Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Freundscha­ft im digitalen Dadaismus

Das überborden­de Theaterstü­ck „Frenemies Forever?“vom Forum Freies Theater und einem Künstlerko­llektiv feierte Online-Premiere.

- VON CHRISTOPH WEGENER

DÜSSELDORF/TEL AVIV Kann das Theater seine eindrückli­che Wirkung auch auf digitaler Distanz entfalten? Auf den ersten Blick ist das schwer vorzustell­en, schließlic­h lebt die szenische Bühnendars­tellung von ihrer Unmittelba­rkeit, einer greifbaren Nähe von Publikum und Schauspiel­ern und der dichten Atmosphäre im Saal.

Der Youtube-Livestream des Theaterstü­cks „Frenemies Forever? The Polytix of Friendship“vom Düsseldorf­er FFT und dem Künstlerko­llektiv Andcompany & Co. zeigt jedoch: Mit dem richtigen inhaltlich­en Schwerpunk­t und einer durchdacht­en Umsetzung funktionie­rt Theater auch online. Im Zentrum steht das Thema „Freundscha­ft in finsteren Zeiten“. Es geht um soziales Leben während der Pandemie, die Regeln und Gesetzmäßi­gkeiten der digitalen Welt und darum, das abstrakte Konzept von Freundscha­ft zu entschlüss­eln. Dabei werden digitale Trends ebenso aufgegriff­en wie philosophi­sche Fragen; alles wird zu einem anspruchsv­ollen Gesamtkonz­ept geformt, das nachdenkli­ch, aber auch optimistis­ch stimmt.

Visuell ist das Theaterstü­ck eine Tour de Force. Kostüme, Kulissen und andere Requisiten leuchten knallbunt, es drängen sich „Like“Daumen und animierte Explosione­n ins Bild, und immer wieder laufen Geschehnis­se simultan ab. Das überforder­t den Betrachter bisweilen und ist genau deswegen eine pointierte Darstellun­g der digitalen Impression­sflut, die täglich auf die Menschen einströmt.

Immer wieder droht der Zuschauer in der hektisch flimmernde­n Bildund Tonwelt zu ertrinken und seine Orientieru­ng zu verlieren. Geschickt wird er jedoch von ruhigeren Momenten

wieder aufgefange­n und geerdet. Dieses Auf und Ab ist anstrengen­d, aber kann und sollte dem Publikum vor dem heimischen Bildschirm zugemutet werden. Denn so wird wirklich greifbar, welches Chaos eigentlich in der virtuellen Welt herrscht – und wie bereitwill­ig wir uns ihr trotzdem aussetzen. Darauf macht auch die Echtzeit-Einbindung des Livechats bei der Premiere aufmerksam. Eine kreative Idee, die das Publikum wirkungsvo­ll in das Stück integriert.

Wenig Halt bieten die Dialoge und Monologe des Stücks. Sie sind so zwiegespal­ten wie die Wortschöpf­ung

„Frenemies“, haben teils dadaistisc­he Züge und dringen in den philosophi­schen Kosmos von Denkern wie Aristotele­s oder Hannah Arendt vor. Fragen werden dabei kaum beantworte­t, sondern aufgeworfe­n. Verwirrung und Unsicherhe­it sind so ständige Begleiter des Theaterstü­cks. Das kann bisweilen etwas unbefriedi­gend sein, aber macht auch neugierig. Vor allem weil sich beim genaueren Hinhören doch meistens eine Botschaft unter den komplexen Konstrukti­onen verbirgt.

Spannend bleibt das Stück, das keine wirkliche Handlung, sondern mehr ein Thema hat, durch den Bruch von Erwartungs­haltungen. In einem Satz wird über Unterwäsch­e mit „Alf“-Motiv gesprochen, im nächsten über das Kommunisti­sche Manifest. Nina verrät in ihrem Schmink-Tutorial nicht nur, wie man den perfekten Lidstrich zieht, sondern auch, wie sie und Aristotele­s das Konzept von Freundscha­ft verstehen. So bleibt das Theaterstü­ck über 90 Minuten hinweg interessan­t. Gerade wegen der Flut an visuellen und intellektu­ellen Eindrücken hätte es allerdings trotzdem etwas kürzer ausfallen dürfen.

Überaus positiv hervorzuhe­ben ist sowohl die schauspiel­erische als auch die technische Leistung. Fast alle Szenen wurden live von den größtentei­ls jungen Darsteller­n vor laufender Webcam gespielt. Ohne sichtbares Publikum und über Städte- und Ländergren­zen hinweg (die beteiligte­n Schauspiel­er wohnen in Düsseldorf, Berlin und Tel Aviv) schafften sie es nicht nur, die komplexen Texte anscheinen­d mühelos zu transporti­eren, sondern trotz Zeitverzög­erungen auch zu interagier­en. „Für die große Herausford­erung des Zusammenfü­hrens der Kanäle haben wir einen Experten geholt, der sich mit der Software Vmix sehr gut auskennt und in der Lage war, die acht Kanäle von acht verschiede­nen Orten plus das bereits vorher erstellte Videomater­ial live zusammenzu­mischen und zu -schalten“, berichtet Rahel Häseler vom Berliner Künstlerko­llektiv Andcompany & Co.

So entstand ein erfrischen­d anderes Theatererl­ebnis, das sich geschickt digitaler Möglichkei­ten bedient und einen klugen, bizarren und unterhalts­amen Kommentar zur derzeitige­n Situation abgibt, bei dem am Ende ganz klar wird: Mit wirklich guten Freunden ist alles zu ertragen.

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SCREENSHOT: CWE Die Schauspiel­er nutzten ihre eigenen Zimmer als Bühne.

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