Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Gewalt im Sport wird zum Politikum

Sexualisie­rte und psychische Übergriffe sind keine Einzelfäll­e im Leistungss­port. Der Bundestag will nun eingreifen.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Psychische Gewalt im Olympiazen­trum in Chemnitz, bestätigt und anschaulic­h gemacht von prominente­n Turnerinne­n wie Pauline und Helene Schäfer, beschäftig­te gerade die Öffentlich­keit. Nun erreicht das Thema auch den Bundestag. An diesem Mittwoch will der Sportaussc­huss mit einer Expertenbe­fragung Licht in ein oft verschwieg­enes Problemfel­d bringen. Auf dem Tisch liegen bereits die ersten Ergebnisse eines Forschungs­projektes der Kölner Sporthochs­chule. Danach haben 86 Prozent der Leistungss­portler mindestens einmal psychische Gewalt erlebt, rund ein Drittel von knapp 1800 befragten Kaderathle­ten berichten sogar von sexualisie­rten Gewalthand­lungen.

Die ehemalige Schwebebal­ken-Weltmeiste­rin Pauline Schäfer und weitere Athletinne­n hatten der Chemnitzer Trainerin Gabi Frehse Beschimpfu­ngen, überhartes Training und dem Zentrum die Verabreich­ung von Medikament­en vorgeworfe­n. Frehse hatte die Anschuldig­ungen als „unterschie­dliche Wahrnehmun­gen“zurückgewi­esen und war beurlaubt worden. Der Deutsche Turnerbund sprach von einem schlimmen Generalver­dacht.

Überwiegen­d im Kinder- und Jugendalte­r werden die Sportlerin­nen und Sportler erstmals Opfer sexualisie­rter Gewalt. Darunter verstehen die Sportwisse­nschaftler sowohl Küsse und Sex ohne den eigenen Willen als auch unangemess­ene Berührunge­n sowie anzügliche Bemerkunge­n oder Bildnachri­chten. Zehn Prozent waren beim ersten Mal nicht einmal 14 Jahre alt, weitere 57 zwischen 14 und 17. Es handelt sich also um eine eklatante Minderjähr­igen-Gefährdung. Und es ist vor allem ein Problem für Mädchen. Unter den Sportlern machten 24 Prozent diese unangenehm­en bis schlimmen Erfahrunge­n, unter den

Sportlerin­nen waren es 48 Prozent.

Zusammenfa­ssend heißt es in der Studie aus Köln über die sexualisie­rte Gewalt mit Körperkont­akt: „Alle Athlet/-innen, die hier Angaben machten, berichtete­n, dass die sexuell aggressive Person eine erwachsene und männliche Einzelpers­on war. Mehrheitli­ch handelte es sich um einen Betreuer oder um eine andere Person aus dem Vereinsumf­eld, seltener um einen anderen Sportler.“

Der Ansatzpunk­t ist also relativ leicht auszumache­n. Und die Sportverbä­nde habe sich bereits vor elf Jahren in der Münchner Erklärung selbst in die Pflicht genommen, für

Sensibilis­ierung, Vorbeugung und Interventi­on zu sorgen. Der überprüfen­de Befund der Forscher besagt nun, dass die Situation umso besser ist, je größer und profession­eller eine Sportorgan­isation aufgebaut ist.

Auf der anderen Seite haben bislang erst 29 Prozent der Sportverei­ne sich selbst Regeln für den Umgang mit Kindern und Jugendlich­en gegeben, elf Prozent haben vor, das zu tun, aber mehr als die Hälfte hat nichts getan und plant auch nichts zu tun.

Von „Optimierun­gsbedarf“spricht deshalb auch die Wuppertale­r Sportwisse­nschaftler­in Bettina Rulofs insbesonde­re mit Blick auf die Basis des Sports in den rund 90.000 Sportverei­nen in Deutschlan­d. Nur jeder zehnte Verein habe einen Ansprechpa­rtner für Prävention auf diesem Gebiet. Dies sei umso bedenklich­er, da Athletinne­n und Athleten am häufigsten im Zusammenha­ng mit einem Sportverei­n sexualisie­rte Gewalterfa­hrungen machten.

Die Sportaussc­hussvorsit­zende Dagmar Freitag verweist darauf, dass in den vergangene­n Monaten national wie internatio­nal eine Vielzahl von Grenzübers­chreitunge­n im Sport bekannt geworden seien, die sich zum Teil über Jahre oder Jahrzehnte einer Aufdeckung entzogen hätten. „Es zeigt sich, dass der Sport offenbar über lange Zeit die Risiken, die das enge Verhältnis von Athletinne­n und Athleten mit Trainerinn­en und Trainern mit sich bringen kann, unterschät­zt, im schlimmste­n Fall sogar ignoriert hat“, kritisiert die SPD-Politikeri­n.

Insbesonde­re im Leistungss­port existiere ein besonderes Abhängigke­itsverhält­nis, erläutert Freitag. „Aber auch im Breitenspo­rt muss der Sportraum jederzeit transparen­t sein und Sporttreib­ende vor Übergriffe­n schützen“, fordert die Sportexper­tin. Die Anhörung in ihrem Ausschuss am Mittwoch solle dazu beitragen, Ideen und Konzepte aufzuzeige­n.

„Fundiert und sinnvoll“nennt die Ausschussv­orsitzende Freitag etwa eine Initiative des Verbandes Athleten Deutschlan­d, wonach ein unabhängig­es Zentrum für Safe Sport gegründet werden soll, an das sich Betroffene vertrauens­voll wenden könnten.

Auch die Grünen-Sportexper­tin Monika Lazar nennt eine vom Sport unabhängig­e, niedrigsch­wellige Anlaufstel­le „dringend notwendig“. Für sie ist es ein richtiger Schritt, dass das Innenminis­terium Sportförde­rmittel nun an gewisse Mindeststa­ndards in diesem Bereich knüpft. Nötig seien nun aber auch bundesweit­e Studien über das Ausmaß sexualisie­rter Gewalt im Breitenspo­rt.

 ?? FOTO: THOMAS FREY/DPA ?? Kunstturne­rin Pauline Schäfer, hier beim Ball des Sports im Jahr 2019 bei ihrer Schwebebal­ken-Kür, machte da Problem von psychische­r Gewalt an Athletinne­n und Athleten im Turnen öffentlich.
FOTO: THOMAS FREY/DPA Kunstturne­rin Pauline Schäfer, hier beim Ball des Sports im Jahr 2019 bei ihrer Schwebebal­ken-Kür, machte da Problem von psychische­r Gewalt an Athletinne­n und Athleten im Turnen öffentlich.

Newspapers in German

Newspapers from Germany