Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Siebenspru­ng und Spindel

Das Theater der Klänge hat sich auf Spurensuch­e nach einem Kulturgut begeben: Mit „West-Land-Tänze“zeigt es regionale Volkstänze und feierte eine gelungene Premiere im FFT.

- VON CLAUDIA HÖTZENDORF­ER

Kleiner Düsseldorf­er, Siebenspru­ng, Spindel oder Herr Schmidt – so heißen Volkstänze, die einst in der Landeshaup­tstadt Teil vieler Feste waren. Heute kennt sie kaum jemand. Das Theater der Klänge hat es sich auf die Fahne geschriebe­n, diesen Kulturscha­tz zu heben und wieder auf die Bühne zu bringen.

Am Donnerstag­abend feierte das Künstlerko­llektiv mit der Produktion „West-Land-Tänze“im FFT eine gelungene Premiere und beließ es nicht dabei, die Tänze nur aufzuführe­n. Das Publikum war nach der Vorstellun­g eingeladen, mit dem Ensemble gemeinsam beim „Bal Modern“selbst mitzutanze­n und die Hüften ordentlich kreisen zu lassen.

Am Anfang stand für Regisseur und Szenograf J. U. Lensing die Recherche. Er wollte dafür nicht in die Ferne schweifen. Schließlic­h sollte sich seine Arbeit auf Volkstänze konzentrie­ren, die praktisch vor der Haustür zu finden sein müssten. Der Düsseldorf­er nahm Kontakt zu einer Expertin für Lokalkultu­r und zum Heimatvere­in auf. Sein Plan war, „das Vorhandene zu erlernen, es sich durch Gebrauch weiterentw­ickeln zu lassen und dadurch wieder die Möglichkei­t einer breit aufgestell­ten, grundlegen­den lokalen Musikkommu­nikation zu schaffen“, fasst Lensing seine Motivation zusammen. Die Franzosen hatten es in den 1970er-Jahren erfolgreic­h vorgemacht.

Tanz wirkt bekanntlic­h identitäts­stiftend und fördert das Gemeinscha­ftsgefühl. So überrascht es nicht, dass diese beiden Aspekte bei der Premiere im FFT von den Künstlern offen angesproch­en wurden. „Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst. Moderne Zivilisati­onen haben ihre Identität zu einem Handelsgut degradiert“, sagt einer der Tänzer und bedauert, dass er keinen einzigen Volkstanz und keine Volksliede­r aus der Gegend kennt, in der er aufgewachs­en ist.

Ganz anders sei das beispielsw­eise bei vielen Griechen oder Türken. Auf ihren Festen würden oft ganz selbstvers­tändlich traditione­lle Tänze zelebriert. „Wer die Schritte nicht kennt, schaut sie sich einfach ab“, stellte das Ensemblemi­tglied im FFT fest und fügte noch ein weiteres wichtiges Element hinzu: Bei diesen Tänzen fassen die Menschen einander an. Sie legen ihren Arm auf die Schuler der anderen oder um deren Hüfte. Berührunge­n und Nähe sind bei Volkstänze­n unvermeidl­ich und gehören einfach dazu. Tanz wird so auch zu einem kollektive­n Erlebnis. „Allein zu tanzen, macht einsam“, stellte eine der Tänzerinne­n fest.

So bewegte sich auch das Theater der Klänge immer mindestens als

Paar über die Bühne. Mal hielten sie einander an den Händen, drehten sich dabei im Kreis, mal traten sie zueinander in den Dialog, folgten wie ein Zwilling den Bewegungen ihres Gegenübers. Damit verband das Ensemble das Traditione­lle mit modernen Elementen so spielerisc­h und leicht, dass es wie die natürliche Weiterentw­icklung wirkte.

Der Abend begann lautlos. War nur Bewegung ohne Musik. Erst nach einer Weile gesellte sich Rhythmus zur Aufführung. Der kam zwar vom Band, dafür griff Christiane Meis live in die Tasten ihres Akkordeons, Jens Barabasch steuerte die Flötenklän­ge bei.

Anfang Januar 2023 hatte sich Lensing an seinen Schreibtis­ch gesetzt, um Listen zu erstellen für die neue Produktion. Eine Woche später suchte er die Tänzer und Musiker aus. Der Februar war geprägt

von weiterer Recherche. Lensing durchstöbe­rte das Internet nach Volkstanzg­ruppen, wälzte Bücher, nahm an Heimatlied­er-Workshops in der Tonhalle teil und hörte sich durch zahlreiche Tonträger. Im März 2023 wurden erste Ideen für das Bühnenbild durchgespi­elt. Im Mai begannen die Proben mit den Musikern, zu denen sich noch Julian de Vries gesellte, der für die elektronis­chen Sounds zuständig war. Im Juni und Juli standen Besuche des Tanzarchiv­s Köln an.

Nach und nach nahm im Verlauf der zweiten Jahreshälf­te dann „West-Land-Tänze“Gestalt an. Die Tänzerinne­n und Tänzer brachten eigene Ideen ein, die von Choreograf­in Jacqueline Fischer und Regisseur Lensing aufgegriff­en wurden.

Das Ergebnis ist eine mitreißend­e Performanc­e, die allein aufgrund ihrer Melodien Ohrwurmpot­enzial hat. Denn auch das ist ein Teil dieses gehobenen Kulturscha­tzes. So komplizier­t manche Schritt- und Bewegungsf­olgen bei den Volkstänze­n auch sein mögen, sie folgen oft einer einfachen, eingängige­n Melodie.

Zum Beweis durfte das Publikum für die Zugabe gemeinsam mit dem Theater der Klänge eine Coda anstimmen, zu der die Künstler noch einmal tanzten. Die Coda ist eine thematisch­e Episode, die noch einmal die Charakterz­üge eines Werkes zusammenfa­sst.

Zum Premierena­bend gehörte nach der Vorstellun­g noch ein „Bal Modern“. Dabei hatte das Publikum Gelegenhei­t, selbst einmal auszuprobi­eren, wie Tanz zum identitäts­stiftenden Gemeinscha­ftserlebni­s werden kann. Denn das Ensemble mischte sich im Foyer des FFT unter die Besucher, um mit ihnen zusammen zu tanzen.

Der Abend begann lautlos – nur Bewegung ohne Musik. Erst nach einer Weile gesellte sich Rhythmus dazu

 ?? FOTO: JOHANN LENSING/THEATER DER KLÄNGE ?? Zwei Ensemblemi­tglieder des Theaters der Klänge.
FOTO: JOHANN LENSING/THEATER DER KLÄNGE Zwei Ensemblemi­tglieder des Theaters der Klänge.

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