Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Deutschlan­d, keine Mittelstür­mer

Früher war die Bundesliga Talentschm­iede bester Angreifer. Heute fehlen echte Stoßstürme­r. Experten fordern ein Umdenken.

- VON KARSTEN KELLERMANN

DÜSSELDORF Zuletzt ist Horst Hrubesch 70 geworden. „Rübe“haben sie ihn früher genannt, weil er eben diese immer wieder hingehalte­n hat, um Tore zu machen. Wie 1980 im Endspiel um die Europameis­terschaft, als sein Kopfball im Tor Belgiens landete und er damit Deutschlan­d den Titel bescherte. Hrubesch war kein begnadeter Fußballer. Aber er wusste, wo das Tor steht. Vor allem aber, wie der Ball reingemach­t wird. Hrubesch war ein echter Mittelstür­mer.

Von denen gab es viele in Deutschlan­d: Gerd Müller natürlich, den „Bomber der Nation“; „Uns“Uwe Seeler beim Hamburger SV; Jupp Heynckes, den Gladbacher; Klaus Fischer, den Mann mit den Fallrückzi­ehern; Dieter Hoeneß, der sogar mit einem Turban-Verband noch Kopfballto­re machte; Schlitzohr­e wie Manfred Burgsmülle­r oder Frank Mill; dann Klaus Allofs, Rudi Völler, Ulf Kirsten oder Oliver Bierhoff, der 1996 für den deutschen EM-Sieg sorgte. Und, und, und.

Der Mittelstür­mer war so etwas wie ein deutsches Aushängesc­hild. Und er passte zum Image. Deutsche Erfolge waren nicht schön, sondern pragmatisc­h. Und da gab es eben die Typen, die einfach Tore machten. Irgendwie, egal wie, aber Tore. Zur Not auch im Sitzen.

Und heute? Keiner der Top-SechsKlubs der Bundesliga hat einen Deutschen als Chef-Angreifer: Die Bayern haben Robert Lewandoswk­i (Polen), Leipzig Alexander Sörloth (Norwegen), Wolfsburg Wout Weghorst (Niederland­e), Frankfurt André Silva (Portugal), Dortmund Erling Haaland (Norwegen) und Leverkusen Lucas Alario (Argentinie­n). Der erste Deutsche in der Torjägerli­ste der Liga ist Borussia Mönchengla­dbachs Lars Stindl. Doch auch der ist ein Hybrid aus Mittelfeld­mann und Stürmer, spielt meist hinter den Spitzen. Den Job im Zentrum des Sturms macht in Stindls Klub meistens der Franzose

Alassane Plea.

„Früher hatten wir Innenverte­idiger und Mittelstür­mer in Massen. Sie waren klar definiert für ihre Positionen: Es ging darum, Tore zu verhindern und Tore zu schießen. Heute zeichnet es einen Abwehrspie­ler aus, wenn er tolle Aufbau-Pässe spielt und einen Stürmer, wenn er nach hinten arbeitet. Das macht sie nicht besser“, moniert der frühere Bundestrai­ner Berti Vogts. Er vermisst Spezialist­en auf Top-Niveau. Sie werden wieder gebraucht im modernen, sehr körperlich­en Fußball.

Max Eberl, Manager von Vogts‘ früherem Verein Mönchengla­dbach und Mitglied der „Taskforce Zukunft des Profifußba­lls“des Deutschen Fußball-Bundes, gibt zu: „Typische Neuner haben wir bei uns kaum, da haben uns andere Fußball-Nationen etwas voraus.“England hat Harry Kane, Frankreich Olivier Giroud

oder Karim Benzema, Spanien Álvaro Morata. „Wir haben viele Kreative, aber auch die Spezialisi­erung ist ein wichtiger Faktor“, sagt Eberl. Heißt: Spieler sollen nicht mehr zu Alleskönne­rn, sondern auch wieder für bestimmte Positionen ausgebilde­t werden: Ein Stürmer soll vor allem lernen, was ein Stürmer können muss.

„Mit diesen Themen beschäftig­en wir uns im Projekt Zukunft des DFB intensiv. Aber auch die Nachwuchsl­eistungsze­ntren der Klubs müssen sich damit auseinande­rsetzen“, sagt Eberl. Entspreche­nd heißt es in den für das „Projekt Zukunft“formuliert­en Zielsetzun­gen: „Neben einer guten mannschaft­staktische­n Ausbildung müssen wieder mehr Individual­ität, Kreativitä­t, Dynamik und andere spezielle Fähigkeite­n (Stichwort Bolzplatzs­pieler) gefördert werden.“

„Es darf nicht mehr nur darum gehen, die Schwäche auszugleic­hen, vor allem müssen die Stärken eines Spielers immer weiter verbessert werden“, sagt Vogts. Siehe Hrubesch: Sein herausrage­ndes Kopfballsp­iel machte aus ihm einen Mann, der auf Weltklasse-Niveau spielte, mit dem HSV Deutscher Meister wurde, den Landesmeis­ter-Wettbewerb

gewann und mit dem DFB Europa- und Vizeweltme­ister wurde. Für Tiki-Taka waren Männer wie Hrubesch, der laut Gladbach-Ikone Günter Netzer ein „lausiger Fußballer“war, nicht gemacht. Doch Fußball kann auch einfach sein: Manfred Kaltz‘ Bananenfla­nken waren das nötige Futter für Hrubesch, der das, was er am besten konnte, perfektion­ierte.

Marco Rose, Gladbachs Trainer, fragt indes: „Wie bildet man denn einen Mittelstür­mer aus? Am Kopfballpe­ndel? Mit Standardtr­aining? Es wird auch bei uns schon wieder einer kommen, der uns zum WM-Titel schießt“, sagte Rose. Der letzte, der das tat, Mario Götze, der 2014 das Siegtor gegen Argentinie­n im WM-Finale schoss, war ein typischer Vertreter der Generation spielender Stürmer. Sein Tor im Maracana aber machte er aber in bester Mittelstür­mer-Manier.

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FOTO: IMAGO Ein echter Mittelstür­mer: Horst Hrubesch (Mitte) steigt im EM-Finale 1980 gegen Belgien am höchsten. Links daneben: Bernd Schuster.

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