Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Von Demut keine Spur
Hier noch mal zum Mitschreiben: „Ich denke schon, dass in den vergangenen Monaten mehr Demut zu erkennen war.“Das sagte Herbert Hainer, Bayern Münchens Präsident, im späten Herbst 2020. Da wusste er natürlich noch nicht, dass im Frühjahr 2021 von Demut im Profifußball keine Rede sein kann – trotz Corona-Krise und fetter Verluste der Fußball-Firmen, trotz vornehmer Sonntagsreden und Absichtserklärungen. Nichts hat sich geändert. Und wer jetzt so tut, als habe er es nicht ahnen können, der macht sich mindestens der Heuchelei schuldig.
Im Einzelnen: Die demütigen Bayern hauen für die Herauslösung ihres Wunschtrainers Julian Nagelsmann aus dessen Vertrag bei RB Leipzig die Weltrekordsumme von 25 Millionen Euro raus – bei erwarteten Verlusten in dreistelliger Millionenhöhe. Da muten die Einkaufstouren von Borussia Mönchengladbach und Borussia Dortmund bescheiden an. Gladbach holt sich Trainer Adi Hütter für 7,5 Millionen Euro aus Frankfurt, Dortmund sichert sich die Dienste von Marco Rose für fünf Millionen Euro. Dass die Herren über gültige Verträge verfügten, interessiert an der Transferkasse offenbar niemanden. Es kommt einem ein Satz von Christian Seifert in den Sinn. Der Chef der Deutschen Fußball Liga (DFL), immerhin der Vertretung aller 36 deutschen Profiklubs, beklagte in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“vor ziemlich genau einem Jahr „schamlos zur Schau gestellten Reichtum“. Die Bundesliga meinte er nicht, aber er hätte sie meinen können.
Seifert sah seinerzeit mit besorgtem Blick auf die Konkurrenz auf dem Kontinent, die gar nicht erst von Demut fabulierte, weil sie zum großen Teil schier unendliche Finanzreserven ihrer Geldgeber aufrufen konnte. Dass ihr Größenwahn ausreichte, sehr konkret an die Bildung
einer geschlossenen Superreichen-Gesellschaft in der Super League zu gehen, musste Seifert bereits vor einem Jahr erwarten. Er gehört ja nicht zur Fraktion derer, die mit rosigen Wangen beteuern, das habe keiner ahnen können.
Der Aufschrei der Fans hat die abscheuliche Gier und die Pläne, diese Gier zu befriedigen, allenfalls gebremst. Gestoppt hat er nichts. Real Madrid und der FC Barcelona betreiben ihre Pläne weiter. Eine Milliarde (Barcelona) und fast eine Milliarde (Real) Euro Schulden schieben sie vor sich her. Ihr Sanierungsprogramm besteht nicht in Vernunft, sondern in hemmungsloser Geldscheffelei mit Hilfe einer US-amerikanischen Großbank.
Die Uefa wiederum lässt ihre eigenen Gesetze vom Financial Fair Play in der Vitrine in Nyon am Genfersee.
Und sie beschließt eine Champions-League-Reform für 2024, die vor allem den Großen dient. Den spanischen Branchenführern kommt die Reform zu spät, sie bejammern den bevorstehenden wirtschaftlichen Bankrott. Sie schämen sich nicht einmal, sich als Retter des
Profifußballs zu inszenieren, dabei geht es ihnen nur um den eigenen Geldschrank.
Solche Gedanken bewegen auch den europäischen Verband. Er bringt mitten in der dritten Corona-Welle die Hybris auf, von den Austragungsorten der Europameisterschaft Garantien für die Zulassung von Zuschauern zu verlangen. Ist das demütig?
Bei all den Geschmacklosigkeiten möchte auch der DFB nicht zurückstehen. Er leistet sich seit Monaten einen internen Machtkampf mit dem Lager des Präsidenten Fritz Keller auf der einen und dem seines Stellvertreters Rainer Koch (mit Generalsekretär Friedrich Curtius) auf der anderen Seite. Beide Parteien bringen zuverlässig vertrauliche Details, die die jeweils andere belasten, an die Öffentlichkeit. Und Keller verstieß gegen alle guten Sitten, als er Koch mit dem berüchtigten Nazi-Richter Roland Freisler verglich. Den fälligen Rücktritt hat der Präsident immer noch nicht eingereicht. Auch das ist kein Ausweis von Demut.
Zum kompletten Bild eines jämmerlichen Monats April gehören die Entgleisungen von Schalker Fans, die nach dem feststehenden Abstieg Jagd auf Spieler und Funktionäre machten. Wie sagte Herbert Hainer vor einem halben Jahr: „Ich denke schon, dass in den vergangenen Monat mehr Demut zu erkennen war.“Von wegen.
Allenfalls die Amateure müssen sich demütig den Folgen der Pandemie beugen. Ihre Wettbewerbe sind abgebrochen worden. Aber das interessiert den großen Fußball ja nicht.