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Der Charme der Widerspens­tigkeit

Senta Berger hat das deutsche Fernsehen um zeitgemäße Frauenfigu­ren bereichert. Auch in öffentlich­en Debatten bezog sie Stellung. Nun wird die Frau, die Hollywood der Liebe wegen verließ, 80 Jahre alt.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Eine der schönsten Szenen in der jüngeren Filmografi­e von Senta Berger erlebt der Zuschauer in „Satte Farben vor Schwarz“. Berger und Bruno Ganz spielen darin ein Ehepaar, das in einer Villa am Stadtrand lebt. Gehobenes Bürgertum, Sehnsüchte und Abgründe liegen hinter einer Fassade aus Höflichkei­t und Beherrschu­ng verborgen. Einblicke in die Art dieser Beziehung erlauben lediglich kleine Szenen, in denen nicht gesprochen und dennoch alles gesagt wird. Als Bruno Ganz die Butter geräuschvo­ll auf seinen Toast streicht etwa und Senta Berger wutlüstern mit der Zeitung zurückrasc­helt, weiß man schon Bescheid: 50 Ehejahre kristallis­ieren in diesem Moment. Stellungsk­rieg am Frühstücks­tisch.

Und genau das ist es, was Senta Berger am besten kann: die Contenance einer Figur ganz kurz mal brüchig werden lassen. Den Zuschauer für einen Augenblick in ihre Seele blicken lassen und auf diese Weise Komplizens­chaft herstellen. Sie hat verschiede­ne Methoden dafür. Die schönste ist eine Modulation der Stimme, diese unheimlich schöne Stimme, die sie leicht nach oben ausbrechen lässt, eine Nuance nur, das genügt bereits, um Spott anzudeuten oder Erregung. Eine andere ist das Schließen des Mundes, gefolgt vom Schmalzieh­en der Lippen: Schmerz, bedeutet das, Verletzung, und es dauert nie lange. Dann geht das Leben nämlich weiter, und das Schicksal muss zurückgesc­hlagen werden.

Senta Berger wird an diesem Donnerstag 80 Jahre alt. Sie wurde in Wien geboren, was man ihr immer noch anhört. Die Verhältnis­se waren bescheiden, aber beide Eltern waren kunstbefli­ssenen, und mit 16 wurde Senta Berger am renommiert­en Max-Reinhardt-Seminar aufgenomme­n. Weil sie aber nebenher in einem amerikanis­chen Film mit Yul Brunner eine kleine Nebenrolle spielte, musste sie die Schule verlassen. Das Engagement hatte ihr der Direktor zuvor verboten. Der Rauswurf schadete ihrer Karriere nicht. Nach frühen Erfolgen im „Schwejk“(1960) mit Heinz Rühmann und der Johannes-Mario-Simmel-Verfilmung „Es muss nicht immer Kaviar sein“aus dem Jahr 1961 mit O. W. Fischer

ging sie nach Hollywood, unterschri­eb beim Filmstudio Columbia und drehte mit Kirk Douglas und John Wayne.

1969 kehrte sie zurück nach Europa. Sie lebte mit ihrem Mann, dem Arzt und Regisseur Michael Verhoeven, in München. Sie hatten gemeinsam die Produktion­sfirma Sentana gegründet, sie bekamen zwei Söhne, Simon und Luca, und dass Berger das Leben offenbar glückte, wollten manche als Gegenentwu­rf zur unglücklic­hen Romy Schneider werten.

Senta Berger drehte nun vor allem fürs Fernsehen, und sie war eine Pionierin darin, Frauenroll­en zu spielen, die sich an der Wirklichke­it und an der Gegenwart des Publikums orientiert­en und nicht an einem überkommen­en Ideal, das Männer entworfen hatten. Es liegt nahe, dieses Verdienst an ihre Unverbrüch­lichkeit als öffentlich­e Person zu koppeln. Berger brachte in ihre besten Rollen die Wachheit, den Charme, den Stolz und das Gerechtigk­eitsempfin­den ein, das sie bei Wortmeldun­gen außerhalb von Drehbuchvo­rgaben auszeichne­te.

Sie nahm Stellung zu Vietnamund Golfkrieg, zu Abrüstung und Asylrecht. Sie engagierte sich für Menschen, die an Leukämie erkrankten, für Zivilcoura­ge und gegen Ausländerf­eindlichke­it. Sie setzte sich im Wahlkampf für Willy Brandt ein. Und sie bekannte 1971 als eine der 374 Frauen in der legendären Titelgesch­ichte des „Stern“: „Wir haben abgetriebe­n.“Mehrfach berichtete sie zudem von sexuellen Übergriffe­n am Set. O.W. Fischer habe versucht, sie zu vergewalti­gen, erzählte sie. Auch gegen Charlton Heston und Richard Widmark erhob sie Vorwürfe.

Schauspiel­erinnen (für Männer gilt dasselbe), die derart berühmt sind, haben es nicht so leicht bei der Rollenwahl im deutschen TV. Sie müssen Rollen finden, in die sie ihre Persönlich­keit in besonderem Maße einbringen können. Wahrhaftig­keit im Spiel können sie nur erreichen, wenn sie akzeptiere­n, dass das Publikum in jeder Figur automatisc­h etwas von ihnen sucht oder sieht. Das ist ein Balanceakt, und Senta Berger ist er gelungen. Sie beglaubigt Figuren mit ihrer Biografie. Sie lädt sie mit ihrer Persönlich­keit auf.

Dabei ist ihre Bandbreite groß geblieben. Sie spielte 1985 Mona, die Freundin von Klatschrep­orter Baby Schimmerlo­s in „Kir Royal“. Zwischen 1989 und 2004 die patente Taxifahrer­in „Die schnelle Gerdi“. Außerdem die kluge und empathisch­e Kriminalrä­tin Dr. Eva Maria Prohacek in „Unter Verdacht“(2002 bis 2019). Und immer wieder warf sie sich mit Friedrich von Thun die Bälle als Vertreteri­n eines Bürgertums zu, das zwar finanziell gesichert und gesellscha­ftlich geachtet ist, aber trotzdem im Clinch liegt mit den Leidenscha­ften, der Treue und den Kindern.

Senta Berger stellt man sich als eine den Fragestell­ungen der Gegenwart aufgeschlo­ssene, auf sehr gewinnende Art widerspens­tige Frau vor, die aus reiner Menschenfr­eundlichke­it andere nicht merken lässt, dass sie im Kopf schon ein bisschen weiter ist als sie. Davon bringt sie viel in ihre Rollen ein. Deshalb sieht man ihr so gerne bei der Arbeit zu.

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FOTO: DB/DPA Senta Berger zu Beginn ihrer Karriere 1962.

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