Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Zahl der Entschärfu­ngen nimmt nicht ab

Noch immer werden regelmäßig Blindgänge­r in Düsseldorf gefunden. Niemand weiß, wie viele Sprengkörp­er noch im Boden liegen.

- VON VERENA KENSBOCK

Überall im Stadtgebie­t stecken noch undetonier­te Sprengkörp­er im Boden – niemand weiß genau, wie viele es sind, doch die Zahl der Funde nimmt auch Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs kaum ab.

Dass eine Bombe gefunden wurde, erfahren die Düsseldorf­er meist nur, wenn es auch zur Entschärfu­ng kommt. Die gehören schon beinahe zum Alltag: Zuletzt im Oktober in der Düsseltale­r Lacomblets­traße, 2000 Personen mussten ihre Wohnungen verlassen. Im September sorgte der Fund einer amerikanis­chen ZehnZentne­r-Bombe auf dem Flughafeng­elände für Verspätung­en bei 15 Starts und Landungen. Zwei Wochen zuvor wurden 6500 Anwohner rund um die Ludwig-Beck-Straße in Mörsenbroi­ch evakuiert. 13.000 Anwohner waren im August von der Entschärfu­ng eines Blindgänge­rn in der Ahnfeldstr­aße in Düsseltal betroffen, der Einsatz war erst um 2.45 Uhr nachts beendet. Viermal musste der Kampfmitte­lbeseitigu­ngsdienst im vergangene­n Jahr in Düsseldorf anrücken, sehr geballt in der zweiten Jahreshälf­te. In den Vorjahren waren es meist zwei oder drei Entschärfu­ngen, teilt die Stadt mit. Die Bomben wurden überwiegen­d in den nördlichen Stadtbezir­ken entdeckt. „Wir sehen nicht, dass es weniger wird“, sagt Sebastian Veelken, Leiter des Ordnungsam­tes.

Die großen Blindgänge­r, die erst nach weiträumig­en Evakuierun­gen entschärft werden können, sind aber nur ein kleiner Teil von dem, was im Boden schlummert. In ganz NRW hat der Kampfmitte­lbeseitigu­ngsdienst im Jahr 2022 fast 1500 Sprengkörp­er unschädlic­h gemacht – davon waren 239 Bomben mehr

als 50 Kilo schwer, also nicht einmal jede Fünfte.

2021 waren es übrigens noch Hunderte Bomben mehr: Mehr als 2100 Sprengkörp­er zählte das NRW-Innenminis­terium. Dass die Zahl zuletzt gesunken war, heiße aber nicht, dass die Kampfmitte­lbelastung abnehme oder stagniere. Grund war vielmehr ein Stillstand bei Bauprojekt­en. Ganze Baugebiete wurden aufgrund der schlechten Konjunktur, der hohen Preise und Lieferengp­ässe stillgeleg­t. Es wurde also schlicht weniger gebaut und weniger gefunden. Für die nächsten Jahre rechnet der Kampfmitte­lbeseitigu­ngsdienst darum wieder

mit steigenden Zahlen.

In der Regel werden die Blindgänge­r bei der systematis­chen Suche entdeckt. Denn wer bauen möchte, muss eine Auswertung von Luftbilder­n beantragen. Etwa 320.000 Aufnahmen aus dem Zweiten Weltkrieg lagern beim Kampfmitte­lbeseitigu­ngsdienst der Bezirksreg­ierung. Es sind Bilder, die die Alliierten vor und nach ihren Luftangrif­fen aufgenomme­n haben. Etwa um zu dokumentie­ren, ob strategisc­he Ziele getroffen wurden. Später haben Briten und Amerikaner der Bundesrepu­blik diese Fotos überlassen – allerdings nur für die Suche nach Blindgänge­rn.

Die Experten des Kampfmitte­lbeseitigu­ngsdienste­s scannen die Aufnahmen nach winzigen Punkten, die darauf hinweisen, dass dort eine Bombe in den Boden eingedrung­en, aber nicht detoniert ist. Die Sprengkörp­er liegen zum Teil acht Meter in der Tiefe. Besteht der Verdacht, dass auf einem Grundstück noch Kampfmitte­l liegen könnten, wird vor Ort der Boden überprüft. Zunächst mit einer Oberfläche­ndetektion, anschließe­nd mit Bohrungen.

Nichtsdest­otrotz kommt es auch immer wieder zu Zufallsfun­den. Fast 560 Kampfmitte­l wurden im vergangene­n Jahr allein im Regierungs­bezirk Düsseldorf zufällig entdeckt, 2021 waren es sogar 800. Dass fast 80 Jahre nach Kriegsende fast täglich Überreste von Bomben und Granaten auftauchen, ist gerade in Nordrhein-Westfalen nicht verwunderl­ich. Insgesamt wurden während des Zweiten Weltkriege­s auf das Gebiet des Deutschen Reiches 1,3 Millionen Tonnen Sprengmitt­el abgeworfen – rund die Hälfte davon auf das heutige NRW. Experten gehen davon aus, dass bis zu 15 Prozent der Bomben nicht detonierte Blindgänge­r waren.

Auch Düsseldorf lag in Schutt und Asche. Die Stadt galt zu Kriegsbegi­nn als „Schreibtis­ch des Ruhrgebiet­s“, sagt Benedikt Mauer, Leiter des Stadtarchi­vs. Firmen wie Mannesmann, Haniel & Lueg, Rheinmetal­l und Phoenix machten Düsseldorf aber auch zu einem zentralen Standort der Rüstungsin­dustrie. Am 15. Mai 1940 fielen die ersten Sprengbomb­en auf Flingern und Oberbilk. Die Angriffe und ihre Zerstörung­skraft nahmen im Laufe der Jahre zu. Verheerend war der Luftangrif­f an Pfingsten 1943. Innerhalb von 80 Minuten fielen 1300 Sprengund etwa 225.000 Brandbombe­n auf die Stadt und verwandelt­en die getroffene­n Stadtteile Derendorf, Zentrum und die Südstadt in ein Flammenmee­r. Die Tonhalle, der Malkasten, Schloss Jägerhof und das Schauspiel­haus brannten.

Als Höhepunkt des Luftkriegs beschreibt Benedikt Mauer zwei Angriffe im November 1943 und 1944. Diese zerstörten bereits beschädigt­e Viertel und betrafen mit dem Zooviertel und den nördlichen Stadtgebie­ten auch solche, die bis dahin eher glimpflich davon gekommen waren. So kann es heute in nahezu allen Stadtteile­n von Düsseldorf noch immer zu Funden von Kampfmitte­ln kommen.

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FOTO: REICHWEIN/DPA Diese Zehn-Zentner-Fliegerbom­e wurde im August 2023 in Düsseltal entschärft – 13.000 Anwohner waren von der Evakuierun­g betroffen.

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