Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Auf die Größe kommt es an
Das Maß aller Dinge ist relativ – zumindest in der Fotografie. Das behauptet der Düsseldorfer Kunstpalast mit seiner aktuellen Ausstellung „Size Matters“.
Vor einigen Jahren erschien ein Buch, in dem es ausschließlich um Größenverhältnisse ging. „Size Matters“listete rund 50 Objekte mit kurzen Texten und Illustrationen auf, festgezurrt einzig am lapidaren Aspekt „Wie groß ist…“. Dass ein Küstenmammutbaum eine Höhe von 115 Metern erreichen kann, beeindruckt um ein Vielfaches mehr, wenn die maßstabsgerechte Zeichnung an seiner Seite einen vergleichsweise winzigen Apfelbaum (maximal acht Meter) zeigt. Und Maradonas Fußballschuh (deutsche Größe: 40) erscheint zwergenhaft neben einem Basketballstiefel von Shaquille O’Neal (Größe 60). Größe, so die Quintessenz des Buches, ist relativ.
„Size Matters“heißt nun auch eine Ausstellung im Düsseldorfer Kunstpalast – hier bezogen auf die Fotografie. Während der Maler sich in Sachen Höhe und Breite der Leinwand festlegen muss, bevor er beginnt, kann der Fotograf sein Bild nach getaner Arbeit nach Lust und Laune skalieren. Vom Handybildschirm bis zur Plakatwand ist alles möglich. „Größe als flüchtige Eigenschaft ist ein entscheidendes Alleinstellungsmerkmal der Fotografie, das wir mit dieser Ausstellung unterstreichen wollen“, so Generaldirektor Felix Krämer.
Um diese Skalierbarkeit der Dimensionen des Fotos und der Gegenstände im Bild vor Augen zu führen, hat Linda Conze, Leiterin der fotografischen Sammlung, Aufnahmen von rund 50 Künstlern ausgewählt. Ausgelotet wird das gesamte Größenspektrum der Fotografie – von winzigen Prints bis hin zu XXL-Formaten.
Vor den Blow-ups von Andreas Gursky, Thomas Ruff und Katharina Sieverding muss man einige Schritte zurücktreten, um die Werke überhaupt visuell in den Griff zu bekommen. Andere Bilder, unscheinbarer, bescheidener, erfordern es, dass man ihnen auf die Pelle rückt. Das gilt vor allem für einen Käfer des Naturfotografen Jochen Lempert – der Silbergelatine-Abzug misst 1,4 mal 1,8 Zentimeter. Die wahrscheinlich kleinste Fotografie der Welt.
So unterschiedlich die Formate, so mannigfaltig die Motive: Porträts und Figürliches finden sich, Tierbilder, Stillleben, Mikrofotografien von Frischwasser-Organismen, Luftaufnahmen, Architekturfotografie, Blicke ins Weltall und auf die Mondoberfläche. Ein Panoptikum dessen, was fotografisch zwischen Briefmarke und Jumboformat möglich ist. Dabei werden die Maße des Bildes mitnichten durch die Dimensionen des Motivs vorgegeben. Im Gegenteil: Bei ihrer Dokumentarfotografie einer gigantischen Industrielandschaft begnügten sich Bernd und Hilla Becher mit einem Abzug, der bloß 60 Zentimeter breit ist. Derweil verlängerte Sebastian Riemer das Bild eines daumengroßen Pflasters (tatsächlich handelt es sich um das Blech einer Gegensprechanlage) auf eine Höhe von 1,70 Meter. Und Patrick Tosanis Löffel bringt es auf eine Länge von 1,80 Meter – ohne Stiel.
Welche Rolle Größenverschiebungen in der Kunst spielen können, hat schon René Magritte vorexerziert: 1952 malte er einen Apfel, der so
mächtig ist, dass er das ihn umgebende Zimmer vollständig ausfüllt („La chambre d’écoute“). Oder handelt es sich bei dem Gehäuse am Ende um ein extrem verkleinertes Kabinett, in dem ein normalgroßer Apfel mit knapper Not Platz findet?
Solche surrealistischen Rätselspiele finden sich auch in der Düsseldorfer Ausstellung. Etwa in Kathrin Sonntags Serie „Dinge im Hintergrund“, der eine Fototapete ist, also eine beliebige Skalierung erlaubt. Oder in einem Werk von Wolfgang Tillmans, der das Modell eines Ausstellungsraums im Maßstab 1:10 durch ein Stiefelpaar in Echtgröße aus den Fugen bringt. Oder auch in Alex Greins Foto eines Lorbeerkirschzweigs, der eine Tür überragt.
In der Ausstellung fühlt man sich
ein wenig wie Gulliver: Unsere fotografische Exkursion streift Liliput ebenso wie Brobdingnag, sie konfrontiert uns mit Zwergen und mit Riesen im Reich der Bilder. Und wie im Roman von Jonathan Swift dient das menschliche Maß als Gradmesser für die Einschätzung, ob uns etwas groß oder klein vorkommt.
Auf die Größe kommt es an – diese Parole vermag in der Tat eine wesentliche Eigenschaft der Fotografie auf den Punkt zu bringen. Erstaunlich, dass dieses Thema noch nicht Gegenstand einer eigenen Ausstellung gewesen ist. „Size Matters“betritt also Neuland – und muss Denkbarrikaden wegräumen. Unwillkürlich nämlich neigen die meisten zu der Ansicht, Größe sei ein rein äußerlicher Parameter, der nichts über das Wesen der Dinge verrate. Wahre Größe lasse sich nicht mit dem Lineal erfassen.
Das stimmt nur halb – die Ausstellung im Kunstpalast demonstriert das mit einer Fülle mikroskopischer und makroskopischer Einsichten. Mal zoomt sie Details heran, mal hält sie die Welt mit Weitwinkelobjektiv auf Distanz. Als Werkzeug der wissenschaftlichen Erkenntnis taugt die Vergrößerung ebenso wie als Mittel der Verfremdung.
Wer ein Großformat in einer Galerie oder auf einer Kunstmesse sieht, bringt damit automatisch einen höheren Marktwert in Verbindung als bei einem Vintage Print im A5Format. Hätte das Kolossale keinen Startvorteil, dann wäre der Ausdruck „klein, aber oho“sinnlos.