Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Wenn der Kopf nicht mehr mitspielt
Profisportler müssen stets funktionieren. Doch der Druck und das Leben in der Öffentlichkeit können für psychische Probleme sorgen. Daniel Kreutzer, jahrelang das Gesicht des Düsseldorfer Eishockeys, spricht über seine Depressionen.
DÜSSELDORF Im Sommer 2007 war es vorbei. „Tunnelblick, Nackenschmerzen, Schwindel, keine Kraft mehr.“Daniel Kreutzer erinnert sich noch gut an die Zeit. Der heute 41-Jährige war bei einem Lehrgang des Eishockey-Nationalteams. Kondition bolzen, Muskeln aufbauen – die jährliche Routine zwischen den Saisons. Doch plötzlich ging nichts mehr, Kreutzer war wochenlang außer Gefecht. Ausgerechnet er, der nur 100 Prozent kannte. Der als Sohn der Stadiongastronomen schon als Kind übers Eis der Düsseldorfer Brehmstraße flitzte. Der Topstürmer, das Gesicht der DEG.
Die Diagnose: Pfeiffersches Drüsenfieber. „Offiziell“, wie Kreutzer heute sagt. „Im Nachhinein war das ein Zusammenbruch.“Einer mit Folgen: „Die letzten zehn Jahre meiner Karriere hatte ich mit Depressionen zu kämpfen“, erzählte er kürzlich. Die DEG, bei der Kreutzer heute im Sport- und im Marketingbereich arbeitet, hatte zum Talk über „Mentale Gesundheit im Leistungssport“geladen. Auch Axel Zehle war dabei, sportpsychologischer Berater und Mentalcoach, früher beim Schalker Nachwuchs, mittlerweile bei Fortuna Düsseldorf und der DEG.
Depressionen unter Sportlern sind keine Seltenheit. Es gibt prominente Beispiele wie den Skispringer Sven Hannawald oder den Fußballer Robert Enke, der 2009 Suizid beging. Laut anonymen Umfragen ist die Dunkelziffer hoch. Der Druck von außen und innen, das Leben in der Öffentlichkeit, die Angst um Kaderplätze, vor Formkrisen oder Verletzungen – all das kann belasten. In der Corona-Krise kommt die wirtschaftliche Unsicherheit dazu. Trotzdem werde der mentale Aspekt weiter unterschätzt, sagt Zehle. Dabei sei er eine der vier Säulen im Sport: Technik, Taktik, Körper und Psyche – alles gleich wichtig, „um ans Limit zu kommen“.
Das Problem sei: „Körperliche Probleme sind schnell sichtbar, mentale nicht.“Es mangelte oft an Selbsterkenntnis, vor allem aber seien „die Spieler konditioniert, das zu verstecken. Keine Schwäche zeigen.“Auch Kreutzer sprach nur mit ganz engen Mitspielern über seine Psyche. Die große Rede hielt der Kapitän nicht – erst recht nicht öffentlich. Die Sorge, dass gegnerische Fans, Spieler oder gar Teamkollegen, mit denen man nicht klarkommt, die Situation ausnutzen, war zu groß. „Ich hatte Angst, dass es ein Problem wird und habe versucht, es zu vertuschen.“
2017 konnte er nicht mehr. Nach mehr als 1000 Ligaspielen, zwölf Weltmeisterschaften und zwei Olympia-Teilnahmen. „Die Verletzungen wurden immer mehr. Es hatte aber auch damit zu tun, dass ich nicht immer mit dem Kopf dabeigeblieben bin. Meine besten Spiele habe ich gemacht, wenn ich mental gut drauf war. In der Depression ist alles nur Grübeln, man denkt nach, kommt einen Schritt zu spät“, sagt Kreutzer, der nicht gelernt hatte, abzuschalten. „Ich habe 24 Stunden an Eishockey gedacht.“An den letzten Fehler. An die Fans, denen ein Derby oder ein Play-off-Spiel die Welt bedeuten.
Kreutzer hat stets polarisiert, in Düsseldorf geliebt, in Köln, Krefeld und Iserlohn gehasst. Er habe Kraft daraus gezogen, mit dem Publikum zu interagieren. Aber es konnte ihn auch runtermachen. Der Druck, die Anfeindungen, die Bewertungen von Fans und Presse. Kreutzer habe sich das lange zu Herzen genommen. Und ist froh, dass er das nicht mehr erleben muss. Der Hass, der Athleten Internet entgegenschlägt, kann einen erdrücken. Da werden dem Spieler Verletzungen oder den Kindern Krankheiten gewünscht. Die Leute wüssten gar nicht, was sie einem damit antun, sagt Kreutzer.
Die Krefeld Pinguine machten jüngst so einen Fall öffentlich, auch bei Fortuna Düsseldorf war das Thema. „Da ist jeglicher Anstand verloren gegangen, man muss intervenieren“, sagt Zehle, der Profisportlern generell zu mehr Abstand vom Beruf rät: „Körperlich wissen das fast alle, aber auch für die Psyche muss man Tankstellen finden.“Und sei es nur, abends vor dem Fernseher etwas zu lachen. Andere gehen mit dem Hund raus oder meditieren. Kreutzer macht Yoga – das habe er früher belächelt.
2007 brauchte er mehr: die Geburt seiner ersten Tochter, die Familie, Hilfe von Experten, neue Erfolge im Sport. Trotzdem gab es Rückschläge, „sehr viele schwere Zeiten“. 2012 zum Beispiel, der DEG fehlte Geld, sie stand am Tabellenende. Kreutzer war gereizt, leistete sich teils üble Fouls. In der Statistik stehen dann einfach eine Sperre oder ein paar Spiele ohne Tor. Zehle weiß: Es kann mehr dahinterstecken. Schlafstörungen, Reizbarkeit, Suchtverhalten können Anzeichen sein. Wobei es ihm wichtig ist, zwischen Leistungsloch, mentalem Tief und Depression zu unterscheiden. „Bei einem Fall wie bei Daniel braucht es eine Therapie.“Da könne er nicht helfen. Damit es nicht so weit kommt, gehe er „proaktiv“auf die Sportler zu, wenn er meint, etwas erkannt zu haben. Manchmal helfe es schon, zu sagen, dass jemand für ihn da ist.
Kreutzer hat das zum Glück hinter sich. Und will seine Erfahrungen weitergeben. Ein „emotionales Thema“sei das, „aber ich will damit jungen Sportlern vermitteln, dass es auch mit Depressionen geht. Es gibt immer einen Ausweg, es wird eine bessere Zeit geben.“