Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Verletzlich auf zwei Rädern
An Christi Himmelfahrt gab es 2020 die meisten Motorradunfälle. In dieser Saison verzeichnet die Polizei schon jetzt etliche Tote und Verletzte. Ein Experte gibt Tipps, was Motorradfahrer besonders im Frühjahr beherzigen sollten.
DÜSSELDORF Alljährlich häufen sich an den ersten warmen Tagen des Jahres die Motorradunfälle. Entsprechend traurig liest sich die Bilanz allein des vergangenen, sommerlichen Sonntags: Bundesweit verzeichnete die Polizei acht Tote bei schweren Unfällen mit Motorrad-Beteiligung, auch in NRW kam es dabei zu mehreren Kollisionen. So verletzten sich in Radevormwald drei Motorradfahrer schwer, als sie einem abbiegenden Traktor ausweichen mussten. Und mit Christi Himmelfahrt an diesem Donnerstag steht das nächste lange Wochenende vor der Tür.
2020 belegte der Feiertag bundesweit laut Statistischem Bundesamt einen unrühmlichen Spitzenplatz bei der Zahl der Motorradunfälle. Die Polizei mahnt, vorsichtig in die Saison zu starten. Neben dem gefährlichen Elan nach der Winterpause erhöhen in diesem Jahr aber noch andere Faktoren das Unfallrisiko.
So hat es im vergangenen Jahr einen deutlichen Zuwachs bei den
Leichtkrafträdern gegeben. Die Zahl der Neuzulassungen in diesem Segment stieg laut Industrie-Verband Motorrad um 93 Prozent. Hauptfaktor dafür ist sicherlich, dass seit 2020 Motorräder bis 125 Kubikzentimeter Hubraum mit einem Pkw-Führerschein gefahren werden dürfen. Vorausgesetzt, der Inhaber ist mindestens 25 Jahre alt, hat den Führerschein schon fünf Jahre und absolviert einige theoretische und praktische Stunden in der Fahrschule. Eine Prüfung ist nicht notwendig. „Solche Maschinen sind natürlich finanziell eher erschwinglich“, sagt Michael Lenzen, Vorsitzender des Bundesverbands der Motorradfahrer, „und viele Menschen haben sich während der Pandemie damit vielleicht einen lang gehegten Traum verwirklicht.“
Allerdings fehlt diesen Menschen etwas Entscheidendes: nämlich Fahrpraxis. Um die teils komplexen Zusammenhänge beim Motorradfahren zu verinnerlichen, brauche es aber viel Erfahrung, sagt Lenzen. Er befürchtet daher, dass die Unfallzahlen auf lange Sicht steigen werden, auch wenn sie momentan leicht rückläufig sind. Allerdings wachsen die Zulassungszahlen nicht nur dieser „kleinen“Maschinen, sondern über alle Klassen hinweg. Im vergangenen Jahr betrug die Zunahme rund 32 Prozent, absolut waren fast 218.000 Motorräder und Roller neu auf deutschen
Michael Lenzen Bundesverband der Motorradfahrer
Straßen unterwegs. Lenzen sieht neben der möglicherweise gestiegenen Kauflust noch einen anderen Corona-Effekt: Langstreckentouren seien fast alle weggefallen, an deren Stelle seien mehr Tages- und Feierabendtrips getreten. Das gelte aber für alle Fahrzeuge, sodass die Straßen generell voller seien. Heißt: Der Sonntagsausflug in die Nachbarschaft ist zumindest potenziell unfallträchtiger geworden.
Laut Lenzen haben aber auch die Alleinunfälle bei Motorradfahrern zugenommen. Zum einen beherrschten manche aus bereits genannten Gründen ihr Fahrzeug nicht, andererseits gebe es heute mehr ablenkende Faktoren. Navis, Handys oder andere technische Spielereien werden teils während der Fahrt bedient. „Das passiert zwar auch Autofahrern“, sagt Lenzen, „doch ein Motorrad hat keine Knautschzone. Biker sollten sich daher immer ihrer Verletzlichkeit bewusst sein.“Und lieber anhalten, um eine Adresse einzugeben. Überhaupt sei Technik nicht zwangsläufig hilfreich, wenn es um Unfallvermeidung gehe. Lenzen ist beispielsweise besorgt, ob die Entwicklung des autonomen Fahrens beim Auto das Motorrad als Verkehrsteilnehmer ausreichend berücksichtige. Da gebe es noch viel Entwicklungsbedarf.
Was also sollten Motorradfahrer unbedingt beherzigen, wenn sie ihre Maschine wieder aus der Garage holen? Neben dem obligatorischen technischen Check des Fahrzeugs
sollte man auch die eigene körperliche und mentale Fitness kritisch hinterfragen, rät Lenzen. Hilfreich könne es auch sein, sich auf einem abgesperrten Gelände wieder mit dem Motorrad vertraut zu machen, ein Gefühl dafür zu bekommen. „Wir haben zuletzt außerdem den Trend beobachtet, dass weniger Menschen ein Sicherheitstraining mitmachen“, sagt Lenzen. „Dabei können selbst erfahrene Hasen dort noch etwas dazulernen.“Und wer auf Sicherheit achte, verunglücke seltener.
Wichtig sei es auch, vorausschauend zu fahren, die Fehler anderer einzuplanen. „Nach dem Winter sind Motorräder zum Beispiel für Autofahrer aus dem Verkehrsbild verschwunden, sie müssen sich erst wieder daran gewöhnen und übersehen sie daher oft“, sagt Lenzen. Außerdem sollte man sich zu Anfang nicht zu viel zumuten, nicht gleich eine große Tour unternehmen. „Entscheidend ist es, beim Motorradfahren den Genuss in den Vordergrund zu stellen“, sagt Lenzen. „Damit geht man auf Nummer sicher.“
„Wir beobachten den Trend, dass weniger Menschen ein Sicherheitstraining machen“