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Fünf Gründe gegen ein AfD-Verbot
Ein solcher Antrag mag in der Partei vielleicht für Unruhe sorgen. Aber für die Verteidigung der Demokratie wäre ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht eher kontraproduktiv – und ein Zeichen der Schwäche.
Die wehrhafte Demokratie ist eines der Prinzipien des Grundgesetzes. Die in Teilen rechtsextreme AfD fordert ohne Zweifel unseren Staat heraus und gefährdet die demokratische Ordnung. Das Verbot einer Partei ist das schärfste Schwert, das die deutsche Verfassung gegen ihre Feinde auffahren kann. Es sollte das letzte Mittel sein. Fünf Gründe, warum ein Verbotsantrag derzeit mehr Schaden anrichtet, als nützt.
1. Der Erfolg eines Verbotsantrags ist unsicher
Zu Recht gibt es hohe Hürden für ein Parteiverbot. Demokratie heißt Meinungsund Gestaltungsvielfalt. Etablierte Parteien dürfen unliebsame Newcomer nicht durch ein Verbot ausschalten. Im Fall der AfD reicht deren Programm als Beweismittel für einen Verbotsantrag schon mal nicht aus. „Daraus geht nicht hervor, dass die AfD die demokratische Ordnung abschaffen will“, meint JuraProfessor Christoph Degenhart, der an der Universität Leipzig Staats- und Verwaltungsrecht lehrt. Seine Kollegin Gertrude Lübbe-Wolff von der Universität Bielefeld sieht es ähnlich: „Es kommt auf die Partei als Ganzes an“, meint die frühere Richterin am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Auch die Haltungen einzelner Personen, so Lübbe-Wolff, genüge nicht, „seien die auch noch so abstoßend“.
Verwerfen die Karlsruher Richter den Verbotsantrag, kann die AfD triumphieren. „Eine Ablehnung würde der AfD ein demokratisches Siegel geben“, findet der Verfassungsrechtler Degenhart. Für den Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke wäre ein Erfolg der AfD in Karlsruhe sogar „ein Ausweis der Verfassungstreue“. Laut Degenhart „eine Katastrophe“. 2. Ein Verfahren dauert zu lange Erst zwei Parteien, die nazi-treue Sozialistische Reichspartei (SRP) und die linksextreme Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), wurden in den 50er-Jahren verboten. Bei der KPD dauerte das Verfahren fünf Jahre, bei der SRP knapp ein Jahr. Der Verbotsantrag gegen die rechtsextreme NPD 2013 wurde vier Jahre später in Karlsruhe entschieden. Die Richter erklärten die Partei für extremistisch und verfassungsfeindlich, aber bedeutungslos. Sie stelle keine Gefahr für die demokratische Ordnung dar.
Der Jurist und Politologe von Lucke befürchtet bei einem mehrere Jahre dauernden Verfahren eine Trotzreaktion bei vielen potenziellen Wählern: „Ein Verbotsverfahren würde dazu führen, dass sich die Partei als Opfer stilisieren könnte, als Stimme des Volkes, die von den Eliten unterdrückt wird“, meint der Publizist, der unter anderem für die „Blätter für deutsche und internationale Politik“verantwortlich ist.
3. Ein Verbotsantrag ist Zeichen politischer Schwäche
Die AfD liegt in Umfragen derzeit bei deutlich mehr als 20 Prozent. Mögliche Sympathisanten der Partei und auch die Wähler könnten das Verfahren als politische Schwäche auslegen. Laut von Lucke würde es das fatale Signal aussenden: „Wir glauben nicht mehr an die Überzeugungskraft der etablierten Parteien.“Dieses Argument verliert an Stärke, wenn die AfDAnhänger alle entschiedene Verfassungsfeinde wären. „Denn dann wäre ein Verbot umso dringlicher“, meint die Staatsrechtlerin Lübbe-Wolff. „Aber so verhält es sich nicht“, ergänzt die Juristin, die eher dem linksliberalen Spektrum zugeordnet wird. Deshalb werde das Risiko, dass ein mögliches Verbot mehr Schaden anrichte als nütze, „mit der wachsenden Bedeutung der Partei größer“, so Lübbe-Wolff.
4. Ein Verfahren in Karlsruhe darf nur das letzte Mittel sein
Für den Leipziger Staatsrechtler Degenhart ist die AfD zwar eine Gefahr für die demokratische Ordnung. Doch wegen ihrer starken Stellung vor allem im Osten der Bundesrepublik würde ein Verbotsantrag die Demokratie womöglich destabilisieren. „Sollten diese Menschen keine politische Heimat mehr haben, droht unserer Demokratie eine noch schärfere Polarisierung“, fürchtet der Verfassungsjurist. Degenhart: „Zur Abwehr der AfD sind die demokratischen Kräfte gefragt, nicht das Bundesverfassungsgericht.“
5. Ein Verbot verändert nicht die Haltung vieler AfD-Anhänger
Selbst bei einem Erfolg in Karlsruhe dürften viele Anhänger der Rechtspopulisten nach einem Ersatz suchen. „Aktivisten würden neue Strukturen bilden, die womöglich eine größere Gefahr für unsere Demokratie bedeuten“, glaubt Degenhart. Die Bielefelder Rechtsprofessorin LübbeWolff findet: „Dass man die gemäßigten Anhänger mit einem Parteiverbot zurückgewinnt, halte ich für zweifelhaft. Womöglich zerstört man gerade damit ihr Vertrauen in Rechtsstaat und Demokratie.“
Der Politikwissenschaftler von Lucke geht noch einen Schritt weiter. „Durch ein Verbot der AfD verbietet man nicht ihren Geist. Der bleibt weiter in den Köpfen“, ist der Parteienforscher überzeugt. Selbst ein Erfolg in Karlsruhe ist deshalb zweideutig. Wenn die Demokratie einen großen Teil der Bevölkerung verliert, ist ihre Existenz auch nach einem Verbot gefährdet.
Es bleibt eben nur der anstrengende und mühselige Weg zu mehr Vertrauen. Die Regierung muss die anstehenden Probleme so lösen, dass sie auch diejenigen mitnimmt, die unzufrieden sind. Die Anhänger der Demokratie müssen durch Haltung, Demonstrationen und Wahlbereitschaft zeigen, dass sie eine Abschaffung der demokratischen Ordnung nicht akzeptieren.
„Durch ein Verbot der AfD verbietet man nicht ihren Geist“Albrecht von Lucke Politikwissenschaftler