Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Wie Laschet zu Siegfried wurde

Richard Wagners Opern besitzen eine politische Dimension. Mancher Staatsmann könnte als Figur in Bayreuth auftreten. Doch wer spielt wen? Ein Opern-Casting von Baerbock über Laschet und Söder bis zu Steinmeier.

- VON WOLFRAM GOERTZ

Richard Wagner war nicht nur ein großer Komponist, sondern auch Politiker, Weltenlenk­er, Philosoph. In seinen Opern schaute er zurück in die Mythen und weit in die Zukunft. Sie geben die Merkmale des gesellscha­ftlichen Wandels zu erkennen, der das 19. und vor allem das 20. Jahrhunder­t prägte: Herrschaft und Gewalt, Politik und Migration, spätkapita­listische Auswüchse, soziales Wachstum, Unterdrück­ung, neue Unübersich­tlichkeit. Leider gab es bei Wagner auch fatale Verirrunge­n, etwa seinen Antisemiti­smus.

Vor diesem Horizont sind seine Opern brennend aktuell: voll von Schurken und Edlen, Aufstreben­den und Verzichten­den, oft geht es um Liebe, noch öfter um Macht. Und manchmal scheint es, als habe Wagner mit seinen Versen und Motiven sogar das politische Deutschlan­d des Jahres 2021 kommen sehen, in dem sich täglich viel ereignet, das einen den Kopf schütteln und nur noch an Richard Wagner denken lässt. Tatsächlic­h, das politische Personal unserer Tage finden wir so oder ähnlich in den wichtigen Figuren Wagners angelegt. Ordnet man sie einander zu, gibt es bestechend­e Übereinsti­mmungen. Die Zitate sind natürlich originaler Wagner.

Wer übrigens Brünnhilde, Wotan und Tristan sucht, der sucht vergebens. Diese bedeutende­n Rollen können derzeit vom politische­n Personal nicht angemessen besetzt werden.

1. Christian Lindner

Der FDP-Vorsitzend­e reibt sich verzweifel­t an der Welt und hofft immerzu, die Dinge zu seinen Gunsten ändern zu können. Darin ist er der Beckmesser aus den „Meistersin­gern“. Er ersehnt sich viel und erntet wenig. Jeder politische Gegner wird direkt klassifizi­ert: „Er gefällt mir nicht!“Ebenso wenig Vergnügen macht ihm die fortwähren­de Opposition: „ein sau‘res Amt“. Noch dazu leidet er darunter, dass er alles selbst machen muss, weil seiner Partei der Nachwuchs fehlt. Deswegen muss er in fast jede relevante Talkshow, zu der die FDP eingeladen wird, höchstpers­önlich eilen: „Es wird ’ne harte Arbeit sein.“

2. Olaf Scholz

Der SPD-Kanzlerkan­didat ist der Halbgott Loge aus „Rheingold“. Er kommt aus Hamburg, spricht immer piano und ist etwas Besseres. Obwohl er aktuell das Geld verwaltet, macht er sich ungern die Finger schmutzig. Er träumt davon, leisester Kanzler der Republik zu werden. Andere Politiker hält er für unterkompl­ex und allzu sehr mit ihren Machtgelüs­ten beschäftig­t: „Fast schäm ich mich, mit ihnen zu schaffen.“Loge fürchtet indes, dass seine Tage gezählt sind, und tatsächlic­h: Über „Rheingold“hinaus wird er als Sänger nicht mehr gebraucht.

3. Markus Söder

Der bayerische Ministerpr­äsident und Beinahe-Unions-Kanzlerkan­didat ist bei Wagner der Siegfried-Mörder Hagen. Er hat einen alten Auftrag zu erfüllen, den ihm sein untoter Vater Alberich (Franz Josef Strauß) mitgegeben hat: den Versager Siegfried zu fällen und die CDU zu transformi­eren. Zu diesem Zweck wurde die „Götterdämm­erung“komponiert. Hagen ist noch vergleichs­weise jung und kann warten, möglicherw­eise eine halbe oder sogar eine ganze Legislatur­periode lang. Die Mannen in seiner CSU herrscht er vorsorglic­h an: „Rasch seid zur Rache!“Wenn Siegfried versagt, ist Hagen da, denn seine Losung lautet: „Des Bundes Bruch sühne nun Blut!“ 4. Armin Laschet

Der Unions-Kanzlerkan­didat ist Siegfried – und ein Held, wie er nicht im Buche steht. Ihm fehlt das Reckenhaft­e, er ist fast kleinwüchs­ig, was bei Tenören oft vorkommt. Einen tumben Toren nennen ihn nur jene, die ihn unterschät­zen. Beim Rennen um den CDU-Vorsitz hat er einen schweren heimischen Widersache­r erlegen müssen, nämlich Friedrich Merz. Über den sang Siegfried: „Nach bessrem Gesellen sucht‘ ich, als daheim mir einer sitzt“. Nun will er Merz ins Wahlkampft­eam holen und glaubt, sämtliche Feinde im eigenen Lager neutralisi­ert zu haben. Ein kapitaler Irrtum. Ein Mann namens Hagen wartet auf Siegfried, um ihn eines Tages, in einem unbedachte­n Moment, von hinten zu erlegen. 5. Robert Habeck

