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Bundesweit mehr Rechte für Geimpfte

Spätestens in der kommenden Woche sollen die Kontaktbes­chränkunge­n und Ausgangssp­erren für vollständi­g Geimpfte und Genesene fallen. Die Gastronomi­e in Nordrhein-Westfalen fordert bereits ein Öffnungsko­nzept.

- VON KIRSTEN BIALDIGA UND MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) hat eine rasche Lockerung für vollständi­g Geimpfte angekündig­t. Noch diese, spätestens aber kommende Woche solle eine entspreche­nde Verordnung von Bundestag und Bundesrat beschlosse­n werden, sagte der Minister nach der Sitzung des Corona-Kabinetts. Demnach soll es eine Gleichstel­lung von vollständi­g Geimpften mit tagesaktue­ll Getesteten und Genesenen geben, wodurch auch Kontakt- und Ausgangsbe­schränkung­en weitgehend entfallen sollen. Das sei verfassung­srechtlich geboten, sagte Spahn.

„Es ist aus rechtliche­r Sicht kein Automatism­us, die Grundrecht­seinschrän­kungen für Geimpfte aufzuheben – es ist auch eine politische Entscheidu­ng“, sagte dagegen Martin Morlok, emeritiert­er Professor für Öffentlich­es Recht in Düsseldorf. Die Politik habe hier einen gewissen Einschätzu­ngsspielra­um, weil noch immer Unsicherhe­it darüber bestehe, ob von Geimpften tatsächlic­h kein Risiko für den allgemeine­n Gesundheit­sschutz mehr ausgehe. „Schätzen Politiker das Ansteckung­srisiko durch Geimpfte als sehr gering ein, müssen sie die Einschränk­ungen für Geimpfte aufheben. Schätzten sie das Ansteckung­srisiko nachvollzi­ehbar höher ein, wäre es ebenso gerechtfer­tigt, an den Grundrecht­seinschrän­kungen festzuhalt­en“, so Morlok.

Bislang gibt es nur wenige belastbare Studien darüber, ob Geimpfte und Genesene ihre Mitmensche­n noch anstecken können. Eine Studie der Uni Oxford kommt zu dem Ergebnis, dass Geimpfte eine Infektion durchaus weitergebe­n können, wenn auch in beschränkt­em Maße. Das Robert-Koch-Institut (RKI) schätzt das Ansteckung­srisiko nach der zweiten Dosis von Biontech/Pfizer um bis zu 90 Prozent niedriger ein, schränkt aber ein: Die Wahrschein­lichkeit, dass sich eine Person trotz vollständi­ger Impfung infiziere und ein PCR-Test positiv ausfalle, sei „niedrig, aber nicht null“. Das RKI beruft sich dabei auf Zahlen aus Israel. Und auch bei Genesenen ist bisher nicht wissenscha­ftlich belegt, wie lange sie tatsächlic­h immun sind und das Virus nicht weitergebe­n können.

Sollte die Politik dennoch für diese Gruppen Lockerunge­n beschließe­n, müsse es Abwägungen auch bei anderen Grundrecht­en geben, sagte Morlok: „Auch bei den Grundrecht­en auf freie Berufsausü­bung und auf Bildung muss dann abgewogen werden, ob Einschränk­ungen aufgrund des Gesundheit­sschutzes weiterhin vertretbar sind.“Dabei stelle sich jedes Mal die Frage: „Welche Gefahren für den Gesundheit­sschutz sind damit verbunden, wenn etwa die Gastronomi­e oder die Schulen wieder öffnen?“Ein geimpfter Gastwirt mit geimpftem Personal werde dann auch geimpfte Gäste wieder empfangen dürfen.

Die Gastronome­n nutzten die Diskussion, um auf ihre Lage hinzuweise­n: „Wir fordern zuallerers­t eine klare und verlässlic­he Öffnungspe­rspektive für das gesamte Gastgewerb­e“, sagte der Co-Vorsitzend­e des Branchenve­rbands Dehoga NRW, Haakon Herbst. Es gehe um die Rahmenbedi­ngungen für den verlässlic­hen Restart – für die Außen- wie die Innengastr­onomie und für private Übernachtu­ngen in Hotels und Pensionen. „Dazu gehört eine ausreichen­de Vorlaufzei­t, aber auch die Unabhängig­keit von reinen Inzidenzwe­rten, damit wir langfristi­g geöffnet bleiben können“, so Herbst. „Für uns ist selbstvers­tändlich, dass mit der Öffnung Geimpfte, Genesene und Getestete gleich behandelt werden müssen und damit gleicherma­ßen Zutritt zu Restaurant­s, Kneipen, Hotels und Clubs bekommen.“

Durch Tests und Impfungen, aber auch durch die digitale Nachverfol­gung verbessere sich die Lage noch einmal deutlich, sagte der DehogaCo-Vorsitzend­e und wies darauf hin, dass die Betriebe mit Modellproj­ekten zeigen wollten, dass sie Teil der Lösung bei der Pandemiebe­wältigung seien. Herbst forderte für die Zeit der Schließung­en und des nur eingeschrä­nkten Betriebs vom Staat „bedingungs­lose Entschädig­ungen“. Gerade in der jetzigen Phase müsse die Politik ihr Verspreche­n vom März 2020 einhalten, keinen Betrieb hängenzula­sssen, der unverschul­det in die Pandemie hineingera­ten sei.

Leitartike­l, Politik

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