Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Engpässe werden für Industrie zum Problem

Ford in Köln fährt das Werk herunter, Miele hat lange Lieferfris­ten, auch Henkel ist betroffen. Nach Corona drohen neue Schwierigk­eiten.

- VON REINHARD KOWALEWSKY

KÖLN/MÜNCHEN Woran misst sich Knappheit? Vorrangig am Preis. Das lässt sich auch gut am Markt für Reisemobil­e zeigen. Ein elf Jahre alter Ford Nugget mit Küche und Hochdach hätte vor der Corona-Krise maximal 13.000 Euro gebracht, jetzt sind 20.000 Euro drin. Gleichzeit­ig fordern Verkäufer von zwei oder drei Jahre alten Fahrzeugen nicht viel weniger als den Neupreis, weil ganz neue Autos in der Regel drei Monate Lieferfris­t haben – zu spät für den Sommerurla­ub in Corona-Zeiten.

Viele Güter in Deutschlan­d und weltweit sind so knapp wie nie. Am Montag verkündete Ford in Köln, die Produktion bis zum 18. Juni fast komplett einzustell­en. Rund 5000 der 15.000 Mitarbeite­r sind von der Kurzarbeit betroffen. Lediglich an den Tagen vom 19. bis zum 29. Juni sollen in Köln die Fließbände­r laufen, ab dem 30. rollt inklusive der Werksferie­n bis zum 16. August kein Wagen vom Band. Der Grund dafür ist, dass wichtige Halbleiter zum Ausrüsten der Fahrzeuge fehlen. „Die Lage auf dem globalen Halbleiter-Markt bleibt angespannt und wird es allen Schätzunge­n zufolge auch in den nächsten Monaten bleiben, woraus sich Lieferengp­ässe ergeben“, erläuterte ein Ford-Sprecher den Schritt. Deshalb müsse der Autobauer seine Fertigung herunterfa­hren. „Die ausgefalle­ne Produktion werden wir bestmöglic­h aufholen“, sagte er. „Wir arbeiten daran, die Situation schnellstm­öglich zu verbessern.“

Wie ernst die Lage ist, bestätigt eine ebenfalls am Montag veröffentl­ichte Studie des Ifo-Instituts. 45 Prozent der Industrief­irmen in Deutschlan­d berichten demnach von Engpässen bei der Beschaffun­g

von Teilen. Das ist der mit Abstand höchste Wert seit Januar 1991. Im Januar dieses Jahres klagten erst 18,1 Prozent der Firmen über knappen Nachschub, im Oktober 2020 waren es 7,5 Prozent. „Dieser neue Flaschenha­ls könnte die Erholung der Industrie gefährden“, so Klaus Wohlrabe, Leiter der Ifo-Umfragen.

Am meisten betroffen von der Materialkn­appheit sind die Hersteller von Gummi- und Kunststoff­waren mit 71,2 Prozent. Davon ist auch Henkel in Düsseldorf tangiert, weil damit Verpackung­en für Produkte für Waschmitte­l wie Persil immer teurer werden. „Neben der reduzierte­n Produktion­skapazität durch die Corona-Pandemie spielen hier auch die Nachwirkun­gen eines Winterstur­ms in den USA eine Rolle“, sagte ein Sprecher des Dax-Konzerns. Am zweitstärk­sten leidet die Autoindust­rie unter der Knappheit, wo knapp zwei Drittel der Unternehme­n betroffen sind. „Ohne die immer wichtigere­n Halbleiter kann kein Auto fahren“, erklärte der Wirtschaft­sprofessor Ferdinand Dudenhöffe­r von der Universitä­t Duisburg-Essen, „doch gemessen am steigenden Bedarf, haben die Hersteller alle viel zu wenige Chips bestellt.“Zudem haben zwei Halbleiter­fabriken in Japan gebrannt, Elektroaut­os brauchen mehr Halbleiter als Verbrenner, und der Boom bei Homeoffice, Smartphone­s und Unterhaltu­ngselektro­nik heizt die Nachfrage weiter an.

Audi schickte unlängst 10.000 Mitarbeite­r in Kurzarbeit, Daimler ließ die Arbeit in drei Werken ruhen, Peugeot rüstet als Notlösung einen Wagen mit einem analogen Tacho statt schicken Digitalanz­eigen aus, um lieferfähi­g zu bleiben. Wegen zu wenig Chips haben viele

Branchen Gegenwind. Bei Samsung fehlen Halbleiter, die den Inhalt von Wäschetrom­meln wiegen. Der Maschinenb­au klagt ebenfalls.

Weitere Faktoren kommen hinzu. Auch weil der Suezkanal wegen der Havarie des riesigen Containers­chiffs „Ever Given“tagelang blockiert war, kostet der Transport eines Containers nach Asien zehnmal mehr als vor einigen Wochen. Lidl meldete, dass einige Aktionsang­ebote wie ein aufblasbar­es Standup-Paddling-Board nicht geliefert werden können. Aldi sprach davon, die Situation für aus Asien gelieferte Ware sei „herausford­ernd“, Bauhaus meldete, es könne „insbesonde­re bei Rohstoffen wie Holz, Metall und Elektrokom­ponenten zu Lieferverz­ögerungen kommen“.

Dabei verschiebt die Pandemie auch die Nachfrage. Miele aus Gütersloh fährt Sonderschi­chten bei vielen Waren, weil die Käufer die Zeit der Krise nutzen, um ihre Küchen neu auszustatt­en. „Die Menschen investiere­n viel in ihre vier Wände, anstatt zu verreisen oder in Restaurant­s Geld auszugeben“, erklärte ein Sprecher, Lieferzeit­en von sechs Wochen für Spülmaschi­nen, Waschmasch­inen und Trockner seien die Regel. Auch Elektrofah­rräder liegen im Trend, weil die Menschen statt auf Schwimmen im Mittelmeer auf Zweiradtou­ren in der Heimat setzen. „Viele Modelle gibt es nur mit einigen Monaten Verzögerun­g“, sagte ein Händler.

Weil so viel saniert und renoviert wird wie lange nicht, ziehen die Baukosten stark an. Bereits seit März warnt der Zentralver­band des Deutschen Dachdecker­handwerks vor massiven Preissteig­erungen und Materialen­gpässen bei Holzproduk­ten und Dämmstoffe­n. Über 60 Prozent der Betriebe der Baubranche berichten über Preissteig­erungen von mehr als 50 Prozent, einige müssen eine Verdoppelu­ng der Einkaufspr­eise hinnehmen.

Insgesamt haben die Deutschen vergangene­s Jahr 16 Prozent ihres Einkommens gespart – ein Rekordwert seit der Wiedervere­inigung. Wo drohen nach der Krise neue Engpässe? Ein Restaurant­besitzer aus Essen berichtet, er könne sein Haus im Sommer wohl nur langsam hochfahren. Warum? „Die ganzen Kellner haben sich neue Jobs gesucht“, sagte er. „Es wird Monate dauern, den Betrieb wieder aufzubauen.“

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