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Wie Insekten zu packendem Theater werden
Man kann auch aus einem aktuellen biologischen Thema einen berührenden Theaterstoff machen. Die Fabrik Heeder macht es vor.
Insekten. Seit Beginn der Menschheitsgeschichte gab es auch sie. Unzählige Arten von ungeheurer Bedeutung für uns Menschen, ja, von überlebenswichtiger Bedeutung. 45 Prozent aller Arten stehen auf roten Listen, drohen zu verschwinden, und dabei ist klar, dass viele Arten gewiss nicht einmal erfasst wurden vor ihrem Verschwinden. Was liegt da näher als sich auch im Theater mit diesen faszinierenden, in solch einer dramatischen Krise befindlichen Tieren zu beschäftigt?
Das Ensemble des Theaters Krefeld Mönchengladbach hatte die Idee zu einer gemeinsamen Stückentwicklung im Sommer 2021. Der Besuch der Entomologischen Sammlung Krefeld und der Vortrag von Dr. Josef Tumbrinck, der Sonderbeauftragter für das Nationale Artenhilfsprogramm beim Bundesministerium für Umwelt, brachten das Fachwissen sowie Inspiration, und Nele Stuhler und Jan Koslowski stellten das Team zusammen. Alle schrieben sie Texte, Szenen, Dialoge, mal gemeinsam, dann wieder jeder für sich, ab April 2023 begannen die
Proben, und am 5. Mai feierte das Stück in Mönchengladbach Premiere. Nun war es auch in Krefeld soweit: Am 26. Januar in der Fabrik Heeder.
„Insekten“ist auf den ersten Blick ein heiteres Stück mit komischen Überspitzungen, absurden Figuren in wunderbaren Kostümen (dank Ina Schotes und ihrem Team), witzigen Dialogen. Es wird viel gelacht, doch ist es gerade dieses Lachen, das einem dann bei aller Komik bisweilen im Halse stecken bleibt. Denn wir lachen nicht aus unbeschwerter Belustigung, nicht weil das großartige Ensemble uns heitere Inhalte präsentiert, diesem Lachen ist immer ein Tropfen Wehmut anheimgegeben, und so ist es bestenfalls ironisch, oft jedoch auch zynisch, wenn etwa die Gottesanbeterin Lust auf einen sadistischen Ausflug hat. Gemeinsam sehen sie dann einem Käfer zu, der auf einer gelben Fliegenfalle von den Menschen gelandet und kleben geblieben ist. „Wie er sich windet, wie er sich müht“…
Es geht nicht darum, dem Menschen hier Sadismus zu unterstellen, das Theaterstück behauptet nicht, es unterstellt nicht, es wirft lediglich Fragen in den Raum und
Szenen aus dem Alltag in der Beziehung zwischen Menschen und Insekten. Das Anliegen ist ein Bewusstmachen von des Menschen Abhängigkeit von ihnen. Es ist der Versuch der Sichtbarmachung einer nur scheinbar unsichtbaren Welt.
Es gibt einen Bühnenraum, darauf finden all jene inszenierten Versuche statt, die Menschen von der Wichtigkeit der Insekten zu überzeugen. Den Anfang macht „Die Verwandlung“von Kafka, denn, so der Verdacht, die Menschen lieben Kafka und wenn sich eine literarische Figur in einen Käfer verwandelt, so müsste das doch einnehmende
Wirkung für das Tierchen haben. Gemeinsam liegen die Schauspieler-Insekten im Bett und rezitieren den Anfang von Kafkas Erzählung, bestechend nüchtern lassen sie Gregor Samsa als Käfer erwachen, doch stolpern sie immer wieder über Negatives am Käfer-Dasein von Gregor, sodass dieser Versuch verworfen wird. Weitere Versuche werden besprochen und geplant. Immer wieder bemühen sich die „Insekten“, das Offensichtliche dem Menschen zu vermitteln, dass sie gebraucht werden und schützenswert und besonders sind.
Darüber hinaus gibt es da noch diesen weiteren Raum, nur scheinbar im Verborgenen. Ein magischer Raum im Schatten der Bühne. Er liegt hinter den Stoffbahnen, die die Bühne begrenzen. Das Publikum sieht die Umrisse der Insekten, die ihrerseits die Menschen beobachten und Pläne schmieden, Hoffnungen teilen, dass ihre Not irgendwann erkannt werde. Sie besprechen die Szenen, die sie spielen wollen für die Menschen „dort draußen“. Der Prozess wird Teil des Stückes, die Metamorphose ist dem Leben vor und hinter der Bühne eingeschrieben, fehlt nur die Entwicklung des Menschen. Um dem Menschen noch weiter auf die Sprünge zu helfen überträgt zusätzlich eine Kamera diesen verborgenen Ort auf zwei Bildschirme in den Bühnenraum.
Den Schauspielern des Theaters Krefeld Mönchengladbach ist eine beeindruckende wie wichtige Inszenierung gelungen. Auf wunderbar magische Weise haben die Menschen die Perspektive gewechselt, vor und hinter der Bühne, mal lachend, mal ernst, vor allem betroffen: 80 Prozent der Biomasse der Fluginsekten sind bereits verschwunden – nicht nur im Theaternebel, sondern aus unserer Welt.