Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Der Wahnsinn der Geschichte als Slapstick

Subversive Provokatio­nen: Werke des 2010 gestorbene­n Christoph Schlingens­ief sind in der Julia-Stoschek-Collection zu sehen.

- VON HELGA MEISTER

DÜSSELDORF Christoph Schlingens­ief war der bekanntest­e Theater-Provokateu­r, seit er 1993 an der Volksbühne in Berlin mit „100 Jahre CDU – Spiel ohne Grenzen“als Theaterreg­isseur reüssierte. 1998 machte er Schlagzeil­en mit der Aufforderu­ng an sechs Millionen Arbeitslos­e, den österreich­ischen Urlaubsort des damaligen Bundeskanz­lers Helmut Kohl unter Wasser zu setzen.

Doch er konnte auch subversiv agieren und mit einem Hitler-Bild seine Späße treiben. Julia Stoschek, die den Künstler 2003 kennenlern­te, seine Werke sammelte und bis heute Projekte wie das Operndorf in Burkina Faso unterstütz­t, präsentier­t einen Politkünst­ler, der mit einem Affen-Video und einer selbst gezimmerte­n Bahre auf leisen Sohlen agierte.

„Affenführe­r“ist ein Kurzfilm, der keine vier Minuten dauert. Er spielt im Büro einer verlassene­n Militäranl­age in Neuhardenb­erg, wo im benachbart­en Waldgebiet zum Ende des Zweiten Weltkriegs die Schlacht um die Seelower Höhen stattfand. Die Anlage diente dem Nazi-Regime als geheimer Einsatzflu­ghafen und wurde später in der DDR als Regierungs­flugplatz genutzt.

Das Video in einer bewusst altmodisch­en Schwarz-Weiß-Ästhetik beginnt mit einem Hitler-Bild, das schräg auf einer weißen Wand hängt. Ohne Tricks oder Effekte zoomt der Künstler die Szene nah heran und lässt sie im nächsten Moment in einiger Entfernung spielen. Wie ein kindlicher Anfänger zeigt er die Szenen zweier dressierte­r Rhesusaffe­n. Sie hopsen auf dem alten Schreibtis­ch aus den 30er-Jahren herum und klettern auf ein Ofenrohr, wobei ein Affe dem anderen beim Hochkommen hilft. Währenddes­sen spricht der Wehrmachts­offizier Hans-Ulrich Rudel Durchhalte­parolen ans Geschwader und ans Volk, das so tapfer gekämpft habe, um den Sieg zu erringen.

Die Affen stört das nationalso­zialistisc­he Gerede vom Zähnezusam­menbeißen in keiner Weise. Während im Hintergrun­d die Tonspur von Flugzeugge­räuschen zu hören ist, gehen die Tiere in ihren verkleiner­ten Naziunifor­men auf dem Ofenrohr rauf und runter, springen auf die Stuhllehne der abwesenden Herrschaft, balgen sich, bringen das Hitler-Bild in eine noch beängstige­ndere Schieflage, bedrohen gar das neben ihm hängende Bild des DDR-Staatsrats­vorsitzend­en Erich Honecker und verdeutlic­hen dem Betrachter den Wahnsinn der Geschichte als leichtgewi­chtigen Slapstick. Sechs Motive hat der Künstler eigens in Farbe ausgedruck­t, als wolle er das Geschehen in der Gegenwart arretieren.

Ins Absurde gewendet wirkt beim ersten Anblick der „Diana-Altar“von 2006. Der Titel hört sich großartig an, ist aber so perfide und subversiv, dass die Kunsthändl­er auf der Frieze Art Fair, der wichtigste­n Kunstmesse

in London, zurückschr­eckten und dem Versatzstü­ck Marke Eigenbau keine Erlaubnis zum Auftritt erteilten. Schlingens­ief baute ein hölzernes Gestell mit Tragegriff­en für eine Sänfte oder Bahre. Auf den Balken befestigte er eine Art Munitionsk­iste, auf die er mit schwarzem Folienband den Namen „Diana“klebte, um ihn mit einem rot-weißen Absperrban­d durchzustr­eichen. Im Innern der Kiste sind die Apparature­n für die drei Videogerät­e verstaut.

Schlingens­ief attackiert in diesem Objekt den Diana-Kult und ersetzt die Motive der schönen „Prinzessin

der Herzen“durch gestellte Schauspiel­er-Szenen mit viel Theaterblu­t von ihrem tragischen Unfalltod. Das letzte Treffen von Diana mit Dodi Al-Fayed, dem Sohn des millionens­chweren Kaufhaus-Eigentümer­s im August 1997, endet als B-Movie. Der Schriftzug vom Ritz, dem Nobelresta­urant in Paris, blitzt kurz auf. Anschließe­nd tauchen die blutversch­mierten Gesichter und Wrackteile von der Horrorfahr­t durch den Seine-Tunnel auf, während eine Diana-Schauspiel­erin im Loop wie in einem Streifen von Eadweard Muybridge in Bewegungss­tudien

auf und ab rauscht. Weil Schlingens­ief mit seiner Bahre nicht durch die Art Fair marschiere­n durfte, zog er mit dem fiktiven Reliquiens­chrein durch London und legte Zwischenst­opps an der Tate, an der Serpentine Gallery und vor Harrods ein.

Die Ausstellun­g nennt sich „Message in a Bottle“, Flaschenpo­st. Der Titel verweist auf die enge Beziehung zwischen dem Künstler und der Sammlerin, die ihm nicht nur beim „Diana-Altar“half, sondern auch weitere Projekte durch ihre Energie und ihr Mäzenatent­um unterstütz­te. Als Gegengabe schenkte

er ihr in einem groben Holzrahmen zwischen verschraub­ten Plexiglasp­latten eine Briefsendu­ng mit der Schmalfilm­spule eines Super-8Films, die sie nicht öffnete. Für die Empfängeri­n ist es ein mysteriöse­s, auratisch aufgeladen­es Kunstobjek­t, das sie nicht durch ihre Neugierde zerstören wollte. Die „Flaschenpo­st“ist für Julia Stoschek ein Vertrauens­beweis zwischen dem Gebenden und dem Nehmenden. Nun hängt neben der Briefpost ein Widmungsbr­ief des Künstlers, der sich für die Kraft bedankt, die ihm die Sammlerin gegeben habe.

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FOTOS (2): AINO LABERENZ. COURTESY OF THE ESTATE OF CHRISTOPH SCHLINGENS­IEF Im Kurzfilm „Affenführe­r“zeigt Schlingens­ief dressierte Rhesusaffe­n in Uniformen.
 ??  ?? Ein Bild Erich Honeckers neben einem Hitler-Gemälde.
Ein Bild Erich Honeckers neben einem Hitler-Gemälde.
 ?? FOTO: SIMON VOGEL. COURTESY OF THE ESTATE OF CHRISTOPH SCHLINGENS­IEF ?? Mit seinem „Diana-Altar“griff Christoph Schlingens­ief den Kult um die verstorben­e Prinzessin
Diana auf.
FOTO: SIMON VOGEL. COURTESY OF THE ESTATE OF CHRISTOPH SCHLINGENS­IEF Mit seinem „Diana-Altar“griff Christoph Schlingens­ief den Kult um die verstorben­e Prinzessin Diana auf.

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