Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Umstrittene neue Freiheit
In den Niederlanden ist die Außengastronomie wieder geöffnet, unter strengen Auflagen. Aber nicht alle Wirte machen mit – manchen erscheint der Schritt unverantwortlich. Der Andrang am Königstag scheint sie zu bestätigen.
AMSTERDAM Mehr als ein halbes Jahr waren die niederländischen Bars und Cafés geschlossen. Am Mittwoch nun durfte immerhin die Freiluft-Gastronomie wieder öffnen – unter strengen Auflagen freilich. Die Rückkehr auf die innig geliebten „Terrasjes” als einer der ersten Schritte aus dem Lockdown wurde von zahlreichen Menschen sehnlichst erwartet. Doch nicht alle Gastronomen nutzen den neuen Bewegungsraum gleich aus. Aus Solidarität mit dem Pflegepersonal, das seit Monaten mit den extremen Anforderungen der zweiten und dritten Corona-Welle kämpft, hält diese Fraktion die Außenanlagen vorerst geschlossen.
Das Spezialitäten-Café Thembi in der limburgischen Provinzhauptstadt Maastricht etwa, ausgestattet mit ambitionierter Küche, will erst am 8. Mai wieder Besucher empfangen. Auf seiner Website findet sich ein Aufruf, die Mitarbeiter mit dem Kauf eines Gutscheins zu unterstützen. Betreiber Andrew Henrotte erklärte der Regionalzeitung „De Limburger“, die Übung in Geduld
geschehe im eigenen Interesse, denn ein nun zu schnelles Vorgehen könnte bedeuten, bald wieder völlig schließen zu müssen.
In der bei Tagestouristen beliebten Stadt im Dreiländereck zu Belgien und der Bundesrepublik sah man der Öffnung ohnehin mit gemischten Gefühlen entgegen. Bürgermeisterin Annemarie Penn-te Strake rief potenzielle Besucher aus dem wenige Minuten entfernten Belgien auf, nicht nach Maastricht ins Café zu gehen. „Unter normalen Umständen sind wir gastfreundlich, aber die Situation ist jetzt anders“– mit diesen Worten bat sie die Nachbarn um Geduld. In Belgien sollen die Café-Terrassen am 8. Mai wieder öffnen. Penn-te Strake verweist auf die strenge Regulierung – einen Drink oder Snack gibt es nur zwischen 12 und 18 Uhr, Reservierung ist obligatorisch, maximal zwei Personen pro Tisch. Im Zweifelsfall stehe die Kommune bereit, Maßnahmen zu treffen.
Im Café De Stier im Städtchen Eibergen, kurz hinter der deutschen Grenze bei Ahaus gelegen, will man sich auf Eventualitäten derzeit nicht einlassen. „Es fühlte sich für uns nicht richtig an, als der Premier die albernen Lockerungen aus seinem Ärmel zauberte“, beginnt ein Facebook-Bericht an die „lieben Stier-Gäste“. Sobald es wieder zu verantworten sei, werde man sie wieder willkommen heißen. Vorläufig aber klatsche man lieber dem Pflegepersonal Beifall.
„Diese Entscheidung ist völlig falsch getimed. Der Druck auf die Krankenhäuser und vor allem die
Intensivstationen ist noch viel zu hoch. Reguläre Operationen werden verschoben“, sagt Besitzer Sander Haafkes, der Bekannte in medizinischen Berufen hat. „Da kann ich nicht ruhigen Gewissens mit einem Tablett herumlaufen und Gäste versorgen.“Dass Kollegen der Wiedereröffnung entgegenfiebern, findet er logisch. Auch dass Besucher die Cafés ansteuern. „Menschen sind Menschen und keine Roboter. Das kann man ihnen nicht übel nehmen. Wohl aber denjenigen, die einen solchen Bock schießen.“
Tatsächlich warnen Mediziner seit Tagen vor dem gefürchteten „Code Schwarz“– also dem Zeitpunkt, zu dem die Krankenhäuser dem Ansturm nicht mehr standhalten können. Zwar sind die Neuinfektionszahlen in den vergangenen beiden Tagen deutlich gesunken. Die Tendenz der Krankenhausaufnahmen ist allerdings deutlich steigend. Insgesamt liegen fast 1800 Covid-Patienten in niederländischen Kliniken, hinzu kommen gut 800 auf den Intensivstationen. Ernst Kuipers, der Vorsitzende des landesweiten Netzwerks der Intensivmedizin, erwartet nach einem Bericht des öffentlich-rechtlichen Rundfunksenders NOS „bis weit in den Mai“anhaltend starken Druck.
Angesichts dieser Lage hat auch das traditionsreiche Café Jos, das den Titel „Meisterausschank“führt, im grenznahen Nijmegen beschlossen, die wiedergewonnenen Freiheiten nicht zu nutzen – „bis wir unseren schönen Beruf wieder auf verantwortliche Weise ausüben können“, wie ein Facebook-Bericht an die Kundschaft erklärt. „In meinem Bekanntenkreis sind viele, die in der Pflege arbeiten. Das Krankenhauspersonal läuft auf dem Zahnfleisch“, sagte Chefin Malu Evers gegenüber dem Sender RTL Nieuws.
Besonders brisant ist angesichts dieser Situation, dass am Koningsdag, dem traditionell im ganzen Land mit Freiluftpartys begangenen Geburtstag des Königs am 27. April, in zahlreichen Städten massiver Andrang herrschte. Mehrere Feiern auf Straßen und in Parks wurden bei strahlendem Sonnenschein von der Polizei aufgelöst. Anlässlich der Öffnung der Cafés rief denn auch die Amsterdamer Bürgermeisterin Femke Halsema auf, sich an die Corona-Regeln zu halten.