Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Astrazeneca wird plötzlich knapp
Nach Ende der Priorisierung erleben Praxen einen Ansturm. Apotheken müssen die Bestellungen kürzen.
DÜSSELDORF So schnell kann sich der Wind drehen: Vor Kurzem war der Impfstoff von Astrazeneca noch ein Ladenhüter. Doch seit die Gesundheitsminister die Priorisierung aufgehoben haben, erleben die niedergelassenen Ärzte einen regelrechten Ansturm von Patienten. „Der Impfstoff von Astrazeneca wird so stark nachgefragt, dass die bereitgestellten Mengen nicht mehr ausreichen“, sagte Thomas Preis, Chef des Apothekerverbands Nordrhein. Teilweise hätte der Großhandel die Bestellungen, die die Ärzte über die Apotheken eingereicht haben, um 80 Prozent reduzieren müssen, so Preis. So eine Situation habe es bei Astrazeneca noch nicht gegeben. „Viele Ärzte sind sehr verärgert, denn bereits bestehende Impftermine müssen nun storniert werden.“
Für die Entwicklung gibt es mehrere Gründe: Astrazeneca ist sehr beliebt, seit die Gesundheitsminister den Impfstoff für alle Erwachsenen freigegeben haben. Um für das Vakzin mit dem Imageproblem zu werben, lassen sich auch viele Spitzenpolitiker damit impfen: der Bundespräsident, die Kanzlerin und nun auch NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU). „Wenn er für mich gut genug ist, soll er auch für andere gut sein“, sagte Laumann (63) am Mittwoch und appellierte an die Bevölkerung – vor allem die über 60 – sich ebenfalls mit Astrazeneca impfen zu lassen.
Die Nachfrage steigt auch, weil Ärzte nun Rechtssicherheit bekommen haben. Teilweise hatten niedergelassene Ärzte gezögert, den Impfstoff an unter 60-Jährige zu verabreichen, weil die Haftung bei möglichen Impfschäden nicht geklärt war. Nun stellte der Bund aber klar, dass die Ärzte kein Haftungsrisiko
eingehen. „Einen Versorgungsanspruch gegen den Staat haben auch unter 60-Jährige, die sich für den Impfstoff von Astrazeneca entscheiden“, erklärte die Kassenärztliche Bundesvereinigung.
Zudem sinken die Lieferungen: In dieser Woche sind den Arztpraxen 862.000 Dosen von Astrazeneca geliefert worden, wie aus einer Übersicht des Bundesgesundheitsministeriums hervorgeht. In der nächsten Woche sollen es nur noch 843.000 Dosen werden. Und wie es weitergeht, ist offen. Anders als Biontech äußert sich der britische Hersteller stets sehr kurzfristig. „Die Lieferungen von Astrazeneca sind auch uns nicht über einen längeren Zeitraum bekannt“, erklärte die Sprecherin des Gesundheitsministeriums. Auch die Lieferungen an die Impfzentren sinken: Die Zentren in NRW haben diese Woche 28.800 Dosen von Astrazeneca erhalten, für die kommende Woche sind nur 14.400 Dosen angekündigt.
Zur erhöhten Nachfrage trägt auch bei, dass die Minister die Frist zwischen erster und zweiter Dosis geöffnet haben. Lautete bislang die Empfehlung, möglichst zwölf Wochen zu warten, ist nun die Gabe der zweiten Dosis auch nach vier Wochen erlaubt. „Die Verkürzung der Impfabstände auf vier Wochen macht den Impfstoff für junge Menschen attraktiv. Junge Menschen wollen bei den anstehenden Lockerungen durch einen kompletten Impfschutz gut vorbereitet sein“, erläutert Apotheker Preis.
Mit Blick auf Erreichung des vollen Impfschutzes und damit auf neue Freiheiten im Alltag und beim Reisen mag eine kurze Frist attraktiv sein. Die Wirksamkeit ist aber bei einer langen Frist höher. „Medizinisch gesehen wäre es besser, sich erst nach zwölf Wochen die Zweitimpfung geben zu lassen“, sagt Preis. Zu dem Schluss kommt auch ein Studie, die gerade in der medizinischen Fachzeitschrift „Lancet“veröffentlicht wurde. Danach liegt die Wirksamkeit der Astrazeneca-Impfung über alle Altersgruppen bei 80 Prozent, wenn der Abstand zwischen erster und zweiter Dosis zwölf Wochen beträgt. Liegen zwischen erster und zweiter Dosis aber nur vier Wochen, beträgt die Wirksamkeit auch nur 55 Prozent. Wer bereits einen Termin im Impfzentrum hat, kann seine Zweitimpfung ohnehin nicht vorziehen, wie Laumann betont hat.