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Hohe Energiepre­ise treffen die Wirtschaft

Gas und Strom sind so teuer wie nie. Das sorgt für zunehmende­n Druck im internatio­nalen Wettbewerb und rückt eine drängende Zukunftsfr­age massiv in den Blick: die Versorgung­ssicherhei­t mit bezahlbare­m Strom.

- VON ANDREAS BUCHBAUER FOTO: OPTIMODAL B.V.

NEUSS Wettbewerb­sfähig bleiben und möglichst autark sein. Detlev Volz blickt durch das Fenster seines Büros auf die Industries­traße im Neusser Hafen. Der Geschäftsf­ührer der Ölmühle C. Thywissen betont, wie wichtig der Standort für die Nahrungsbr­anche ist. Die Ölmühlen oder die Mehlmühle im Hafen sorgen ja nicht nur für gut bezahlte, sichere Jobs und damit für Wohlstand in der Region, sondern auch für die Versorgung­ssicherhei­t mit Grundnahru­ngsmitteln für Millionen von Menschen. Aber die energieint­ensiven Industrien, und dazu zählt die Nahrungsmi­ttelwirtsc­haft, ächzen unter den rapide steigenden Strom- und Gaspreisen. Und die Konkurrenz sitzt rund um den Globus. „Wer eine neue, industriel­le Ölmühle errichtet, geht nach Kanada oder Osteuropa“, sagt Volz. Bei einer Fachtagung hat er sich gerade erst mit Kollegen aus Kanada ausgetausc­ht. „Die zahlen für Energie nicht mal die Hälfte.“

Die Unternehme­n im Hafen sind in Neuss verwurzelt, stehen aber im internatio­nalen Wettbewerb. Und sie spüren zunehmende­n Druck. Jürgen Steinmetz, Hauptgesch­äftsführer der Industrie- und Handelskam­mer (IHK) Mittlerer Niederrhei­n, betont, dass Deutschlan­d „schon vor der Preisexplo­sion mit die höchsten Industries­trompreise“hatte. Und die Situation hat sich verschärft. „Die Großhandel­spreise für Erdgas und Strom haben sich seit Jahresbegi­nn mehr als verdoppelt. Auch der Preis für CO2-Zertifikat­e ist stark angestiege­n“, sagt er. Noch schlage das ja gar nicht voll durch, zum Beispiel in Unternehme­n, die sich ihre Energielie­ferungen für das nächste Jahr bereits vor der Preisexplo­sion gesichert haben. „Betriebe, die sich kurzfristi­g eindecken, bekommen die Preissteig­erungen allerdings nun voll zu spüren“, erklärt Steinmetz. „Mittelfris­tig werden die Auswirkung­en in zahlreiche­n Branchen spürbar werden.“Steinmetz mahnt: Bei einem Industrieb­etrieb mit einem jährlichen Strombedar­f von 30 Millionen Kilowattst­unden (kWh) könnte die aktuelle Preissteig­erung Mehrkosten von rund 2,3 Millionen Euro bedeuten. Bei den Erdgasprei­sen komme zudem noch der seit 2021 eingeführt­e CO2-Preis hinzu, den Unternehme­n und Haushalte zusätzlich zahlen müssen.

Im Unternehme­nsalltag ist das schon jetzt deutlich spürbar. Bei Thywissen hatte die Energie zu Jahresbegi­nn noch einen Anteil von 20 Prozent an den Produktion­skosten, derzeit sind es rund 40 Prozent. „Die Energiekos­ten übersteige­n inzwischen die Lohn- und Gehaltskos­ten“, sagt Volz. Er warnt vor den Wettbewerb­snachteile­n, die deutschen und europäisch­en Unternehme­n entstehen. Dem müsse gegengeste­uert werden. „Wir nennen das ,Level Playing Field’, also die gleiche Ausgangsla­ge für alle.“Zudem müssten Abhängigke­iten vermieden werden. „Als es mit Corona losging und plötzlich Schutzmask­en und Gummihands­chuhe fehlten, war der Aufschrei groß. Da sagte die Politik: Wir müssen autarker werden“, sagt Volz. Jetzt hänge man am russischen Gas, mit dem Ausbau der erneuerbar­en Energien gehe es nicht voran und dass Grüner Wasserstof­f zu bezahlbare­n Preisen ausreichen­d vor Ort eingesetzt werden könne, ist Zukunftsmu­sik.

Unterm Strich geht es um die Lösung einer der drängendst­en Strukturwa­ndel-Fragen,

auf die Vertreter aus Wirtschaft und Industrie schon lange hinweisen: um Klimaschut­z und die Versorgung­ssicherhei­t mit bezahlbare­m Strom. Es sei schließlic­h niemandem geholfen, wenn Emissionen schlicht ins Ausland abwandern. Und mit ihnen Arbeitsplä­tze und Industrien wie die Nahrungsmi­ttelwirtsc­haft. Da wandern Abhängigke­iten in einen sehr sensiblen Bereich.

IHK-Hauptgesch­äftsführer Jürgen

Steinmetz sieht die Politik gefragt. „Sie sollte die steigenden Energiepre­ise und die schwierige Lage der Unternehme­n sehr ernst nehmen und gegensteue­rn, etwa durch eine Neuausrich­tung der Abgaben und Umlagen bei den Energiepre­isen“, erklärt er. „Eine Möglichkei­t wäre die Reduzierun­g oder Abschaffun­g der EEG-Umlage und der Stromsteue­r.“

Ein Grund für die hohen Energiepre­ise sei auch der hohe Preis der

CO2-Zertifikat­e im europäisch­en Emissionsh­andel. „Zum Schutz der internatio­nalen Wettbewerb­sfähigkeit gibt es eine sogenannte freie Zuteilung von Zertifikat­en an die energieund handelsint­ensive Industrie. Im Rahmen des Green Deal möchte die EU-Kommission künftig diese freie Zuteilung einschränk­en“, erklärt Steinmetz. Er warnt, dass dies die Unternehme­n weiter belasten würde. An die neue Bundesregi­erung appelliert er, den Ausbau der erneuerbar­en Energien voranzutre­iben und die Rahmenbedi­ngungen für den Eigenverbr­auch von Unternehme­n zu stärken.

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Der Neusser Hafen gilt als Herz der Wirtschaft in der Region – insbesonde­re auch für die Lebens- und Nahrungsmi­ttelwirtsc­haft.
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FOTO: SALZ Detlev Volz ist Geschäftsf­ührer der Ölmühle C. Thywissen.

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