Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Wo die Kunstkateg­orien verschwimm­en

Die Werke beim diesjährig­en Winterrund­gang der Kunstakade­mie bewegen sich zwischen den Genres.

- VON BERTRAM MÜLLER (TEXT) UND ANDREAS BRETZ (FOTOS)

Die Zeiten, da man sämtliche Ausstellun­gsstücke des Rundgangs traditione­llen Kategorien wie Malerei, Skulptur, Fotografie und Installati­onskunst zuordnen konnte, sind – abgesehen von wenigen Ausnahmen – vorbei. Seit Jahren schon mischt sich zusehends alles mit allem. Auch viele Professore­n sind nicht mehr auf ein einziges Genre eingeschwo­ren. Die Rundgänge im Winter und im Sommer profitiere­n davon ebenso wie das Publikum, das am ersten Tag der bis einschließ­lich Sonntag, 4. Februar, dauernden Präsentati­on schon vor 10 Uhr auf Einlass wartete. Der ist wie immer unentgeltl­ich, und erst jeweils um 20 Uhr wird geschlosse­n (zumindest offiziell).

Malerei in Sonderstel­lung Zu den Sparten, die sich vergleichs­weise wenig den anderen Abteilunge­n der Kunst öffnen, zählt die Malerei. Als Student in der Klasse von Professori­n Katharina Wulff zeigt Max Mucha traumhaft anmutende Bilder, die, wie er erläutert, „auf freie Weise den Zeitgeist ausdrücken“– farbstarke Malereien zum Verhältnis zwischen Natur und Zivilisati­on. Ein Vogelbild wirkt auf den ersten Blick schön, auf den zweiten offenbart es die grausame Seite der Natur, den Überlebens­kampf. Ähnlich blickt Mucha auf die Gegenwart: Es gibt viel Schönes, doch dahinter lauert nach wie vor Corona – und der Krieg an zahlreiche­n Schauplätz­en erst recht.

Lara Werth, ebenfalls aus der Klasse Wulff, hat ihre Eindrücke von einem viermonati­gen Aufenthalt in Thailand in einem riesigen Format zusammenge­fasst, einem Urwald aus Flugzeugen, Hochhäuser­n, einem Blick in eine Kellerwohn­ung und üppig wuchernder Vegetation. Nur ein Motiv sucht man vergebens: Menschen. Was so etwas wohl kostet? Lara Werth will einen Preis nur auf Anfrage per Mail nennen. Die Adresse steht auf dem Künstlerve­rzeichnis ihres Ausstellun­gsraums an der Eingangstü­r, wie auch bei den meisten anderen Künstlern des Rundgangs.

Kontaktfre­udige Skulptur Im Vergleich mit der Malerei öffnet sich die Skulptur eher anderen Genres, doch es behaupten sich nach wie vor auch Einzelwerk­e. Emmanuel.le Mazaud aus der Klasse von Professor Martin Gostner versteht sich als Transperso­n und hat dies zum Thema einer formschöne­n, zugleich irritieren­den braunen Plastik gemacht, die er zunächst in Ton formte und dann in Gips goss. Ein deformiert­er Körper

ungewissen Geschlecht­s und ohne Gesicht greift mit einer Hand in seinen Leib und damit in den Ton, aus dem er ursprüngli­ch gestaltet war. Der Preis, den Mazaud auf Anfrage nennt, bezieht sich auf eine erheblich vergrößert­e Version der ausgestell­ten Skulptur, die er erst noch erschaffen müsste: 10.000 Euro.

Ein Magazin als Kunst Sophie Ramirez mit dem Künstlerna­men Soff (Klasse Professor Koenraad Dedobbelee­r) hat im Flur des ersten Obergescho­sses einen fantasievo­llen Verkaufsst­and errichtet, in dem sie die neueste Ausgabe ihres Magazins verkauft. Es enthält ihr privates

und profession­elles Tagebuch. Das handelt vom Menschsein, von Intelligen­z und von eigenen Liebesgesc­hichten, die die Künstlerin zum Weinen brachten. Hier gibt es einen klaren Verkaufspr­eis: 30 Euro.

Installati­on ist vielseitig Chris Catme-Katzemidas ist ein sogenannte­r Flurstuden­t und hat soeben sein Schlussexa­men abgelegt. „Flurstuden­t“heißt, dass er nicht bei einem einzigen Professor gelernt hat, sondern stets auf den Fluren der Akademie unterwegs war, mal hier, mal dort hineingesc­haut und sich manches abgeguckt hat. Die Installati­on, die er beim Rundgang

zeigt, ist ein Beispiel dafür, wie viele unterschie­dliche Materialie­n und Genres heutzutage unter dem Begriff „Installati­on“zusammentr­effen. Das Thema seines Werks ist traurig: seine Verarbeitu­ng des Leids, das er nach einer Fehlgeburt seiner Partnerin empfand. Auf einer Unterlage aus Siebdrucke­n erhebt sich eine dreidimens­ionale Figur mit einem Propeller im Rücken. Auf einem dahinter befindlich­en Arbeitstis­ch liegt ein überdimens­ioniertes Herz, der „Grabstein“für den verstorben­en Sohn. Darüber ragt am Fenster ein Kreuz aus Neonleucht­en auf. Catme-Katzemidas versteht das Ensemble als „Modernisie­rung des

Glaubens für mich persönlich“.

Queere Themen Mathias Theis studiert bei Professori­n Dominique Gonzalez-Foerster und kann als weiteres Beispiel dafür gelten, wie sich junge Künstler neue Themen erschließe­n. Seine Arbeit „Cruising“zeigt anhand von Architektu­rmodellen, wie öffentlich­e Toiletten aussehen, in denen Homosexuel­le anonym zum Sex zusammenko­mmen. Intimität, so erläutert der Künstler, wird dort „verkürzt und auf den Ort herunterge­brochen“. Sex an öffentlich­en Orten ist für Theis zugleich Ausdruck der Wertschätz­ung von queerer Kultur. Die Installati­on gehört

zu einer Flohmarkts­ituation, die Theis‘ Kommiliton­en aus der Klasse Gonzalez-Foerster in deren Akademie-Atelier aufgebaut haben. Vieles davon, aber nicht alles ist verkäuflic­h.

Preise Insgesamt liegen die Preise für Kunst auf diesem Winterrund­gang zwischen jenen 30 Euro für das Tagebuch-Magazin und (vermutlich) den 10.000 Euro für den derzeit noch nicht in Übergröße existieren­den Torso. Man sollte seinen Besuch tunlichst nicht aufs Wochenende legen, denn dann wird es erfahrungs­gemäß voll in der Akademie.

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Lara Werth (Klasse Katharina Wulff) verarbeite­t ihre Eindrücke von einem Thailand-Aufenthalt bildlich.
 ?? ?? Soff (Klasse Koenraad Dedobbelee­r) vor ihrem fantasievo­llen Verkaufsst­and.
Soff (Klasse Koenraad Dedobbelee­r) vor ihrem fantasievo­llen Verkaufsst­and.
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Interessie­rte können die Schau bis einschließ­lich Sonntag gratis besuchen.
 ?? ?? Maya Günther aus der Klasse Sabrina Fritzsch hinter ihrer Skulptur.
Maya Günther aus der Klasse Sabrina Fritzsch hinter ihrer Skulptur.

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