Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Der Charme der Widerspenstigkeit
Senta Berger hat das deutsche Fernsehen um zeitgemäße Frauenfiguren bereichert. Auch in öffentlichen Debatten bezog sie Stellung. Nun wird die Frau, die Hollywood der Liebe wegen verließ, 80 Jahre alt.
Eine der schönsten Szenen in der jüngeren Filmografie von Senta Berger erlebt der Zuschauer in „Satte Farben vor Schwarz“. Berger und Bruno Ganz spielen darin ein Ehepaar, das in einer Villa am Stadtrand lebt. Gehobenes Bürgertum, Sehnsüchte und Abgründe liegen hinter einer Fassade aus Höflichkeit und Beherrschung verborgen. Einblicke in die Art dieser Beziehung erlauben lediglich kleine Szenen, in denen nicht gesprochen und dennoch alles gesagt wird. Als Bruno Ganz die Butter geräuschvoll auf seinen Toast streicht etwa und Senta Berger wutlüstern mit der Zeitung zurückraschelt, weiß man schon Bescheid: 50 Ehejahre kristallisieren in diesem Moment. Stellungskrieg am Frühstückstisch.
Und genau das ist es, was Senta Berger am besten kann: die Contenance einer Figur ganz kurz mal brüchig werden lassen. Den Zuschauer für einen Augenblick in ihre Seele blicken lassen und auf diese Weise Komplizenschaft herstellen. Sie hat verschiedene Methoden dafür. Die schönste ist eine Modulation der Stimme, diese unheimlich schöne Stimme, die sie leicht nach oben ausbrechen lässt, eine Nuance nur, das genügt bereits, um Spott anzudeuten oder Erregung. Eine andere ist das Schließen des Mundes, gefolgt vom Schmalziehen der Lippen: Schmerz, bedeutet das, Verletzung, und es dauert nie lange. Dann geht das Leben nämlich weiter, und das Schicksal muss zurückgeschlagen werden.
Senta Berger wird an diesem Donnerstag 80 Jahre alt. Sie wurde in Wien geboren, was man ihr immer noch anhört. Die Verhältnisse waren bescheiden, aber beide Eltern waren kunstbeflissenen, und mit 16 wurde Senta Berger am renommierten Max-Reinhardt-Seminar aufgenommen. Weil sie aber nebenher in einem amerikanischen Film mit Yul Brunner eine kleine Nebenrolle spielte, musste sie die Schule verlassen. Das Engagement hatte ihr der Direktor zuvor verboten. Der Rauswurf schadete ihrer Karriere nicht. Nach frühen Erfolgen im „Schwejk“(1960) mit Heinz Rühmann und der Johannes-Mario-Simmel-Verfilmung „Es muss nicht immer Kaviar sein“aus dem Jahr 1961 mit O. W. Fischer
ging sie nach Hollywood, unterschrieb beim Filmstudio Columbia und drehte mit Kirk Douglas und John Wayne.
1969 kehrte sie zurück nach Europa. Sie lebte mit ihrem Mann, dem Arzt und Regisseur Michael Verhoeven, in München. Sie hatten gemeinsam die Produktionsfirma Sentana gegründet, sie bekamen zwei Söhne, Simon und Luca, und dass Berger das Leben offenbar glückte, wollten manche als Gegenentwurf zur unglücklichen Romy Schneider werten.
Senta Berger drehte nun vor allem fürs Fernsehen, und sie war eine Pionierin darin, Frauenrollen zu spielen, die sich an der Wirklichkeit und an der Gegenwart des Publikums orientierten und nicht an einem überkommenen Ideal, das Männer entworfen hatten. Es liegt nahe, dieses Verdienst an ihre Unverbrüchlichkeit als öffentliche Person zu koppeln. Berger brachte in ihre besten Rollen die Wachheit, den Charme, den Stolz und das Gerechtigkeitsempfinden ein, das sie bei Wortmeldungen außerhalb von Drehbuchvorgaben auszeichnete.
Sie nahm Stellung zu Vietnamund Golfkrieg, zu Abrüstung und Asylrecht. Sie engagierte sich für Menschen, die an Leukämie erkrankten, für Zivilcourage und gegen Ausländerfeindlichkeit. Sie setzte sich im Wahlkampf für Willy Brandt ein. Und sie bekannte 1971 als eine der 374 Frauen in der legendären Titelgeschichte des „Stern“: „Wir haben abgetrieben.“Mehrfach berichtete sie zudem von sexuellen Übergriffen am Set. O.W. Fischer habe versucht, sie zu vergewaltigen, erzählte sie. Auch gegen Charlton Heston und Richard Widmark erhob sie Vorwürfe.
Schauspielerinnen (für Männer gilt dasselbe), die derart berühmt sind, haben es nicht so leicht bei der Rollenwahl im deutschen TV. Sie müssen Rollen finden, in die sie ihre Persönlichkeit in besonderem Maße einbringen können. Wahrhaftigkeit im Spiel können sie nur erreichen, wenn sie akzeptieren, dass das Publikum in jeder Figur automatisch etwas von ihnen sucht oder sieht. Das ist ein Balanceakt, und Senta Berger ist er gelungen. Sie beglaubigt Figuren mit ihrer Biografie. Sie lädt sie mit ihrer Persönlichkeit auf.
Dabei ist ihre Bandbreite groß geblieben. Sie spielte 1985 Mona, die Freundin von Klatschreporter Baby Schimmerlos in „Kir Royal“. Zwischen 1989 und 2004 die patente Taxifahrerin „Die schnelle Gerdi“. Außerdem die kluge und empathische Kriminalrätin Dr. Eva Maria Prohacek in „Unter Verdacht“(2002 bis 2019). Und immer wieder warf sie sich mit Friedrich von Thun die Bälle als Vertreterin eines Bürgertums zu, das zwar finanziell gesichert und gesellschaftlich geachtet ist, aber trotzdem im Clinch liegt mit den Leidenschaften, der Treue und den Kindern.
Senta Berger stellt man sich als eine den Fragestellungen der Gegenwart aufgeschlossene, auf sehr gewinnende Art widerspenstige Frau vor, die aus reiner Menschenfreundlichkeit andere nicht merken lässt, dass sie im Kopf schon ein bisschen weiter ist als sie. Davon bringt sie viel in ihre Rollen ein. Deshalb sieht man ihr so gerne bei der Arbeit zu.