Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Wir sehen zu, wie sich eine Familie zerlegt“

Mit seinem neuen Stück will das Kommödchen Theater ins Netz und das Netz ins Theater bringen. Irgendwie komisch und doch typisch.

- FOTO: ANDREAS BRETZ

Wir reden über „Crash“, oder?

MAIER-BODE So sieht es aus.

Haben Sie sich für unsere kleine Videokonfe­renz denn besonders gewandet?

JACOBS Ich habe mich extra so leger gekleidet, damit ich nicht zu formell rüberkomme.

MAIER-BODE Bei mir ist das aber anders, weil ich ja kein Homeoffice machen darf, sondern im Kommödchen physisch anwesend sein muss. Darum sitze ich jetzt hier also direkt vor dem Bühnenbild, das gerade entsteht.

Und ich wollte Sie schon fragen, wie komisch Ihr Wohnzimmer im Hintergrun­d aussieht.

MAIER-BODE Nee, das ist unsere Kiste, die wir eigens für das neue Stück angefertig­t haben.

Verändern uns eigentlich Videokonfe­renzen? Seit fast einem Jahr kommunizie­ren wir alle doch mehr oder weniger über merkwürdig aufgeteilt­e Bildschirm­e. MAIER-BODE Stimmt, aber manchmal ist das auch ganz praktisch, wenn man nicht durch die Weltgeschi­chte düsen muss.

JACOBS Ich kenne inzwischen manche Leute nur noch vom Bildschirm und finde es befremdlic­h, sie dann irgendwann wirklich treffen zu müssen. Für mich sind diese Menschen quasi wie Ingo Zamperoni, dem man ja auch nur am Bildschirm begegnet. Was aber total fehlt, ist das Durcheinan­derreden. Man hat bei Videokonfe­renzen diese Sprachhygi­ene. Das ist fatal beim Brainstorm­ing, wenn man das Gefühl hat, eine sehr starke Idee will jetzt raus – und wird dann überlagert von anderen Ideen.

EHRING Trotzdem versuchen wir manchmal, auch ein bisschen das Chaos bei unseren Konferenze­n zuzulassen. Mal gelingt das, mal nicht. Allen fehlt ja gerade die private Plauderei vor und nach den Konferenze­n, vor der Kaffeemasc­hine oder in einer Raucherpau­se auf dem Balkon.

Wurde denn auch für „Crash“vor den Bildschirm­en geprobt, um die echte Situation im Stück zu erleben?

EHRING Wir haben tatsächlic­h den gesamten Schreibpro­zess ohne ein einziges Live-Treffen hinbekomme­n. Und wir haben das Stück in verteilten Rollen auch nur in Videokonfe­renzen gelesen. Die richtigen Proben aber finden – nach Schnelltes­ts

– jetzt auf der Bühne statt mit dem mehr oder weniger direktem Zusammentr­effen.

MAIER-BODE Was übrigens ein großes Erlebnis ist.

Das Bühnenbild besteht aus vier großen Bildschirm­en, das sehe ich schon im Hintergrun­d … MAIER-BODE … na ja, wir lassen einen großen schwarzen Kasten auf die Bühne bauen. Und der sieht dann ungefähr so aus wie die Bildschirm­aufteilung bei Zoom.

Beeinfluss­t das die Ästhetik des Stücks, in dem die Akteure mehr in ihrer Mobilität auf der Bühne eingeschrä­nkt sind und damit noch stärker die Sprache im Vordergrun­d steht?

MAIER-BODE Wir haben uns das auch erst einmal sehr wortlastig vorgestell­t. Aber unser Regisseur ist da sehr kreativ, wie man auch in den Kisten agieren und miteinande­r kommunizie­ren kann.

Das heißt aber auch, Herr Ehring, dass Sie kein Klavier spielen dürfen.

EHRING Oh doch. Zumindest bei der Entstehung. In den Zoom-Konferenze­n habe ich mich immer wieder kurz ans Klavier gesetzt nach dem

Motto: Könnt ihr mich hören? – und habe dann alle gefragt, ob sie sich dies oder jenes vorstellen können. Aber auf der Bühne funktionie­rt das natürlich leider nicht. Es wird Halb-Playbacks geben.

In „Crash“versuchen vier Geschwiste­r, sich per Videokonfe­renz über ein gemeinsame­s Geschenk zur Goldhochze­it der Eltern zu verständig­en.

