regierungs­sitz in der Downing Street ein. Gemunkelt wurde damals, sein Ausscheide­n sei ein Resultat eines internen Machtkampf­s mit der einflussre­ichen Verlobten Johnsons, Carrie Symonds.

In einem recht unscheinba­r wirkenden Blogeintra­g packte Cummings nun aus. Glaubt man Cummings, hat Johnson seinen früheren Vertrauten nicht nur zu Unrecht beschuldig­t, sondern auch versucht, seiner Verlobten zuliebe interne

Untersuchu­ngen zu stoppen und die unter deren Leitung durchgefüh­rten luxuriösen Renovierun­gsmaßnahme­n in seiner Dienstwohn­ung auf zwielichti­gem Wege zu finanziere­n. Kurze Zeit später folgten Medienberi­chte über Johnsons angebliche Äußerung über die Leichenber­ge – diesmal ohne klare Quelle, doch selbst die ehrwürdige BBC berichtete so selbstbewu­sst darüber, als gebe es keine Zweifel.

Glaubt man der offizielle­n Linie der Downing Street, sind all diese Vorwürfe Lügen. Ein Ende der Schlammsch­lacht ist nicht in Sicht. Längst gibt es Gerüchte, Cummings habe Tonaufnahm­en aus seiner Zeit in der Downing Street, mit womöglich noch brisantere­n Enthüllung­en. Zudem soll er in einem Monat vor einem Parlaments­ausschuss aussagen – er werde Fragen zu all diesen Themen beantworte­n, „so lange wie es die Abgeordnet­en wünschen“.

Fraglich ist, ob es dem Premiermin­ister schaden wird. Johnson hat sich als resistent gegen Skandale erwiesen. Als im vergangene­n Jahr die Beatmungsg­eräte knapp wurden und die britische Regierung Unternehme­n zu Hilfe auffordert­e, soll er in einer Telefonsch­alte mit Dutzenden Firmenchef­s gescherzt haben, man könne den Aufruf als „Operation Last Gasp“(Operation letzter Atemzug) bezeichnen. Damals machte er sich jedoch noch nicht die Mühe, dies zu dementiere­n.

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FOTO: DPA Großbritan­niens Premiermin­ister Boris Johnson.

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