Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Hohe Energiepreise treffen die Wirtschaft
Gas und Strom sind so teuer wie nie. Das sorgt für zunehmenden Druck im internationalen Wettbewerb und rückt eine drängende Zukunftsfrage massiv in den Blick: die Versorgungssicherheit mit bezahlbarem Strom.
NEUSS Wettbewerbsfähig bleiben und möglichst autark sein. Detlev Volz blickt durch das Fenster seines Büros auf die Industriestraße im Neusser Hafen. Der Geschäftsführer der Ölmühle C. Thywissen betont, wie wichtig der Standort für die Nahrungsbranche ist. Die Ölmühlen oder die Mehlmühle im Hafen sorgen ja nicht nur für gut bezahlte, sichere Jobs und damit für Wohlstand in der Region, sondern auch für die Versorgungssicherheit mit Grundnahrungsmitteln für Millionen von Menschen. Aber die energieintensiven Industrien, und dazu zählt die Nahrungsmittelwirtschaft, ächzen unter den rapide steigenden Strom- und Gaspreisen. Und die Konkurrenz sitzt rund um den Globus. „Wer eine neue, industrielle Ölmühle errichtet, geht nach Kanada oder Osteuropa“, sagt Volz. Bei einer Fachtagung hat er sich gerade erst mit Kollegen aus Kanada ausgetauscht. „Die zahlen für Energie nicht mal die Hälfte.“
Die Unternehmen im Hafen sind in Neuss verwurzelt, stehen aber im internationalen Wettbewerb. Und sie spüren zunehmenden Druck. Jürgen Steinmetz, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Mittlerer Niederrhein, betont, dass Deutschland „schon vor der Preisexplosion mit die höchsten Industriestrompreise“hatte. Und die Situation hat sich verschärft. „Die Großhandelspreise für Erdgas und Strom haben sich seit Jahresbeginn mehr als verdoppelt. Auch der Preis für CO2-Zertifikate ist stark angestiegen“, sagt er. Noch schlage das ja gar nicht voll durch, zum Beispiel in Unternehmen, die sich ihre Energielieferungen für das nächste Jahr bereits vor der Preisexplosion gesichert haben. „Betriebe, die sich kurzfristig eindecken, bekommen die Preissteigerungen allerdings nun voll zu spüren“, erklärt Steinmetz. „Mittelfristig werden die Auswirkungen in zahlreichen Branchen spürbar werden.“Steinmetz mahnt: Bei einem Industriebetrieb mit einem jährlichen Strombedarf von 30 Millionen Kilowattstunden (kWh) könnte die aktuelle Preissteigerung Mehrkosten von rund 2,3 Millionen Euro bedeuten. Bei den Erdgaspreisen komme zudem noch der seit 2021 eingeführte CO2-Preis hinzu, den Unternehmen und Haushalte zusätzlich zahlen müssen.
Im Unternehmensalltag ist das schon jetzt deutlich spürbar. Bei Thywissen hatte die Energie zu Jahresbeginn noch einen Anteil von 20 Prozent an den Produktionskosten, derzeit sind es rund 40 Prozent. „Die Energiekosten übersteigen inzwischen die Lohn- und Gehaltskosten“, sagt Volz. Er warnt vor den Wettbewerbsnachteilen, die deutschen und europäischen Unternehmen entstehen. Dem müsse gegengesteuert werden. „Wir nennen das ,Level Playing Field’, also die gleiche Ausgangslage für alle.“Zudem müssten Abhängigkeiten vermieden werden. „Als es mit Corona losging und plötzlich Schutzmasken und Gummihandschuhe fehlten, war der Aufschrei groß. Da sagte die Politik: Wir müssen autarker werden“, sagt Volz. Jetzt hänge man am russischen Gas, mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien gehe es nicht voran und dass Grüner Wasserstoff zu bezahlbaren Preisen ausreichend vor Ort eingesetzt werden könne, ist Zukunftsmusik.
Unterm Strich geht es um die Lösung einer der drängendsten Strukturwandel-Fragen,
auf die Vertreter aus Wirtschaft und Industrie schon lange hinweisen: um Klimaschutz und die Versorgungssicherheit mit bezahlbarem Strom. Es sei schließlich niemandem geholfen, wenn Emissionen schlicht ins Ausland abwandern. Und mit ihnen Arbeitsplätze und Industrien wie die Nahrungsmittelwirtschaft. Da wandern Abhängigkeiten in einen sehr sensiblen Bereich.
IHK-Hauptgeschäftsführer Jürgen
Steinmetz sieht die Politik gefragt. „Sie sollte die steigenden Energiepreise und die schwierige Lage der Unternehmen sehr ernst nehmen und gegensteuern, etwa durch eine Neuausrichtung der Abgaben und Umlagen bei den Energiepreisen“, erklärt er. „Eine Möglichkeit wäre die Reduzierung oder Abschaffung der EEG-Umlage und der Stromsteuer.“
Ein Grund für die hohen Energiepreise sei auch der hohe Preis der
CO2-Zertifikate im europäischen Emissionshandel. „Zum Schutz der internationalen Wettbewerbsfähigkeit gibt es eine sogenannte freie Zuteilung von Zertifikaten an die energieund handelsintensive Industrie. Im Rahmen des Green Deal möchte die EU-Kommission künftig diese freie Zuteilung einschränken“, erklärt Steinmetz. Er warnt, dass dies die Unternehmen weiter belasten würde. An die neue Bundesregierung appelliert er, den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben und die Rahmenbedingungen für den Eigenverbrauch von Unternehmen zu stärken.