Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Siebensprung und Spindel
Das Theater der Klänge hat sich auf Spurensuche nach einem Kulturgut begeben: Mit „West-Land-Tänze“zeigt es regionale Volkstänze und feierte eine gelungene Premiere im FFT.
Kleiner Düsseldorfer, Siebensprung, Spindel oder Herr Schmidt – so heißen Volkstänze, die einst in der Landeshauptstadt Teil vieler Feste waren. Heute kennt sie kaum jemand. Das Theater der Klänge hat es sich auf die Fahne geschrieben, diesen Kulturschatz zu heben und wieder auf die Bühne zu bringen.
Am Donnerstagabend feierte das Künstlerkollektiv mit der Produktion „West-Land-Tänze“im FFT eine gelungene Premiere und beließ es nicht dabei, die Tänze nur aufzuführen. Das Publikum war nach der Vorstellung eingeladen, mit dem Ensemble gemeinsam beim „Bal Modern“selbst mitzutanzen und die Hüften ordentlich kreisen zu lassen.
Am Anfang stand für Regisseur und Szenograf J. U. Lensing die Recherche. Er wollte dafür nicht in die Ferne schweifen. Schließlich sollte sich seine Arbeit auf Volkstänze konzentrieren, die praktisch vor der Haustür zu finden sein müssten. Der Düsseldorfer nahm Kontakt zu einer Expertin für Lokalkultur und zum Heimatverein auf. Sein Plan war, „das Vorhandene zu erlernen, es sich durch Gebrauch weiterentwickeln zu lassen und dadurch wieder die Möglichkeit einer breit aufgestellten, grundlegenden lokalen Musikkommunikation zu schaffen“, fasst Lensing seine Motivation zusammen. Die Franzosen hatten es in den 1970er-Jahren erfolgreich vorgemacht.
Tanz wirkt bekanntlich identitätsstiftend und fördert das Gemeinschaftsgefühl. So überrascht es nicht, dass diese beiden Aspekte bei der Premiere im FFT von den Künstlern offen angesprochen wurden. „Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst. Moderne Zivilisationen haben ihre Identität zu einem Handelsgut degradiert“, sagt einer der Tänzer und bedauert, dass er keinen einzigen Volkstanz und keine Volkslieder aus der Gegend kennt, in der er aufgewachsen ist.
Ganz anders sei das beispielsweise bei vielen Griechen oder Türken. Auf ihren Festen würden oft ganz selbstverständlich traditionelle Tänze zelebriert. „Wer die Schritte nicht kennt, schaut sie sich einfach ab“, stellte das Ensemblemitglied im FFT fest und fügte noch ein weiteres wichtiges Element hinzu: Bei diesen Tänzen fassen die Menschen einander an. Sie legen ihren Arm auf die Schuler der anderen oder um deren Hüfte. Berührungen und Nähe sind bei Volkstänzen unvermeidlich und gehören einfach dazu. Tanz wird so auch zu einem kollektiven Erlebnis. „Allein zu tanzen, macht einsam“, stellte eine der Tänzerinnen fest.
So bewegte sich auch das Theater der Klänge immer mindestens als
Paar über die Bühne. Mal hielten sie einander an den Händen, drehten sich dabei im Kreis, mal traten sie zueinander in den Dialog, folgten wie ein Zwilling den Bewegungen ihres Gegenübers. Damit verband das Ensemble das Traditionelle mit modernen Elementen so spielerisch und leicht, dass es wie die natürliche Weiterentwicklung wirkte.
Der Abend begann lautlos. War nur Bewegung ohne Musik. Erst nach einer Weile gesellte sich Rhythmus zur Aufführung. Der kam zwar vom Band, dafür griff Christiane Meis live in die Tasten ihres Akkordeons, Jens Barabasch steuerte die Flötenklänge bei.
Anfang Januar 2023 hatte sich Lensing an seinen Schreibtisch gesetzt, um Listen zu erstellen für die neue Produktion. Eine Woche später suchte er die Tänzer und Musiker aus. Der Februar war geprägt
von weiterer Recherche. Lensing durchstöberte das Internet nach Volkstanzgruppen, wälzte Bücher, nahm an Heimatlieder-Workshops in der Tonhalle teil und hörte sich durch zahlreiche Tonträger. Im März 2023 wurden erste Ideen für das Bühnenbild durchgespielt. Im Mai begannen die Proben mit den Musikern, zu denen sich noch Julian de Vries gesellte, der für die elektronischen Sounds zuständig war. Im Juni und Juli standen Besuche des Tanzarchivs Köln an.
Nach und nach nahm im Verlauf der zweiten Jahreshälfte dann „West-Land-Tänze“Gestalt an. Die Tänzerinnen und Tänzer brachten eigene Ideen ein, die von Choreografin Jacqueline Fischer und Regisseur Lensing aufgegriffen wurden.
Das Ergebnis ist eine mitreißende Performance, die allein aufgrund ihrer Melodien Ohrwurmpotenzial hat. Denn auch das ist ein Teil dieses gehobenen Kulturschatzes. So kompliziert manche Schritt- und Bewegungsfolgen bei den Volkstänzen auch sein mögen, sie folgen oft einer einfachen, eingängigen Melodie.
Zum Beweis durfte das Publikum für die Zugabe gemeinsam mit dem Theater der Klänge eine Coda anstimmen, zu der die Künstler noch einmal tanzten. Die Coda ist eine thematische Episode, die noch einmal die Charakterzüge eines Werkes zusammenfasst.
Zum Premierenabend gehörte nach der Vorstellung noch ein „Bal Modern“. Dabei hatte das Publikum Gelegenheit, selbst einmal auszuprobieren, wie Tanz zum identitätsstiftenden Gemeinschaftserlebnis werden kann. Denn das Ensemble mischte sich im Foyer des FFT unter die Besucher, um mit ihnen zusammen zu tanzen.
Der Abend begann lautlos – nur Bewegung ohne Musik. Erst nach einer Weile gesellte sich Rhythmus dazu