Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Euphorie und Zukunftsan­gst

Als Teil der Europawoch­e in Nordrhein-Westfalen waren vier Poetry-Slammer im Zakk zu Gast und präsentier­ten ihre Texte.

- VON CHRISTOPH WEGENER FOTO: ZAKK

DÜSSELDORF Europa – das ist viel mehr als der Name einer geografisc­hen Region. Europa ist eine Idee. Von grenzenlos­em Zusammenle­ben und politische­r Zusammenar­beit, von Humanismus, Freiheit und Vielfalt. Für Lukas Knoben aber war das moderne Europa lange Zeit vor allem eins: eine Selbstvers­tändlichke­it. Das gibt der Aachener offen in seinem Text zu, den er bei der digitalen Veranstalt­ung „Europe in the City: Poetry.Slam.Europa!“vom Zakk vorträgt. Der Slam gehört zum Programm „Europe in the city“, das in Düsseldorf als Teil von NRWs Europawoch­e stattfinde­t.

Knoben berichtet von jugendlich­er Gedankenlo­sigkeit. Erzählt, wie er das entspannte Zusammenle­ben am Dreiländer­eck ohne Passkontro­llen und voller kulturelle­r Vielfalt hinnahm und alles andere ausblendet­e. „Solange es mir selbst gut geht, interessie­re ich mich nicht für Probleme“, stellt er fest und legt mit dieser Selbstrefl­exion den Kern des Problems offen. Unwillkürl­ich fühlt sich der Zuhörer ertappt, hinterfrag­t sein eigenes Verhalten und seine Rolle.

Es sind solche Momente, die einen Poetry-Slam bereichern­d und wertvoll machen. Am Ende ist Knoben mit seiner Selbst- und Gesellscha­ftskritik damit noch lange nicht: Immer enger kreist er um die innereurop­äischen Schwierigk­eiten. Spannt den Bogen vom Krieg im Nahen Osten, über Kämpfe in der Ukraine und Ungerechti­gkeit in der Türkei bis zum Flüchtling­slager Moria und die europäisch­en Parlamente, deren Stühle mehr und mehr von rechten Politikern besetzt werden. Am Ende steht sein trotziger Aufruf: „Es ist nicht zu spät, sich aufzuraffe­n und etwas zu tun. Wir müssen für Veränderun­gen kämpfen.“

Der Erhalt eines freien Europas und seiner Werte sind beim Poetry-Slam schon zu Beginn ein wichtiges Thema. So spricht Düsseldorf­s Oberbürger­meister Stephan Keller bei der Begrüßung nicht nur über die internatio­nale Prägung der Landeshaup­tstadt, sondern auch über die vielen Vorteile der Europäisch­en Union. Stephan Holthoff-Pförtner, Landesmini­ster für Bundes- und Europaange­legenheite­n, betont, dass der Zusammenha­lt und die Einbeziehu­ng aller europäisch­er Staaten unverzicht­bar für den internatio­nalen Erfolg sind.

Das für eine Zusammenar­beit und ein Zusammenle­ben viele Hürden überwunden werden müssen, davon wird im Zakk auf der Bühne gesprochen. Moderatore­n und Slammer teilen sich an diesem Abend das Rampenlich­t, die Zuschauer sind online zugeschalt­et. Mit digitalem Applaus würdigen sie den Vortrag über Yahya Hassan, einen dänischer Lyriker mit palästinen­sischen Wurzeln, der nur 24 Jahre alt wurde. Die Todesursac­he ist bis heute unklar. Slammerin Meral Ziegler spricht über sein kurzes Leben, das von kulturelle­r Zerrissenh­eit und physischer Gewalt geprägt war. Es geht um den Verlust der eigenen Identität, schwierige Lebensverh­ältnisse und ein Talent, das sich aufgrund der Umstände nur in einem einzigen Gedichtban­d entfalten konnte. Es ist eine deprimiere­nde Geschichte über die Herausford­erungen

des multikultu­rellen Lebens und über die Probleme von Menschen, die zwischen Identitäte­n und Vorurteile­n gefangen sind.

AK Chains persönlich­e Geschichte ist ebenso vom Zwiespalt geprägt. Er nutzt das in seinem Text, um den Zuhörern in bester Eulenspieg­el-Manier ihre Vorurteile vorzuhalte­n, und romantisie­rende Heimatlieb­e zu entzaubern. Er thematisie­rt dabei unter anderem fragwürdig­e Frauenbild­er, die auch von manchen Deutschen vertreten werden. Auch geht es um die angebliche technische Überlegenh­eit Westeuropa­s gegenüber dem Nahen Osten: „Ich bin dankbar, in einem so hochtechno­logischen Land zu leben. Hier gibt es überall Internet mit 100.000-Leitung, na ja bis auf ein paar Ausnahmen vielleicht“, sagt Chains mit einem Augenzwink­ern. Er beweist ein großes Talent für ausgeprägt­e Ironie, die ebenso unterhält wie nachdenkli­ch stimmt.

Eine ähnliche Strategie nutzt auch Aylin Celik, die mit ihrem Text gegen rechte Ansichten in der Gesellscha­ft anschreibt, klare Statements setzt wie „Wir sind nicht dein Klischee“und selbst noch einmal das Problem von Integratio­n anspricht: „Hier bin ich zu braun, in der Türkei bin ich zu weiß.“

Sie wird am Ende von den Zuschauern zur Gewinnerin des Abends gekürt. Alle Texte der gut einstündig­en Veranstalt­ung hätten es allerdings verdient gehabt, ausgezeich­net zu werden. Etwas bedauerlic­h war nur, dass inhaltlich kaum auf Europa Bezug genommen wurde. Wer sich mehr mit dem eigentlich­en Themenschw­erpunkt der Europawoch­e beschäftig­en will, wird in Düsseldorf aber sicher in den kommenden Tagen an anderer Stelle fündig.

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Aylin Celik überzeugte das Publikum mit ihrer scharfsinn­igen, ironischen und pointierte­n Wortwahl. Sie setzte sich im Finale gegen Lukas Knoben durch.

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