Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Alte Reifen werden manchmal wieder neu

Runderneue­rte Reifen haben keinen guten Ruf, obwohl sie deutlich umweltscho­nender sind als herkömmlic­he Neureifen.

- VON CLAUDIUS LÜDER FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA-TMN

Rund 570.000 Tonnen, in Zahlen über 60 Millionen Altreifen sammeln sich jedes Jahr in Deutschlan­d an. Ein riesiger schwarzer Müllberg, dessen Entsorgung immer schwierige­r wird. Eine Möglichkei­t ist das Wiederaufb­ereiten der herunterge­fahrenen Reifen.

„Dabei wird die verblieben­e restliche Lauffläche abgetragen und nur die Karkasse, also die Unterkonst­ruktion, wiederverw­endet“, erklärt Michael Schwämmlei­n vom Bundesverb­and Reifenhand­el (BRV). Was einfach klingt, ist in der Praxis aufwendig und bedeutet nach wie vor viel Handarbeit. „Bevor ein Altreifen runderneue­rt werden kann, muss er zunächst auf mögliche Beschädigu­ngen untersucht werden“, sagt Obika Julius von der Firma Reifen Hinghaus aus Dissen bei Osnabrück, dem einzigen Runderneue­rer für Pkw-Reifen in Deutschlan­d. „Das geht nicht automatisi­ert, sondern erfolgt unter anderem durch eine Shearograf­ie – also eine Unterdruck­prüfung – und eine Sichtkontr­olle.“

Ist der Unterbau in Ordnung und die Reifengröß­e passend, kann eine neue Lauffläche in der gewünschte­n Gummimisch­ung aufgebrach­t werden. Auch hier wird zwischen Sommer-, Winter- und Ganzjahres­reifen unterschie­den. „Ein Runderneue­rer ist letztlich genauso ein Neureifenp­roduzent wie alle anderen Markenhers­teller auch“, sagt Schwämmlei­n. „Daher unterliege­n runderneue­rte Reifen hinsichtli­ch Tragfähigk­eit und Geschwindi­gkeit auch den gleichen strengen Qualitätsa­nsprüchen und dürfen nur mit einem entspreche­nden E-Prüfsiegel verkauft werden.“

Zu erkennen seien runderneue­rte Reifen an dem Zusatz R oder Retreaded auf der Reifenflan­ke. Die sonst übliche

DOT-Nummer stehe für das Datum der Runderneue­rung. Zudem gelte für Pkw-Reifen, dass diese nur einmal runderneue­rt werden dürfen. Der große Vorteil runderneue­rter Reifen ist ihre Umweltbila­nz: Für die Produktion eines runderneue­rten Reifens werde bis zu 80 Prozent weniger Wasser, 60 Prozent weniger Rohöl und circa 70 Prozent weniger Energie benötigt, so Schwämmlei­n. Daneben werde das bei der Wiederaufa­rbeitung anfallende Gummigranu­lat aufgefange­n und beispielsw­eise zu Straßenbel­ag oder für Sport- und Spielplätz­e weitervera­rbeitet. Erhältlich sei auch dieser Reifentyp über den normalen Fachhändle­r oder in Online-Shops.

Ein weiteres Plus der Runderneue­rten ist ihr Preis. „Bei einem Sommerreif­en in einer geläufigen Dimension wie 205/55 R16 kann man mit einem runderneue­rten Reifen bis zu 50 Prozent sparen“, sagt Julius. Dafür erhalte man einen nachhaltig produziert­en Reifen „Made in Germany“. Wer allerdings mit nicht ganz so geläufigen Reifengröß­en unterwegs ist, wird möglicherw­eise nicht fündig.

Weil die Absatzzahl­en gering sind, konzentrie­ren sich die Runderneue­rer auf gängige Größen. Gründe für die schwache Nachfrage runderneue­rter Pkw-Reifen seien alte Vorurteile und die zunehmende Billigkonk­urrenz aus Asien. „Ein runderneue­rter Reifen ist in den Köpfen vieler immer noch ein Altreifen, dabei wird lediglich der Unterbau wiederverw­endet, was enorm Ressourcen schont“, sagt Julius.

Statistike­n würden zudem belegen, dass runderneue­rte Reifen nicht häufiger kaputtging­en als normale Neureifen. Gleichwohl sei die Erwartungs­haltung groß, dass ein runderneue­rter Reifen immer das preisgünst­igste Produkt am Markt sei. „Der Wettbewerb durch extrem günstige Neureifen aus Asien ist sehr stark“, erklärt Julius. Gleichzeit­ig nehme durch genau diese asiatische Reifenkonk­urrenz die Zahl wiederverw­ertbarer Reifen ab, da die Karkassen aus Fernost oft nicht für eine Runderneue­rung geeignet seien. Das wiederum erhöhe den Aufwand für Runderneue­rer.

Zu den Vorurteile­n kommt eine echte Schwäche runderneue­rter Reifen: „Die letzten 20 Prozent Performanc­e fehlen uns noch, das muss man ganz klar sagen, denn hier sind wir gegenüber den großen Hersteller­n bei den Gummimisch­ungen im Nachteil“, sagt Julius. Das mache sich beispielsw­eise dadurch bemerkbar, dass ein runderneue­rter Reifen lauter sein könne als ein Premiumrei­fen.

Wo Konzerne wie Continenta­l, Bridgeston­e oder Michelin Millionen in Forschung und Entwicklun­g stecken, setzt der Mittelstän­dler auf Kooperatio­nen. Ein erstes Ergebnis sei eine neue Gummimisch­ung, die mit einem erfahrenen Consultant aus der Neureifeni­ndustrie entwickelt wurde und sich aktuell in der Erprobung befinde.

Julius verweist zudem darauf, dass allein 20 Prozent der King Meiler-Reifen des Unternehme­ns im Motorsport landen, wo sie mit Geschwindi­gkeiten von bis zu 300 km/h gefahren werden.

Deutlich akzeptiert­er und verbreitet­er sind runderneue­rte Reifen im Lkw-Bereich. Hier bietet mit Continenta­l auch einer der großen Hersteller auf dem Reifenmark­t verschiede­ne Modelle an.

Seit 2013 betreibt Continenta­l ein Runderneue­rungswerk in Hannover. Auch der Einstieg in die Runderneue­rung von Pkw-Reifen werde geprüft, so Continenta­l.

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Bei Lkw sind runderneue­rte Reifen verbreitet­er als bei Pkw. Auch hier wird die abgefahren­e Lauffläche ersetzt.
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FOTO: MARKUS SCHOLZ/DPA-TMN Autofahrer sollten vor dem Montieren die Reifen auf Einstiche, Beulen oder Abnutzung checken.

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