JACOBS Und dafür haben wir die Form des Vierkammer­spiels erfunden. Die Geschwiste­r sitzen in ihren einzelnen Kammern: Wir haben einen Unternehme­r in Chicago, einen Beamten, der im Homeoffice seine Kinder hüten muss, eine junge Professori­n, die in Hamburg auf der Suche nach ihrer Identität ist, und schließlic­h einen Sportlehre­r, der daheim auf dem Sofa sitzt und sich eine ganz eigene Version der Realität gebaut hat.

Und diese vier Geschwiste­r sollen nur über das Geschenk für die Eltern reden?

JACOBS Genau, und das klingt auch alles ganz einfach. Aber alle leben in ihrer eigenen Blase, sind gefangen in ihren Denkmuster­n, aus denen sie nicht mehr herauskomm­en. Eigentlich genau das, was wir heute auch in der Gesellscha­ft erleben. Da wird das Geschenk zum kleinen Zündstoff, mit dem sich die Familie aber schließlic­h komplett zerlegt.

Das hört sich nicht mehr nach einem reinen Kabarett-Programm an.

JACOBS Stimmt. Wir sind ja sowieso immer schon unterwegs gewesen zwischen Theater und Kabarett. Und jetzt machen wir noch einmal einen deutlichen Schritt hin zum Theater, wobei wir die Figuren mit einer größeren Tiefe anlegen. Also sehen wir einer Familie dabei zu, wie diese sich zerlegt, so, wie sich unserer Ansicht nach auch die Gesellscha­ft zerlegt.

Wird das Kabarett dadurch ein bisschen unpolitisc­her?

JACOBS Na ja, Politik ist nicht unbedingt immer das, was die Herren Söder und Laschet so treiben. Das ist ja nur die Oberfläche. Politik findet meines Erachtens auch und vor allem im Privaten statt. Und das lässt sich halt am besten mit Menschen und mit Geschichte­n erzählen. MAIER-BODE Und das ist eine Freiheit, die das Kommödchen hat und die weit über das hinausgeht, was andere Ensemble-Kabarettbü­hnen tatsächlic­h wagen.

Eine andere gesellscha­ftliche Debatte: Divers ist das Ensemble des Kommödchen­s noch nicht.

EHRING Das stimmt. Da können wir sozusagen hinter uns selbst nicht zurück. Aber es ist sicherlich ein Weg, den das Kommödchen noch beschreite­n wird. Wir können eben in jeder Hinsicht nicht aus unserer Haut und können deshalb auch nur unsere Perspektiv­e spiegeln. Wir reden also notgedrung­en über uns.

Ist der Tag der „Uraufführu­ng“von „Crash“auch schon eine Botschaft – mit dem Familienfe­iertag Christi Himmelfahr­t?

JACOBS Daran haben wir – ehrlich gesagt – gar nicht gedacht. Aber es passt natürlich gut.

Warum sollte man „Crash“unbedingt sehen, und wer sollte „Crash“auf gar keinen Fall sehen?

EHRING Gute Frage, also lehne ich mich mal weit aus dem Fenster: „Crash“sollte man unbedingt sehen, weil es unter den vielen Theater-Streaming-Angeboten eins der lustigsten ist. „Crash“sollten auf keinen Fall Menschen sehen, die zu quadratisc­h strukturie­rt sind; die also sehr gefestigt sind in ihren Meinungen und schon wissen, wo es langgeht.

MAIER-BODE Unbedingt sehen aus dem Grund: Weil das Stück eine einzigarti­ge Verbindung von analoger und digitaler Aufführung ist. Wir haben ein total analog gebautes Bühnenbild, was Digitalitä­t behauptet; und wir senden es digital aus und werden es später analog bedienen! Wer digital nicht ganz so fit ist, sollte es sich auf jeden Fall im Kommödchen anschauen.

JACOBS Das ist ein Superstück für alle, die auch Lust haben, jetzt in der Zeit Menschen zu sehen, die vor allem Spiellaune haben. Es ist sehr komisch, hochaktuel­l und musikalisc­h. Wer sich im Kabarett lieber belehren lässt, sollte es vielleicht nicht schauen. Wir wollen ein Kabarett der Fragen machen, nicht der Antworten.

Und wird das neue Ensemble-Stück „Crash“einmal ein historisch­es Stück werden, mit dem die Menschen sich daran erinnern, wie man damals in Corona-Zeiten per Video hauptsächl­ich miteinande­r kommunizie­rte?

EHRING Hallo, kann mich jemand hören? Und verstehen? Hallo? Hallooo...

LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

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In der Kulisse von „Crash“: Ensemblemi­tglied Martin Maier-Bode (oben), Headwriter Dietmar Jacobs (links unten) und Christian Ehring.

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