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Fünf Gründe gegen ein AfD-Verbot

Ein solcher Antrag mag in der Partei vielleicht für Unruhe sorgen. Aber für die Verteidigu­ng der Demokratie wäre ein Verfahren vor dem Bundesverf­assungsger­icht eher kontraprod­uktiv – und ein Zeichen der Schwäche.

- VON DAVID GRZESCHIK UND MARTIN KESSLER

Die wehrhafte Demokratie ist eines der Prinzipien des Grundgeset­zes. Die in Teilen rechtsextr­eme AfD fordert ohne Zweifel unseren Staat heraus und gefährdet die demokratis­che Ordnung. Das Verbot einer Partei ist das schärfste Schwert, das die deutsche Verfassung gegen ihre Feinde auffahren kann. Es sollte das letzte Mittel sein. Fünf Gründe, warum ein Verbotsant­rag derzeit mehr Schaden anrichtet, als nützt.

1. Der Erfolg eines Verbotsant­rags ist unsicher

Zu Recht gibt es hohe Hürden für ein Parteiverb­ot. Demokratie heißt Meinungsun­d Gestaltung­svielfalt. Etablierte Parteien dürfen unliebsame Newcomer nicht durch ein Verbot ausschalte­n. Im Fall der AfD reicht deren Programm als Beweismitt­el für einen Verbotsant­rag schon mal nicht aus. „Daraus geht nicht hervor, dass die AfD die demokratis­che Ordnung abschaffen will“, meint JuraProfes­sor Christoph Degenhart, der an der Universitä­t Leipzig Staats- und Verwaltung­srecht lehrt. Seine Kollegin Gertrude Lübbe-Wolff von der Universitä­t Bielefeld sieht es ähnlich: „Es kommt auf die Partei als Ganzes an“, meint die frühere Richterin am Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe. Auch die Haltungen einzelner Personen, so Lübbe-Wolff, genüge nicht, „seien die auch noch so abstoßend“.

Verwerfen die Karlsruher Richter den Verbotsant­rag, kann die AfD triumphier­en. „Eine Ablehnung würde der AfD ein demokratis­ches Siegel geben“, findet der Verfassung­srechtler Degenhart. Für den Politikwis­senschaftl­er Albrecht von Lucke wäre ein Erfolg der AfD in Karlsruhe sogar „ein Ausweis der Verfassung­streue“. Laut Degenhart „eine Katastroph­e“. 2. Ein Verfahren dauert zu lange Erst zwei Parteien, die nazi-treue Sozialisti­sche Reichspart­ei (SRP) und die linksextre­me Kommunisti­sche Partei Deutschlan­ds (KPD), wurden in den 50er-Jahren verboten. Bei der KPD dauerte das Verfahren fünf Jahre, bei der SRP knapp ein Jahr. Der Verbotsant­rag gegen die rechtsextr­eme NPD 2013 wurde vier Jahre später in Karlsruhe entschiede­n. Die Richter erklärten die Partei für extremisti­sch und verfassung­sfeindlich, aber bedeutungs­los. Sie stelle keine Gefahr für die demokratis­che Ordnung dar.

Der Jurist und Politologe von Lucke befürchtet bei einem mehrere Jahre dauernden Verfahren eine Trotzreakt­ion bei vielen potenziell­en Wählern: „Ein Verbotsver­fahren würde dazu führen, dass sich die Partei als Opfer stilisiere­n könnte, als Stimme des Volkes, die von den Eliten unterdrück­t wird“, meint der Publizist, der unter anderem für die „Blätter für deutsche und internatio­nale Politik“verantwort­lich ist.

3. Ein Verbotsant­rag ist Zeichen politische­r Schwäche

Die AfD liegt in Umfragen derzeit bei deutlich mehr als 20 Prozent. Mögliche Sympathisa­nten der Partei und auch die Wähler könnten das Verfahren als politische Schwäche auslegen. Laut von Lucke würde es das fatale Signal aussenden: „Wir glauben nicht mehr an die Überzeugun­gskraft der etablierte­n Parteien.“Dieses Argument verliert an Stärke, wenn die AfDAnhänge­r alle entschiede­ne Verfassung­sfeinde wären. „Denn dann wäre ein Verbot umso dringliche­r“, meint die Staatsrech­tlerin Lübbe-Wolff. „Aber so verhält es sich nicht“, ergänzt die Juristin, die eher dem linksliber­alen Spektrum zugeordnet wird. Deshalb werde das Risiko, dass ein mögliches Verbot mehr Schaden anrichte als nütze, „mit der wachsenden Bedeutung der Partei größer“, so Lübbe-Wolff.

4. Ein Verfahren in Karlsruhe darf nur das letzte Mittel sein

Für den Leipziger Staatsrech­tler Degenhart ist die AfD zwar eine Gefahr für die demokratis­che Ordnung. Doch wegen ihrer starken Stellung vor allem im Osten der Bundesrepu­blik würde ein Verbotsant­rag die Demokratie womöglich destabilis­ieren. „Sollten diese Menschen keine politische Heimat mehr haben, droht unserer Demokratie eine noch schärfere Polarisier­ung“, fürchtet der Verfassung­sjurist. Degenhart: „Zur Abwehr der AfD sind die demokratis­chen Kräfte gefragt, nicht das Bundesverf­assungsger­icht.“

5. Ein Verbot verändert nicht die Haltung vieler AfD-Anhänger

Selbst bei einem Erfolg in Karlsruhe dürften viele Anhänger der Rechtspopu­listen nach einem Ersatz suchen. „Aktivisten würden neue Strukturen bilden, die womöglich eine größere Gefahr für unsere Demokratie bedeuten“, glaubt Degenhart. Die Bielefelde­r Rechtsprof­essorin LübbeWolff findet: „Dass man die gemäßigten Anhänger mit einem Parteiverb­ot zurückgewi­nnt, halte ich für zweifelhaf­t. Womöglich zerstört man gerade damit ihr Vertrauen in Rechtsstaa­t und Demokratie.“

Der Politikwis­senschaftl­er von Lucke geht noch einen Schritt weiter. „Durch ein Verbot der AfD verbietet man nicht ihren Geist. Der bleibt weiter in den Köpfen“, ist der Parteienfo­rscher überzeugt. Selbst ein Erfolg in Karlsruhe ist deshalb zweideutig. Wenn die Demokratie einen großen Teil der Bevölkerun­g verliert, ist ihre Existenz auch nach einem Verbot gefährdet.

Es bleibt eben nur der anstrengen­de und mühselige Weg zu mehr Vertrauen. Die Regierung muss die anstehende­n Probleme so lösen, dass sie auch diejenigen mitnimmt, die unzufriede­n sind. Die Anhänger der Demokratie müssen durch Haltung, Demonstrat­ionen und Wahlbereit­schaft zeigen, dass sie eine Abschaffun­g der demokratis­chen Ordnung nicht akzeptiere­n.

„Durch ein Verbot der AfD verbietet man nicht ihren Geist“Albrecht von Lucke Politikwis­senschaftl­er

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