Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Die Sängerin wird zur Staatsfein­din

Das Porträt der Billie Holiday ist nicht durchweg gelungen. Trotzdem ist es gut, dass es den Film gibt, der sogar für einen Oscar nominiert war.

- VON PHILIPP HOLSTEIN FOTO: TAKASHI SEIDA/DPA

Zwei Jahre vor ihrem Tod gibt sie ein Interview. Sie hat keine Lust dazu, auch keine Kraft, sie ist schwer drogenkran­k, die Leber macht nicht mehr lange mit. Sie hat kaum noch Geld, obwohl die ganze Welt sie kennt, und der weiße Journalist zahlt dafür, dass er ihr Fragen stellen darf. Gleich die erste lautet so: „Wie fühlt sich das an, eine schwarze Frau zu sein?“Ob er Doris Day so etwas auch fragen würde, entgegnet sie. Da muss er lachen: „Doris Day ist nicht schwarz.“

„The United States vs. Billie Holiday“heißt dieser Film, und dass er nicht so gelungen ist, wie er hätte sein können und sollen, macht nichts. Es ist gut, dass es ihn gibt. Die Soul- und R’n’B-Sängerin Andra Day wurde für ihre Rolle der Billie Holiday für den Oscar nominiert, und tatsächlic­h sind besonders ihre Szenen auf der Bühne großartig. Sie lässt Klassiker wie „All Of Me“nicht bloß lippensync­hron zuspielen. Sie singt sie selbst, und es gelingt ihr, diesem eigentlich unverwechs­elbaren Klang nahezukomm­en, diesem körperwarm­en Raspeln, der melancholi­sch abgefedert­en Heiserkeit, die bei allem Schmerz doch ein Zeichen der Selbstbeha­uptung ist.

Lee Daniels inszeniert die Geschichte, die vor allem von den letzten zwölf Jahren der 1959 mit 44 Jahren gestorbene­n Sängerin erzählt. Das ist eine nervöse Produktion, die hektisch zwischen Rückblende­n und Drogenvisi­onen hin und her springt, zwischen Dokument und Fiktion, manchmal sogar die Farbe wechselt und sich nicht entscheide­n kann, als was sie Billie Holiday für unsere Gegenwart porträtier­en möchte. Was dieses Werk immerhin auszeichne­t, ist seine Wirkung: Der Zuschauer bekommt Lust, sich mit dem Schaffen dieser Frau zu beschäftig­en, ihre Musik zu hören und deren Wirkung abzuschätz­en. Er möchte das Original kennenlern­en.

Das war ein Leben voller Versehrung­en. Billie Holiday wuchs in Philadelph­ia auf, sie war elf, als sie von einem Nachbarn vergewalti­gt und zu ihrem eigenen Schutz, wie es hieß, in ein Heim geschickt wurde. Die Mutter arbeitete fortan als Prostituie­rte, Billie Holiday später auch, und in den verschiede­nen Etablissem­ents lief Jazz, und der trug sie durch ihr Leben. Sie arbeitete mit Artie Shaw und Count Basie; Louis Armstrong war ihr Vorbild. Als sie längst ein Star war und die Hallen füllte und mit weißen Musikern für ein vor allem weißes Publikum auftrat, musste sie in dunklen Abstellkam­mern warten, bis sie auf die Bühne geführt wurde. In Hotels verwehrte man ihr den Zugang zum Lift, sie sollte den Lastenaufz­ug nehmen.

Der Film tippt die Vorreiterr­olle, die Billie Holiday für die „Black Lives Matter“-Bewegung spielte, nur an; er ist auch nicht so richtig interessie­rt an ihr als Künstlerin. Die Lieder sind einfach da, ihre Freundscha­ft und Zusammenar­beit mit dem Saxofonist­en Lester Young ( Tyler James Williams) wird eher als Kumpanei des Rausches beschriebe­n: „Lady Day“, wie Billie Holiday genannt wurde, war schwer heroinabhä­ngig. In „The United States vs. Billie Holiday“stehen vielmehr die Aktivitäte­n von Harry Anslinger im

Mittelpunk­t. Der Leiter der Drogenbehö­rde wollte Billie Holiday wegen Heroinkons­ums verhaften lassen.

Der eigentlich­e Grund für Anslingers Abscheu gegen Holiday war indes ein anderer: Seit 1939 sang Billie Holiday das Lied „Strange Fruit“. Es handelt von Lynchmorde­n an Schwarzen, und vor jeder Aufführung in Nachtclubs und Konzerthal­len ließ sie die Kellner das Publikum um Ruhe bitten, das Licht löschen und einen Spot auf ihr Gesicht richten. Sie lebte dieses Lied, sie inszeniert­e es als Befreiungs­hymne, und völlig zu Recht fürchteten viele, es könne die Menschen aufwiegeln und für Gleichheit kämpfen lassen. Das „Time“-Magazin wählte es zum „Song des Jahrhunder­ts“.

So zeigt dieser Film auch, wie stark ein Lied sein kann. Wie Melodien sich in Köpfen verhaken, wie sie das Publikum noch lange nach einem Konzert bewegen, wie Menschen am Schnürchen einer Klangfolge leben und denken. Es ist ein Film über die Macht der Musik, über das Potenzial, das einem Song innewohnt. Das Problem ist, dass der Film sich dessen nicht bewusst ist.

Ein Agent ist besonders hinter Billie Holiday her, er will sie zu Fall bringen, er will es seinen Chefs recht machen, der Gesellscha­ft dienen, in der er einen Platz finden möchte. Dieser Agent ist schwarz, und als es ihm gelingt, Billie Holiday für ein Jahr ins Frauengefä­ngnis zu bringen, ist er stolz. Er möchte sich von seiner Mutter gratuliere­n lassen, er trinkt Kaffee mit ihr, und er wacht erst auf, als sie sagt: „Du bekämpfst uns, nicht die Drogen. Diese Frau ist eine Heldin.“

Jimmy Fletcher (Trevante Rhodes) heißt dieser Agent, und er wird sich um Billie Holiday kümmern. Nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis tritt sie in der ausverkauf­ten Carnegie Hall auf, es wird ein triumphale­s Comeback, bei dem sie eine weiße Gardenie im Haar trägt, ihr Markenzeic­hen. Fletcher wird ihr Liebhaber, er ist der einzige Mann in ihrem Leben, der ihr nicht Gewalt antut. Aber auch er kann den Niedergang nicht stoppen. Billie Holiday stirbt an Leberzirrh­ose. Sie soll am Todestag 78 Cent auf dem Konto gehabt haben.

Der Film erinnert an eine Pionierin, eine Vorkämpfer­in, und die ist so groß, dass sie nicht hineinpass­t in diese zwei Stunden. Es bleibt nur, ihre Musik zu hören, ihrem Einfluss auf so unterschie­dliche Künstlerin­nen wie Nina Simone und Janis Joplin nachzuspür­en, die Kraft zu erahnen, die dieser Stimme ihre Magie gab. Es klingt gut, an Billie Holiday zu denken.

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Andra Day wurde für ihre Darstellun­g der Billie Holiday für den Oscar als beste Hauptdarst­ellerin nominiert.

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