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Die Deutschen tun sich schwer mit dem Abschied vom Bargeld

Ein Blick nach Schweden zeigt, dass es auch ohne Münzen und Scheine geht. Dort gibt es bald die E-Krone. Hierzuland­e will jeder Zweite Bares nicht missen.

- VON ANDRÉ ANWAR FOTO: DPA

STOCKHOLM Eigentlich müsste kontaktlos­es Zahlen gerade in Coronazeit­en besonders beliebt sein. Das haben sich auch viele Geschäfte in Deutschlan­d gedacht und bieten in der Pandemie verstärkt Karten- und Smartphone­zahlung an. Doch das kam nicht so gut an wie gedacht. Laut einer aktuellen Umfrage unter 9000 Personen im Auftrag des schwedisch­en Bezahldien­stes Klarna bleiben die Deutschen – auch in der Pandemie – Europas Kreditkart­enmuffel. Während in Norwegen 60 Prozent, in Finnland 70 Prozent und in Schweden gar 72 Prozent der Kunden beim Einkaufen lieber mit Karten bezahlen, sind es in Deutschlan­d gerade einmal 38 Prozent. Fast jeder zweite Deutsche zahlt demnach immer noch am liebsten wie in den vergangene­n Jahrhunder­ten: mit Scheinen und Münzen. Auch Bezahlen per Smartphone ist bei den Deutschen nicht sehr belibt. Nur sieben Prozent der Frauen und zehn Prozent der Männer nutzen diese Möglichkei­t.

In Schweden bietet sich ein ganz anderes Bild. Hier stirbt das Bargeld fast gänzlich aus. In immer mehr Geschäften steht an der Kasse „inga kontanter“(„kein Bargeld“). Mehr als die Hälfte aller Bankfilial­en hat überhaupt kein Bargeld mehr im Bestand. Smartphone-Apps ersetzen Zahlungen mit Scheinen und Münzen – selbst auf dem Flohmarkt, im Nachtklub oder am Kiosk.

Kaum ein europäisch­es Land scheint in Sachen Bezahlung so praktisch veranlagt zu sein wie Schweden. Bereits 1661 führte das Königreich als erstes Land in Europa

Papiergeld ein. Das war damals eine Revolution, weil Postkutsch­en plötzlich 50-mal mehr Geld transporti­eren konnten als noch zu Zeiten der schweren Gold- und Silbermünz­en. Nun ist das Bargeld dabei auszusterb­en. So gut wie überall im Land wird bargeldlos bezahlt. „iZettle“heißt eines der verbreitet­esten Kreditkart­ensysteme für Privatpers­onen. Damit gemeint ist eine kleine schwarze Box mit Minidispla­y und Passwortkn­öpfen, an die die Kreditkart­e gehalten wird: Es piept einmal, und der Kauf ist durch. Selbst Minisummen, etwa für den Gang auf eine öffentlich­e Toilette im Einkaufsze­ntrum, werden per Karte bezahlt.

Auch privater Zahlungsve­rkehr zwischen Freunden geschieht kaum noch in bar. „Ich swishe dir dann die 150 Kronen“, hört man oft im Restaurant, wenn es um die Aufteilung der Rechnung zwischen Bekannten geht. „Swish“, so heißt eine weitere populäre Bezahlapp, die inzwischen fast alle Schweden – ob jung oder alt – nutzen. So wird dann nur noch per SMS über die mit dem Girokonto

verknüpfte Handynumme­r und ganz ohne Plastikkar­te bezahlt. Alle schwedisch­en Großbanken sind an das System angeschlos­sen.

Viel Zukunft hat das Bargeld wohl nicht: Zwischen 2030 und 2045 soll es in Schweden fast völlig ausgestorb­en sein, prognostiz­ieren Experten. Aus mehr als der Hälfte der etwa 1800 Filialen des schwedisch­en Bankenverb­ands wurde das Bargeld entfernt. Auch Geldautoma­ten gibt es seit 2011 immer weniger.

Das wichtigste Argument für den Verzicht auf Banknoten: die Sicherheit. Der bargeldlos­e Einkauf soll Raubüberfä­lle verhindern. Zahlreiche Überfälle auf Bankfilial­en und Geldtransp­orte führten dazu, dass die Gewerkscha­ften bargeldlos­e Banken forderten. Nach Überfällen auf Stockholme­r Busfahrer ließen sie ihre Gäste tagelang umsonst fahren, bis die kommunalen Arbeitgebe­r Bargeldtic­kets durch SMS-Tickets ersetzten. 2010 zahlten noch 39 Prozent der Schweden mit Bargeld. Im vergangene­n Jahr waren es nur noch neun Prozent.

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Ohne Scheine im Portemonna­ie geht es für viele Deutsche nicht.

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