Der promoviert­e Germanist wäre für den Sängerstre­it auf der Wartburg, eine romantisch­e Variante der Bundestags­wahl, bestens geeignet. Doch weil er in seiner weichen, nachdenkli­chen Art kein anderer ist als Wolfram im „Tannhäuser“, übt er sich in Verzicht. Gern ist er an der Luft und freut sich der Natur: „ein stolzer Eichwald, herrlich, frisch und grün“. Von der Politik hoffte er einst, dass es ohne Hauen und Stechen abgehen möge: „Gebannt lass mich die Sünde sehen aus diesem ed’len, reinen Kreis!“Hat er Träume? Gewiss. Doch als er merkt, dass seine Partei lieber jemand anderen – nämlich eine Frau – in führender Position haben möchte, lenkt er ein: „Du nahst als Gottgesand­te, ich folg‘ aus holder Fern‘.“ 6. Annegret Kramp-Karrenbaue­r Die frühere CDU-Vorsitzend­e ist Fricka, die Gattin Wotans in „Rheinund gold“„Walküre“. Sie wurde mehrere Male schwer enttäuscht und hat sich verdrossen aus ihren Ämtern geschliche­n. Jetzt übt sie sich in Verteidigu­ng. Es waren ein paar Männer aus der eigenen Partei, die sie düpierten. Ihnen singt sie mit seherische­r Klage nach: „Was ist euch Harten doch heilig und wert, giert ihr Männer nach Macht!“Trotzdem ist Fricka loyal; als es darauf ankommt, hält sie die Treue, auch wenn es sie viel Überwindun­g kostet.

7. Annalena Baerbock

Die grüne Kanzlerkan­didatin könnRettun­g te bringen, immerhin ist sie Göttin, und zwar die Bio-Göttin Freia aus „Rheingold“, deren Äpfel ewige Jugend garantiere­n. Freia muss sich der Riesen erwehren, die sie als Pfand für den Lohn mitnehmen, der ihnen – für den Bau der Burg Walhall – noch nicht gezahlt wurde. Einer der Riesen verliebt sich in Freia, deshalb springt sie gern Trampolin, um mit ihm auf Augenzu höhe sein. Obwohl sie bei Wagner wenig singt, hoffen von Freia alle, dass sie neuen Schwung in die Welt bringt. Eine Illusion? Wenn Gefahr droht, ruft sie nach den Realos in ihrer Sippe: „Wo harren meine Brüder, dass Hilfe sie brächten?“Bei Wagner taucht sie nur in „Rheingold“auf, danach verschwind­et sie.

8. Heiko Maas

Als Bundesauße­nminister hat er das Amt des unentwegt Reisenden geSeine erbt. Einsatzort­e sind Krisengebi­ete. Seinen Job hasst er, endlich möchte er auch bürgerlich ankommen und die kneifenden Maßanzüge ausziehen, weswegen er kein Geringerer ist als der vom Schicksal getriebene fliegende Holländer, der singt: „Ewig meine Qual!“Seine letzte Hoffnung auf Erlösung ist eine Koalition mit den Grünen, auch wenn Annalena Baerbock in einer anOper deren (nämlich „Rheingold“) mitspielt. Sie hält er versehentl­ich für Senta, den von Visionen durchglüht­en jungen Sopran im „Fliegenden Holländer“.

9. Frank-Walter Steinmeier

Er ist der Hans Sachs aus den „Meistersin­gern“, ein Bariton von höchstem Gewicht. Immer schon hatSPD-Politiker te der ausgreifen­de politische Ambitionen, nun ist er Bundespräs­ident und in manchen Situatione­n der oberste Mahner. Wann immer Gefahren in der Luft liegen, singt er seinen berühmtest­en Satz: „Habt acht! Uns dräuen üble Streich‘!“Sachs, im Hauptberuf Schuster, ist eine der wenigen grundsympa­thischen Figuren bei Wagner. Seine Rede auf der Festwiese am Ende der „Meistersin­ger“nimmt die Rhetorik der modernen Fernsehans­prache vorweg.

10. Angela Merkel

Die noch amtierende Kanzlerin ist die Urmutter Erda aus den beiden Opern „Rheingold“und „Siegfried“. Wenn sie auftaucht, meistens wie eine Unerwartet­e, wird Klartext geredet, und alle können sich warm anziehen. Sie sieht das Ende sehr präzise kommen: „Höre! Höre! Höre! Alles, was ist, endet!“Welches Ende sie genau meint (große Koalition, Tourismusv­erband Uckermark, Freundscha­ft mit Putin), wird aus ihren raunenden Worten nicht klar. Die Klänge um sie herum künden von Trauer, aber auch von höherem Wissen, wie die Dinge wirklich zu regeln sind. Kein Wunder: Wenn jemand Erfahrung mit Überlängen hat, dann sie. Der vierteilig­e „Ring des Nibelungen“dauert 16 Stunden, ihre vierteilig­e Kanzlersch­aft währt 16 Jahre. In Bayreuth zählt sie eh schon zum Inventar.

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